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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die öffentliche Meinung

das örtliche Gebiet der Verbreitung, als was die Anzahl der Leser betrifft,
eine Presse, die durch große hauptstädtische Organe die politische Gesinnung
der "nach Bildung und Besitz maßgebenden" Klassen keimen und gedeihen läßt
und durch die in Gestalt unzähliger kleiner Winkelblätter von jenen Haupt-
strömen abfließenden Bäche und Kanüle dem kleinen Manne die Milch der
politischen Denkungsart zuführt. Man wird deshalb nicht fehlgehen, wenn
man gerade diese herrschende Presse im großen und ganzen nicht allein als die
Trägerin der öffentlichen Meinung, sondern als die sie recht eigentlich schaffende
Macht ansieht.

Ihr Geist wird daran erkannt, daß er überall und stets verneint, wo es
sich nicht um die materiellen Güter des Lebens, den Mammon, handelt; diese
dagegen erstrebt und verteidigt er mit voller Kraft, ja mit wilder Leidenschaft.
Infolgedessen steht diese Presse vor allem der Macht, die ihrer Natur nach
antimammonistisch ist, nämlich dem Christentum und seiner konkreten Erschei¬
nung, der Kirche, als unversöhnliche Gegnerin oder wenigstens völlig gleich-
giltig und ohne Verständnis gegenüber; sie bestreitet mit Entschiedenheit den
Anspruch der Kirche, Trägerin einer göttlichen Wahrheit zu sein, und bezeichnet
als Vorbedingung menschlichen Glücks, außerhalb des Schattens der Kirche
leben und sterben zu können. Wo sich die Vertreter von Christentum und
Kirche zurückhalten und schweigen, da werden sie von der herrschenden Presse
mit stiller Verachtung geduldet, wo sie dagegen mit ihrer Überzeugung hervor¬
treten und sie etwa gar in die Massen zu tragen unternehmen, da bekämpft
sie jene Presse in der nachdrücklichsten und rücksichtslosesten Weise, allerdings
je nach der Stufe, auf der die Leiter und Leser der einzelnen Preßorgane
stehen, in verschiedner Tonart, von vornehmem Absprechen bis zu fanatischem
Hohn und Haß, was aber in der Sache keinen Unterschied macht. Und wie
einer überirdischen Autorität, so verhält sich die herrschende Presse im Grunde
genommen auch jeder irdischen, insbesondre der Staatsregierung gegenüber ab¬
lehnend, insoweit diese nicht bereit ist, die Interessen des Mammons wahr¬
zunehmen und zu vertreten. Denn dieser gilt als Herr der Welt; wo er sein
Reich aufschlüge, da, wird verkündigt, schwinden Zwang, Verdummung und
Roheit, die das unglückliche Volk bis dahin i" Banden hielten, und es ringt
sich durch zur Freiheit, Gesundheit, Bildung, Intelligenz und Humanität.
Darum wurde es beispielsweise als Kulturkampf gepriesen, als die Staats¬
gewalt vor zwanzig Jahren, von dem kirchenfeindlichen Strome der öffentlichen
Meinung getragen, jenen verfehlten Eingriff in die Angelegenheiten der beiden
christlichen Kirchen unternahm.

Ihr Dasein aber und ihre Lebenskraft wie ihre Verbreitung verdankt die
herrschende Presse an erster Stelle der Macht, in deren Dienste sie steht, dem
Gelde. Das ist der Grund, weshalb sie jahraus jahrein mit ihren zahllosen
Blättern und Blättchen das Land überschwemmt, und weshalb eine Presse von


Grenzboten I 1895 7g
Die öffentliche Meinung

das örtliche Gebiet der Verbreitung, als was die Anzahl der Leser betrifft,
eine Presse, die durch große hauptstädtische Organe die politische Gesinnung
der „nach Bildung und Besitz maßgebenden" Klassen keimen und gedeihen läßt
und durch die in Gestalt unzähliger kleiner Winkelblätter von jenen Haupt-
strömen abfließenden Bäche und Kanüle dem kleinen Manne die Milch der
politischen Denkungsart zuführt. Man wird deshalb nicht fehlgehen, wenn
man gerade diese herrschende Presse im großen und ganzen nicht allein als die
Trägerin der öffentlichen Meinung, sondern als die sie recht eigentlich schaffende
Macht ansieht.

