Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum achtzigsten Geburtstage des Fürsten Bismarck

der riesigen Kapitalanhäufnng in den Händen weniger zu steuern, damit sich
unser Volk nicht auflöse in eine verjudete Geldaristokratie, die doch des wahren
Adels, des engen Zusammenhanges mit dem Lande und des Gefühls hoher
Verpflichtung gänzlich entbehren würde, und in eine thatsächlich versklavte Blasse,
die am Staat überhaupt keinen innern Anteil mehr nähme. Und die Lösung
dieser schwersten aller Fragen hat Fürst Bismarck nicht nur überhaupt erst
ermöglicht, sondern auch tapfer in Angriff genommen; das nationale Königtum
wurde sozial. Jetzt allerdings geberden sich ganze Parteien, als ob die Alters¬
und Unfallversicherung überhaupt gar nicht geschaffen worden wäre, und als ob
Fürst Bismarck in sozialen Dingen nichts weiter geleistet hätte, als das Gesetz
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie von 1878, das
er bekanntlich erst einbrachte, als ein Schrei der Empörung über die Frevel¬
thaten sozialdemokratischer Fanatiker gegen das ehrwürdige Haupt Kaiser Wil¬
helms I. durch das Land ging. Man sehe sich doch um in der Welt, ob irgend¬
wo etwas ähnliches wie jene sozialpolitischen Gesetze auch nur versucht wordeu
ist, ob dem sogenannten vierten Stande irgendwo mehr oder auch nur etwas
ähnliches geboten worden ist als bei uns! Etwa in dem parlamentarischen Eng¬
land? oder in dem demokratische!? Frankreich? oder in dem liberalen Musterstaate
Belgien? oder in dem lange gepriesenen Lande der Freiheit, in Nordamerika ?
Alles Menschenwerk hat nur relativen Wert; daher ist es unbillig, nur immer
absolute Forderungen zu stellen, nur hervorzuheben, was noch geschehen soll,
und zu vergessen, was schon geschehen ist. Gewiß, es muß noch viel mehr
geschehen, aber es ist eine Thorheit und ein Unrecht, die wirtschaftlichen
Fragen immer nur vom Standpunkte des vierten Standes aus zu betrachten,
und es ist eine noch weit größere Thorheit, alles Elend auf der Welt mit
Gesetzen wegschaffen zu wollen. In alten Zeiten sagte man tapfer: "Hilf dir
selbst, und Gott wird dir helfen"; jetzt müßte man das in die Worte über¬
setzen: "Rühre keine Hand, der Staat muß dir helfen!" Vor allem aber: die
Voraussetzung für die friedliche Lösung der sozialen Frage, d. h. für den wirt¬
schaftlichen Ausgleich zwischen den Berufsklassen und nicht nnr die Befriedi¬
gung der Bedürfnisse des vierten Standes, die unabweisliche Voraussetzung da¬
für ist gerade das, was die sozialdemokratischen Führer nicht wollen, eine starke
Monarchie, die die ständische Selbstsucht zur Rechten und zur Linken zügelt,
und ein mächtiges, zu Land und See waffenstarkes Deutschland, das seinen
Söhnen die Bahnen zu Reichtum und Besitz auf allen Meeren und in allen
Erdteilen öffnet.

Daß wir diese beiden Voraussetzungen haben, das danken wir unter den
Lebenden keinem in höherm Grade als dem Fürsten Bismarck. Es mag manche
wichtige Fragen geben, in denen ein jüngeres Geschlecht von seiner Auffassung
abweicht oder abweichen wird, denn es ist das Kennzeichen echter Größe, daß ihr
Wirken weit hinausreicht über das, was sie selbst gewollt hat, weil sie ein gött-


