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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Handlungen, die mit grauer Theorie das leuchtende Leben in Fesseln schlagen, nein,
bei aller Wissenschaftlichkeit verfällt der Verfasser doch nicht in einen kühlen Ge¬
lehrtenton. Er hat vor allem die Natur selbst mit dem Herzen aufgenommen und
genossen, mit inniger Liebe hängt er besonders an den Bergen und Wäldern und
an der muntern, wechselnden Vogelwelt unsers Vaterlandes. Und was er selbst
empfindet, das weiß er auch uns oft in scherzhafter und Poetischer Darstellung lieb
zu machen, und so wird jeder reiche Anregung aus seinen Beobachtungen empfangen.
Ja, und das darf man wohl besonders hervorheben, Marshnll lehrt uns wieder
einmal, daß auch der treueste Anhänger darwinistischer Hypothesen hinter der
physischen Welt, die er zu verstehen sucht, die Geisteswelt eines lebendigen Gottes
erkennen kann; freilich daß er nicht in den Verdacht kommen möge, ein "Positiver"
Christ zu sein, das giebt er uns in allerlei nicht gerade nötigen Zwischenbemer¬
kungen zu verstehe".

Dank dem angeschlagnen Plauderton ist die Sprache der Aufsätze klar und
frisch. Freilich hält auch Marshall gewisse Eigenheiten des Zeitungsdeutsch, so die
Inversion nach "und," für eine Zierde der Sprache. Ganz selten glücklicherweise
überfällt er uns mit so schwerem Geschütz, wie dem folgenden Satze: "Der rcidiiire
Typus der Leibesarchitektnr findet sich nur bei Wassertiereu, nämlich bei den
Cölenteraten (den Schwämme", Polypen und Quallen) und bei den Echinodermen
(den Holothurien, Seeigeln, Seesternen und Seelilien) und ist nur selten ans Kosten
einer sekundär sich heraus(!)bildenden bilateralen Symmetrie, wie immer bei
Rippenquallen, gelegentlich bei Holothurien und Seeigeln, zurückgedrängt oder häu¬
figer infolge uralter Sessilität, wie bei deu meiste" ausgebildete" Spongien, voll¬
ständig verwischt."

Beide Bände sind schon ausgestattet, auch mit einer Reihe von Illustrationen
geschmückt, vou denen allerdings manche wenig Zweck haben (so die kleinen an den
Rand des Textes gesetzten Vignetten und besonders das grane Chaos: II, 182).
Leider sind recht viele Druckfehler stehen geblieben. Wenn wir aber als ein Zitat
ans dem Wallenstein angeführt finden:


Das Szepter in des Königs Hand,
Ist nichts als eine Prügel, wie bekannt,

ist das auch ein Druckfehler?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Handlungen, die mit grauer Theorie das leuchtende Leben in Fesseln schlagen, nein,
bei aller Wissenschaftlichkeit verfällt der Verfasser doch nicht in einen kühlen Ge¬
lehrtenton. Er hat vor allem die Natur selbst mit dem Herzen aufgenommen und
genossen, mit inniger Liebe hängt er besonders an den Bergen und Wäldern und
an der muntern, wechselnden Vogelwelt unsers Vaterlandes. Und was er selbst
empfindet, das weiß er auch uns oft in scherzhafter und Poetischer Darstellung lieb
zu machen, und so wird jeder reiche Anregung aus seinen Beobachtungen empfangen.
Ja, und das darf man wohl besonders hervorheben, Marshnll lehrt uns wieder
einmal, daß auch der treueste Anhänger darwinistischer Hypothesen hinter der
physischen Welt, die er zu verstehen sucht, die Geisteswelt eines lebendigen Gottes
erkennen kann; freilich daß er nicht in den Verdacht kommen möge, ein „Positiver"
Christ zu sein, das giebt er uns in allerlei nicht gerade nötigen Zwischenbemer¬
kungen zu verstehe».