Ihr Geist wird daran erkannt, daß er überall und stets verneint, wo es
sich nicht um die materiellen Güter des Lebens, den Mammon, handelt; diese
dagegen erstrebt und verteidigt er mit voller Kraft, ja mit wilder Leidenschaft.
Infolgedessen steht diese Presse vor allem der Macht, die ihrer Natur nach
antimammonistisch ist, nämlich dem Christentum und seiner konkreten Erschei¬
nung, der Kirche, als unversöhnliche Gegnerin oder wenigstens völlig gleich-
giltig und ohne Verständnis gegenüber; sie bestreitet mit Entschiedenheit den
Anspruch der Kirche, Trägerin einer göttlichen Wahrheit zu sein, und bezeichnet
als Vorbedingung menschlichen Glücks, außerhalb des Schattens der Kirche
leben und sterben zu können. Wo sich die Vertreter von Christentum und
Kirche zurückhalten und schweigen, da werden sie von der herrschenden Presse
mit stiller Verachtung geduldet, wo sie dagegen mit ihrer Überzeugung hervor¬
treten und sie etwa gar in die Massen zu tragen unternehmen, da bekämpft
sie jene Presse in der nachdrücklichsten und rücksichtslosesten Weise, allerdings
je nach der Stufe, auf der die Leiter und Leser der einzelnen Preßorgane
stehen, in verschiedner Tonart, von vornehmem Absprechen bis zu fanatischem
Hohn und Haß, was aber in der Sache keinen Unterschied macht. Und wie
einer überirdischen Autorität, so verhält sich die herrschende Presse im Grunde
genommen auch jeder irdischen, insbesondre der Staatsregierung gegenüber ab¬
lehnend, insoweit diese nicht bereit ist, die Interessen des Mammons wahr¬
zunehmen und zu vertreten. Denn dieser gilt als Herr der Welt; wo er sein
Reich aufschlüge, da, wird verkündigt, schwinden Zwang, Verdummung und
Roheit, die das unglückliche Volk bis dahin i» Banden hielten, und es ringt
sich durch zur Freiheit, Gesundheit, Bildung, Intelligenz und Humanität.
Darum wurde es beispielsweise als Kulturkampf gepriesen, als die Staats¬
gewalt vor zwanzig Jahren, von dem kirchenfeindlichen Strome der öffentlichen
Meinung getragen, jenen verfehlten Eingriff in die Angelegenheiten der beiden
christlichen Kirchen unternahm.

Ihr Dasein aber und ihre Lebenskraft wie ihre Verbreitung verdankt die
herrschende Presse an erster Stelle der Macht, in deren Dienste sie steht, dem
Gelde. Das ist der Grund, weshalb sie jahraus jahrein mit ihren zahllosen
Blättern und Blättchen das Land überschwemmt, und weshalb eine Presse von


Grenzboten I 1895 7g
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[0567] Die öffentliche Meinung das örtliche Gebiet der Verbreitung, als was die Anzahl der Leser betrifft, eine Presse, die durch große hauptstädtische Organe die politische Gesinnung der „nach Bildung und Besitz maßgebenden" Klassen keimen und gedeihen läßt und durch die in Gestalt unzähliger kleiner Winkelblätter von jenen Haupt- strömen abfließenden Bäche und Kanüle dem kleinen Manne die Milch der politischen Denkungsart zuführt. Man wird deshalb nicht fehlgehen, wenn man gerade diese herrschende Presse im großen und ganzen nicht allein als die Trägerin der öffentlichen Meinung, sondern als die sie recht eigentlich schaffende Macht ansieht. Ihr Geist wird daran erkannt, daß er überall und stets verneint, wo es sich nicht um die materiellen Güter des Lebens, den Mammon, handelt; diese dagegen erstrebt und verteidigt er mit voller Kraft, ja mit wilder Leidenschaft. Infolgedessen steht diese Presse vor allem der Macht, die ihrer Natur nach antimammonistisch ist, nämlich dem Christentum und seiner konkreten Erschei¬ nung, der Kirche, als unversöhnliche Gegnerin oder wenigstens völlig gleich- giltig und ohne Verständnis gegenüber; sie bestreitet mit Entschiedenheit den Anspruch der Kirche, Trägerin einer göttlichen Wahrheit zu sein, und bezeichnet als Vorbedingung menschlichen Glücks, außerhalb des Schattens der Kirche leben und sterben zu können. Wo sich die Vertreter von Christentum und Kirche zurückhalten und schweigen, da werden sie von der herrschenden Presse mit stiller Verachtung geduldet, wo sie dagegen mit ihrer Überzeugung hervor¬ treten und sie etwa gar in die Massen zu tragen unternehmen, da bekämpft sie jene Presse in der nachdrücklichsten und rücksichtslosesten Weise, allerdings je nach der Stufe, auf der die Leiter und Leser der einzelnen Preßorgane stehen, in verschiedner Tonart, von vornehmem Absprechen bis zu fanatischem Hohn und Haß, was aber in der Sache keinen Unterschied macht. Und wie einer überirdischen Autorität, so verhält sich die herrschende Presse im Grunde genommen auch jeder irdischen, insbesondre der Staatsregierung gegenüber ab¬ lehnend, insoweit diese nicht bereit ist, die Interessen des Mammons wahr¬ zunehmen und zu vertreten. Denn dieser gilt als Herr der Welt; wo er sein Reich aufschlüge, da, wird verkündigt, schwinden Zwang, Verdummung und Roheit, die das unglückliche Volk bis dahin i» Banden hielten, und es ringt sich durch zur Freiheit, Gesundheit, Bildung, Intelligenz und Humanität. Darum wurde es beispielsweise als Kulturkampf gepriesen, als die Staats¬ gewalt vor zwanzig Jahren, von dem kirchenfeindlichen Strome der öffentlichen Meinung getragen, jenen verfehlten Eingriff in die Angelegenheiten der beiden christlichen Kirchen unternahm. Ihr Dasein aber und ihre Lebenskraft wie ihre Verbreitung verdankt die herrschende Presse an erster Stelle der Macht, in deren Dienste sie steht, dem Gelde. Das ist der Grund, weshalb sie jahraus jahrein mit ihren zahllosen Blättern und Blättchen das Land überschwemmt, und weshalb eine Presse von Grenzboten I 1895 7g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/567>, abgerufen am 23.07.2024.