Zum achtzigsten Geburtstage des Fürsten Bismarck

der riesigen Kapitalanhäufnng in den Händen weniger zu steuern, damit sich
unser Volk nicht auflöse in eine verjudete Geldaristokratie, die doch des wahren
Adels, des engen Zusammenhanges mit dem Lande und des Gefühls hoher
Verpflichtung gänzlich entbehren würde, und in eine thatsächlich versklavte Blasse,
die am Staat überhaupt keinen innern Anteil mehr nähme. Und die Lösung
dieser schwersten aller Fragen hat Fürst Bismarck nicht nur überhaupt erst
ermöglicht, sondern auch tapfer in Angriff genommen; das nationale Königtum
wurde sozial. Jetzt allerdings geberden sich ganze Parteien, als ob die Alters¬
und Unfallversicherung überhaupt gar nicht geschaffen worden wäre, und als ob
Fürst Bismarck in sozialen Dingen nichts weiter geleistet hätte, als das Gesetz
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie von 1878, das
er bekanntlich erst einbrachte, als ein Schrei der Empörung über die Frevel¬
thaten sozialdemokratischer Fanatiker gegen das ehrwürdige Haupt Kaiser Wil¬
helms I. durch das Land ging. Man sehe sich doch um in der Welt, ob irgend¬
wo etwas ähnliches wie jene sozialpolitischen Gesetze auch nur versucht wordeu
ist, ob dem sogenannten vierten Stande irgendwo mehr oder auch nur etwas
ähnliches geboten worden ist als bei uns! Etwa in dem parlamentarischen Eng¬
land? oder in dem demokratische!? Frankreich? oder in dem liberalen Musterstaate
Belgien? oder in dem lange gepriesenen Lande der Freiheit, in Nordamerika ?
Alles Menschenwerk hat nur relativen Wert; daher ist es unbillig, nur immer
absolute Forderungen zu stellen, nur hervorzuheben, was noch geschehen soll,
und zu vergessen, was schon geschehen ist. Gewiß, es muß noch viel mehr
geschehen, aber es ist eine Thorheit und ein Unrecht, die wirtschaftlichen
Fragen immer nur vom Standpunkte des vierten Standes aus zu betrachten,
und es ist eine noch weit größere Thorheit, alles Elend auf der Welt mit
Gesetzen wegschaffen zu wollen. In alten Zeiten sagte man tapfer: „Hilf dir
selbst, und Gott wird dir helfen"; jetzt müßte man das in die Worte über¬
setzen: „Rühre keine Hand, der Staat muß dir helfen!" Vor allem aber: die
Voraussetzung für die friedliche Lösung der sozialen Frage, d. h. für den wirt¬
schaftlichen Ausgleich zwischen den Berufsklassen und nicht nnr die Befriedi¬
gung der Bedürfnisse des vierten Standes, die unabweisliche Voraussetzung da¬
für ist gerade das, was die sozialdemokratischen Führer nicht wollen, eine starke
Monarchie, die die ständische Selbstsucht zur Rechten und zur Linken zügelt,
und ein mächtiges, zu Land und See waffenstarkes Deutschland, das seinen
Söhnen die Bahnen zu Reichtum und Besitz auf allen Meeren und in allen
Erdteilen öffnet.