Dank dem angeschlagnen Plauderton ist die Sprache der Aufsätze klar und
frisch. Freilich hält auch Marshall gewisse Eigenheiten des Zeitungsdeutsch, so die
Inversion nach „und," für eine Zierde der Sprache. Ganz selten glücklicherweise
überfällt er uns mit so schwerem Geschütz, wie dem folgenden Satze: „Der rcidiiire
Typus der Leibesarchitektnr findet sich nur bei Wassertiereu, nämlich bei den
Cölenteraten (den Schwämme», Polypen und Quallen) und bei den Echinodermen
(den Holothurien, Seeigeln, Seesternen und Seelilien) und ist nur selten ans Kosten
einer sekundär sich heraus(!)bildenden bilateralen Symmetrie, wie immer bei
Rippenquallen, gelegentlich bei Holothurien und Seeigeln, zurückgedrängt oder häu¬
figer infolge uralter Sessilität, wie bei deu meiste» ausgebildete» Spongien, voll¬
ständig verwischt."

Beide Bände sind schon ausgestattet, auch mit einer Reihe von Illustrationen
geschmückt, vou denen allerdings manche wenig Zweck haben (so die kleinen an den
Rand des Textes gesetzten Vignetten und besonders das grane Chaos: II, 182).
Leider sind recht viele Druckfehler stehen geblieben. Wenn wir aber als ein Zitat
ans dem Wallenstein angeführt finden:


Das Szepter in des Königs Hand,
Ist nichts als eine Prügel, wie bekannt,

ist das auch ein Druckfehler?






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0554] Litteratur Handlungen, die mit grauer Theorie das leuchtende Leben in Fesseln schlagen, nein, bei aller Wissenschaftlichkeit verfällt der Verfasser doch nicht in einen kühlen Ge¬ lehrtenton. Er hat vor allem die Natur selbst mit dem Herzen aufgenommen und genossen, mit inniger Liebe hängt er besonders an den Bergen und Wäldern und an der muntern, wechselnden Vogelwelt unsers Vaterlandes. Und was er selbst empfindet, das weiß er auch uns oft in scherzhafter und Poetischer Darstellung lieb zu machen, und so wird jeder reiche Anregung aus seinen Beobachtungen empfangen. Ja, und das darf man wohl besonders hervorheben, Marshnll lehrt uns wieder einmal, daß auch der treueste Anhänger darwinistischer Hypothesen hinter der physischen Welt, die er zu verstehen sucht, die Geisteswelt eines lebendigen Gottes erkennen kann; freilich daß er nicht in den Verdacht kommen möge, ein „Positiver" Christ zu sein, das giebt er uns in allerlei nicht gerade nötigen Zwischenbemer¬ kungen zu verstehe». Dank dem angeschlagnen Plauderton ist die Sprache der Aufsätze klar und frisch. Freilich hält auch Marshall gewisse Eigenheiten des Zeitungsdeutsch, so die Inversion nach „und," für eine Zierde der Sprache. Ganz selten glücklicherweise überfällt er uns mit so schwerem Geschütz, wie dem folgenden Satze: „Der rcidiiire Typus der Leibesarchitektnr findet sich nur bei Wassertiereu, nämlich bei den Cölenteraten (den Schwämme», Polypen und Quallen) und bei den Echinodermen (den Holothurien, Seeigeln, Seesternen und Seelilien) und ist nur selten ans Kosten einer sekundär sich heraus(!)bildenden bilateralen Symmetrie, wie immer bei Rippenquallen, gelegentlich bei Holothurien und Seeigeln, zurückgedrängt oder häu¬ figer infolge uralter Sessilität, wie bei deu meiste» ausgebildete» Spongien, voll¬ ständig verwischt." Beide Bände sind schon ausgestattet, auch mit einer Reihe von Illustrationen geschmückt, vou denen allerdings manche wenig Zweck haben (so die kleinen an den Rand des Textes gesetzten Vignetten und besonders das grane Chaos: II, 182). Leider sind recht viele Druckfehler stehen geblieben. Wenn wir aber als ein Zitat ans dem Wallenstein angeführt finden: Das Szepter in des Königs Hand, Ist nichts als eine Prügel, wie bekannt, ist das auch ein Druckfehler? Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/554>, abgerufen am 22.07.2024.