Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Die öffentliche Meinung sanken -- Dvgmenzwang -- Stöckerei und Muckerei, das letzte mit besonders Wie bekannt, wirkt die Agitation nun in zweierlei Strömen auf das Was zunächst die Presse betrifft, diese "sechste Großmacht," wie sie sich Was eine solche Abhängigkeit der Presse zu bedeuten hat, wird erst klar, Der Einfluß der Presse ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, so über¬ Die öffentliche Meinung sanken — Dvgmenzwang — Stöckerei und Muckerei, das letzte mit besonders Wie bekannt, wirkt die Agitation nun in zweierlei Strömen auf das Was zunächst die Presse betrifft, diese „sechste Großmacht," wie sie sich Was eine solche Abhängigkeit der Presse zu bedeuten hat, wird erst klar, Der Einfluß der Presse ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, so über¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219567"/> <fw type="header" place="top"> Die öffentliche Meinung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1731" prev="#ID_1730"> sanken — Dvgmenzwang — Stöckerei und Muckerei, das letzte mit besonders<lb/> durchschlagender Kraft wegen seiner lautlicher Beschaffenheit: es wird auf billige<lb/> Weise die Vorstellung von Stöcken und ähnlichen Gegenständen angeregt, die<lb/> durch den Gleichklang der Wörter in die von Verstockung, Verdumpfung und<lb/> Versumpfung hinübergeleitet wird. Der allen durch jene Schlagwörter erzeugten<lb/> Vorstellungen gemeinsame Gegenstand ist ein unberechtigter und deshalb wider¬<lb/> wärtiger Eingriff in die edle Menschennatur: worin er im einzelnen besteht,<lb/> und ob er überhaupt vorliegt, das kommt nicht in Frage, es genügt, daß<lb/> er behauptet wird, und daß auf die Personen und Bevölkerungsklasfen, von<lb/> denen er ausgehen soll, hingezeigt wird, um gegen deren Bestrebungen einzu¬<lb/> nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1732"> Wie bekannt, wirkt die Agitation nun in zweierlei Strömen auf das<lb/> Publikum. Der erste und am schärfsten wirkende ist die Presse, die, jahraus<lb/> jahrein den Acker der politischen Gesinnung des Publikums sorglich und metho¬<lb/> disch bestellend, bei besondern Gelegenheiten, wo eine Kundgebung der öffent¬<lb/> lichen Meinung notwendig wird, namentlich also bei den politischen Wahlen,<lb/> ihre Ernte hält. Der zweite Strom ist die Rede in der öffentlichen politischen<lb/> Versammlung; seine Anwendung bleibt auf jene besondern Gelegenheiten be¬<lb/> schränkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1733"> Was zunächst die Presse betrifft, diese „sechste Großmacht," wie sie sich<lb/> selber gern nennt, so ist allgemein bekannt, daß ihre sogenannten Leiter, die<lb/> Herren von der Presse, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, entweder<lb/> selbst Führer einer bestimmten politischen Partei sind, oder im Solde sei es<lb/> der Regierung, sei es von Privatleuten stehen, in deren Eigentum sich das<lb/> betreffende Zeitungsunternehmen befindet; natürlich haben sie in diesem Falle<lb/> ihre Thätigkeit genau nach den Vorschriften ihrer Machtgeber einzurichten und<lb/> keine Gelegenheit, ihrer eignen Überzeugung Ausdruck zu geben, was übrigens<lb/> nichts verschlüge, da sie eine solche meistens nicht haben. Die Eigentümer der<lb/> Zeitungen aber sind selbst entweder maßgebende Mitglieder einer Partei oder<lb/> durch ihr geschäftliches Interesse veranlaßt, ihr Unternehmen in den Dienst einer<lb/> bestimmten Partei zu stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1734"> Was eine solche Abhängigkeit der Presse zu bedeuten hat, wird erst klar,<lb/> wenn man einmal ihren Einfluß und sodann die Parteien, denen der über¬<lb/> wiegende Teil der Presse zu Gebote steht, in Betracht zieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1735" next="#ID_1736"> Der Einfluß der Presse ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, so über¬<lb/> müßig stark, daß er fast unfehlbar Erfolg hat. Er zeigt uns das seltsame<lb/> Schauspiel, daß der Mensch, das denkende Wesen, das ^o,^ zum<lb/> wollenden und Handelnden Staatsbürger erst durch die Zeitungen wird. Daß<lb/> hiermit nicht zuviel gesagt ist, zeigt ein unbefangner Blick in das tägliche Leben.