Daß wir diese beiden Voraussetzungen haben, das danken wir unter den
Lebenden keinem in höherm Grade als dem Fürsten Bismarck. Es mag manche
wichtige Fragen geben, in denen ein jüngeres Geschlecht von seiner Auffassung
abweicht oder abweichen wird, denn es ist das Kennzeichen echter Größe, daß ihr
Wirken weit hinausreicht über das, was sie selbst gewollt hat, weil sie ein gött-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219624"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum achtzigsten Geburtstage des Fürsten Bismarck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1934" prev="#ID_1933"> der riesigen Kapitalanhäufnng in den Händen weniger zu steuern, damit sich<lb/>
unser Volk nicht auflöse in eine verjudete Geldaristokratie, die doch des wahren<lb/>
Adels, des engen Zusammenhanges mit dem Lande und des Gefühls hoher<lb/>
Verpflichtung gänzlich entbehren würde, und in eine thatsächlich versklavte Blasse,<lb/>
die am Staat überhaupt keinen innern Anteil mehr nähme. Und die Lösung<lb/>
dieser schwersten aller Fragen hat Fürst Bismarck nicht nur überhaupt erst<lb/>
ermöglicht, sondern auch tapfer in Angriff genommen; das nationale Königtum<lb/>
wurde sozial. Jetzt allerdings geberden sich ganze Parteien, als ob die Alters¬<lb/>
und Unfallversicherung überhaupt gar nicht geschaffen worden wäre, und als ob<lb/>
Fürst Bismarck in sozialen Dingen nichts weiter geleistet hätte, als das Gesetz<lb/>
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie von 1878, das<lb/>
er bekanntlich erst einbrachte, als ein Schrei der Empörung über die Frevel¬<lb/>
thaten sozialdemokratischer Fanatiker gegen das ehrwürdige Haupt Kaiser Wil¬<lb/>
helms I. durch das Land ging. Man sehe sich doch um in der Welt, ob irgend¬<lb/>
wo etwas ähnliches wie jene sozialpolitischen Gesetze auch nur versucht wordeu<lb/>
ist, ob dem sogenannten vierten Stande irgendwo mehr oder auch nur etwas<lb/>
ähnliches geboten worden ist als bei uns! Etwa in dem parlamentarischen Eng¬<lb/>
land? oder in dem demokratische!? Frankreich? oder in dem liberalen Musterstaate<lb/>
Belgien? oder in dem lange gepriesenen Lande der Freiheit, in Nordamerika ?<lb/>
Alles Menschenwerk hat nur relativen Wert; daher ist es unbillig, nur immer<lb/>
absolute Forderungen zu stellen, nur hervorzuheben, was noch geschehen soll,<lb/>
und zu vergessen, was schon geschehen ist. Gewiß, es muß noch viel mehr<lb/>
geschehen, aber es ist eine Thorheit und ein Unrecht, die wirtschaftlichen<lb/>
Fragen immer nur vom Standpunkte des vierten Standes aus zu betrachten,<lb/>
und es ist eine noch weit größere Thorheit, alles Elend auf der Welt mit<lb/>
Gesetzen wegschaffen zu wollen. In alten Zeiten sagte man tapfer: &#x201E;Hilf dir<lb/>
selbst, und Gott wird dir helfen"; jetzt müßte man das in die Worte über¬<lb/>
setzen: &#x201E;Rühre keine Hand, der Staat muß dir helfen!" Vor allem aber: die<lb/>
Voraussetzung für die friedliche Lösung der sozialen Frage, d. h. für den wirt¬<lb/>
schaftlichen Ausgleich zwischen den Berufsklassen und nicht nnr die Befriedi¬<lb/>
gung der Bedürfnisse des vierten Standes, die unabweisliche Voraussetzung da¬<lb/>
für ist gerade das, was die sozialdemokratischen Führer nicht wollen, eine starke<lb/>
Monarchie, die die ständische Selbstsucht zur Rechten und zur Linken zügelt,<lb/>
und ein mächtiges, zu Land und See waffenstarkes Deutschland, das seinen<lb/>
Söhnen die Bahnen zu Reichtum und Besitz auf allen Meeren und in allen<lb/>
Erdteilen öffnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1935" next="#ID_1936"> Daß wir diese beiden Voraussetzungen haben, das danken wir unter den<lb/>
Lebenden keinem in höherm Grade als dem Fürsten Bismarck. Es mag manche<lb/>
wichtige Fragen geben, in denen ein jüngeres Geschlecht von seiner Auffassung<lb/>
abweicht oder abweichen wird, denn es ist das Kennzeichen echter Größe, daß ihr<lb/>
Wirken weit hinausreicht über das, was sie selbst gewollt hat, weil sie ein gött-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0620] Zum achtzigsten Geburtstage des Fürsten Bismarck der riesigen Kapitalanhäufnng in den Händen weniger zu steuern, damit sich unser Volk nicht auflöse in eine verjudete Geldaristokratie, die doch des wahren Adels, des engen Zusammenhanges mit dem Lande und des Gefühls hoher Verpflichtung gänzlich entbehren würde, und in eine thatsächlich versklavte Blasse, die am Staat überhaupt keinen innern Anteil mehr nähme. Und die Lösung dieser schwersten aller Fragen hat Fürst Bismarck nicht nur überhaupt erst ermöglicht, sondern auch tapfer in Angriff genommen; das nationale Königtum wurde sozial. Jetzt allerdings geberden sich ganze Parteien, als ob die Alters¬ und Unfallversicherung überhaupt gar nicht geschaffen worden wäre, und als ob Fürst Bismarck in sozialen Dingen nichts weiter geleistet hätte, als das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie von 1878, das er bekanntlich erst einbrachte, als ein Schrei der Empörung über die Frevel¬ thaten sozialdemokratischer Fanatiker gegen das ehrwürdige Haupt Kaiser Wil¬ helms I. durch das Land ging. Man sehe sich doch um in der Welt, ob irgend¬ wo etwas ähnliches wie jene sozialpolitischen Gesetze auch nur versucht wordeu ist, ob dem sogenannten vierten Stande irgendwo mehr oder auch nur etwas ähnliches geboten worden ist als bei uns! Etwa in dem parlamentarischen Eng¬ land? oder in dem demokratische!? Frankreich? oder in dem liberalen Musterstaate Belgien? oder in dem lange gepriesenen Lande der Freiheit, in Nordamerika ? Alles Menschenwerk hat nur relativen Wert; daher ist es unbillig, nur immer absolute Forderungen zu stellen, nur hervorzuheben, was noch geschehen soll, und zu vergessen, was schon geschehen ist. Gewiß, es muß noch viel mehr geschehen, aber es ist eine Thorheit und ein Unrecht, die wirtschaftlichen Fragen immer nur vom Standpunkte des vierten Standes aus zu betrachten, und es ist eine noch weit größere Thorheit, alles Elend auf der Welt mit Gesetzen wegschaffen zu wollen. In alten Zeiten sagte man tapfer: „Hilf dir selbst, und Gott wird dir helfen"; jetzt müßte man das in die Worte über¬ setzen: „Rühre keine Hand, der Staat muß dir helfen!" Vor allem aber: die Voraussetzung für die friedliche Lösung der sozialen Frage, d. h. für den wirt¬ schaftlichen Ausgleich zwischen den Berufsklassen und nicht nnr die Befriedi¬ gung der Bedürfnisse des vierten Standes, die unabweisliche Voraussetzung da¬ für ist gerade das, was die sozialdemokratischen Führer nicht wollen, eine starke Monarchie, die die ständische Selbstsucht zur Rechten und zur Linken zügelt, und ein mächtiges, zu Land und See waffenstarkes Deutschland, das seinen Söhnen die Bahnen zu Reichtum und Besitz auf allen Meeren und in allen Erdteilen öffnet. Daß wir diese beiden Voraussetzungen haben, das danken wir unter den Lebenden keinem in höherm Grade als dem Fürsten Bismarck. Es mag manche wichtige Fragen geben, in denen ein jüngeres Geschlecht von seiner Auffassung abweicht oder abweichen wird, denn es ist das Kennzeichen echter Größe, daß ihr Wirken weit hinausreicht über das, was sie selbst gewollt hat, weil sie ein gött-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/620
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/620>, abgerufen am 22.07.2024.