<lb/> Man darf wohl unbedenklich behaupten, daß gerade in jenen von der Agitation<lb/> durch hohle Phrasen erzeugten nebelhaften Vorstellungen, die in der täglichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0565]
Die öffentliche Meinung
sanken — Dvgmenzwang — Stöckerei und Muckerei, das letzte mit besonders
durchschlagender Kraft wegen seiner lautlicher Beschaffenheit: es wird auf billige
Weise die Vorstellung von Stöcken und ähnlichen Gegenständen angeregt, die
durch den Gleichklang der Wörter in die von Verstockung, Verdumpfung und
Versumpfung hinübergeleitet wird. Der allen durch jene Schlagwörter erzeugten
Vorstellungen gemeinsame Gegenstand ist ein unberechtigter und deshalb wider¬
wärtiger Eingriff in die edle Menschennatur: worin er im einzelnen besteht,
und ob er überhaupt vorliegt, das kommt nicht in Frage, es genügt, daß
er behauptet wird, und daß auf die Personen und Bevölkerungsklasfen, von
denen er ausgehen soll, hingezeigt wird, um gegen deren Bestrebungen einzu¬
nehmen.
Wie bekannt, wirkt die Agitation nun in zweierlei Strömen auf das
Publikum. Der erste und am schärfsten wirkende ist die Presse, die, jahraus
jahrein den Acker der politischen Gesinnung des Publikums sorglich und metho¬
disch bestellend, bei besondern Gelegenheiten, wo eine Kundgebung der öffent¬
lichen Meinung notwendig wird, namentlich also bei den politischen Wahlen,
ihre Ernte hält. Der zweite Strom ist die Rede in der öffentlichen politischen
Versammlung; seine Anwendung bleibt auf jene besondern Gelegenheiten be¬
schränkt.
Was zunächst die Presse betrifft, diese „sechste Großmacht," wie sie sich
selber gern nennt, so ist allgemein bekannt, daß ihre sogenannten Leiter, die
Herren von der Presse, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, entweder
selbst Führer einer bestimmten politischen Partei sind, oder im Solde sei es
der Regierung, sei es von Privatleuten stehen, in deren Eigentum sich das
betreffende Zeitungsunternehmen befindet; natürlich haben sie in diesem Falle
ihre Thätigkeit genau nach den Vorschriften ihrer Machtgeber einzurichten und
keine Gelegenheit, ihrer eignen Überzeugung Ausdruck zu geben, was übrigens
nichts verschlüge, da sie eine solche meistens nicht haben. Die Eigentümer der
Zeitungen aber sind selbst entweder maßgebende Mitglieder einer Partei oder
durch ihr geschäftliches Interesse veranlaßt, ihr Unternehmen in den Dienst einer
bestimmten Partei zu stellen.
Was eine solche Abhängigkeit der Presse zu bedeuten hat, wird erst klar,
wenn man einmal ihren Einfluß und sodann die Parteien, denen der über¬
wiegende Teil der Presse zu Gebote steht, in Betracht zieht.
Der Einfluß der Presse ist, wie die tägliche Erfahrung lehrt, so über¬
müßig stark, daß er fast unfehlbar Erfolg hat. Er zeigt uns das seltsame
Schauspiel, daß der Mensch, das denkende Wesen, das ^o,^ zum
wollenden und Handelnden Staatsbürger erst durch die Zeitungen wird. Daß
hiermit nicht zuviel gesagt ist, zeigt ein unbefangner Blick in das tägliche Leben.
Man darf wohl unbedenklich behaupten, daß gerade in jenen von der Agitation
durch hohle Phrasen erzeugten nebelhaften Vorstellungen, die in der täglichen
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