Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Litteratur Heer kriegerischen Mut, nur die Geistlichen bewußte Religiosität haben! wo die Röscher selbst nennt einmal den erzieherischen den allgemeinsten und not¬ Wer sich über die kindliche Bildlichkeit solcher geistlichen Gedanken erhaben Litteratur Heer kriegerischen Mut, nur die Geistlichen bewußte Religiosität haben! wo die Röscher selbst nennt einmal den erzieherischen den allgemeinsten und not¬ Wer sich über die kindliche Bildlichkeit solcher geistlichen Gedanken erhaben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219056"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_169" prev="#ID_168"> Heer kriegerischen Mut, nur die Geistlichen bewußte Religiosität haben! wo die<lb/> Eltern eilte Erziehungssorge den Erziehern vom Fach überlassen! wo körperliche<lb/> Rüstigkeit nur bei den niedern Klassen zu finden ist!" Zu dieser ernsten Mahnung<lb/> fügt er die weisen Worte: „Je höher ein Mensch steht, desto mehr soll er die<lb/> ganze Menschheit gleichsam vertreten. Wer möchte einen Regenten als Fachmann<lb/> erzogen sehen? Die beste Korrektur für die Einseitigkeiten hoher Arbeitsteilung<lb/> besteht in der Ausdehnung und vielseitigen Benutzung der Muster, was ja beides<lb/> von derselben höhern Kultur, welche mit der Arbeitsteilung zusammenhängt, immer<lb/> mehr erleichtert werd." Ihm selbst War es in seinem Innern unmöglich, die Re¬<lb/> ligion als eine Sache für sich, das Leben als eine Sache für sich, seine Wissen¬<lb/> schaft als eine Sache für sich zu behandeln. Als durchgebildeter Christ hat er den<lb/> Lauf der Weltgeschichte vor ihm, das nationalökonomische Leben um ihn betrachtet,<lb/> als Historiker sowohl das Christentum an seiner Quelle und in seinem Verlaufe<lb/> wie die wirtschaftlichen und sozialen Zustände, vom praktischen nationalökonomischen<lb/> Standpunkt aus die Lehre des Neuen Testaments und die Entwicklung der Völker.<lb/> So hatte er sich eine Harmonie des Lebens und Denkens erarbeitet, die nur ganz<lb/> wenigen begnadeten Naturen angeboren ist, die für alle andern das erste Ziel der<lb/> Selbsterziehung sein soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_170"> Röscher selbst nennt einmal den erzieherischen den allgemeinsten und not¬<lb/> wendigsten aller menschlichen Berufe; er war aber auch von dem Gedanken einer<lb/> göttlichen Erziehung der Menschheit durchdrungen. Eine dunkle Ahnung dieses<lb/> Gedankens findet er in der Furcht der Alten vor dem Neide der Gottheit, nur<lb/> sei das schrecklich falsch ausgedrückt. „Wenn schon jeder gute irdische Vater sein<lb/> Kind lieber durch Milde und Freundlichkeit erziehen wird als durch Strenge, wo<lb/> diese entbehrt werden kann, wieviel mehr dürfen wir es dem himmlischen Vater<lb/> zutrauen, daß er uns nicht mehr Heimsuchungen zuschicken werde, als zu unserm<lb/> wahren Heile notwendig sind!" „Eine der nicht bloß allgemeinsten, sondern auch<lb/> mildesten Erziehungsmaßregeln des himmlischen Vaters, dessen Güte gewiß am<lb/> liebsten zu solchen milden Maßregeln greift," ist ihm das weiße Haar, „in der<lb/> Fülle der Kraft und auf der Höhe der echte, meist unwillkommne oder hinweg¬<lb/> gescherzte Mahner an die Vergänglichkeit alles Irdischen, und zwar nicht in ab¬<lb/> strakter Allgemeinheit, sondern mit der persönlichsten und dadurch eindringlichsten<lb/> Spezialität." Die Ehe offenbart ihm bei jeder tiefer eindringenden Betrachtung<lb/> eine immer größere Fülle der liebevollsten, segensreichsten göttlichen Erziehungs¬<lb/> gedanken, und wie die gegenseitige Bedürftigkeit der Geschlechter, das Lebensalter,<lb/> so wird ihm auch die Armut zu eiuer sittlichen Erziehungsanstalt für beide Teile.<lb/> Im höhern Alter beschäftigt ihn immer lebhafter die Vorstellung vom Leben der<lb/> Seele nach dem Tode: auch hier, ja erst recht hier, denkt er sich die göttliche<lb/> Erziehung thätig, und ein Erziehungsmittel von unvergleichlicher Macht, „ein Pur-<lb/> gatorium im vollsten Sinne des Wortes" enthüllt sich ihm, indem er sich vorstellt:<lb/> „im jenseitigen Leben wird die vom Leibe getrennte Seele mit all ihren Gedanken,<lb/> Wünschen, Gefühlen nicht bloß für Gott, sondern auch sür alle ähnlichen Seelen,<lb/> mit denen sie lebt, vollkommen offenkundig, gleichsam durchsichtig sein." Selbst<lb/> die (nach irdischem Maße gemessen) besten Menschen und edelsten Verhältnisse<lb/> würden bei solcher Durchsichtigkeit noch unendlich oft beschämt werden, bis sie zur<lb/> vollen Wiedergeburt aufgestiegen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_171" next="#ID_172"> Wer sich über die kindliche Bildlichkeit solcher geistlichen Gedanken erhaben<lb/> dünken wollte, dem geben wir zweierlei zu bedenken. Erstens, daß all unser<lb/> Denken und Reden über Gott und unser Verhältnis zu ihm, weil menschlich, nur</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Litteratur
Heer kriegerischen Mut, nur die Geistlichen bewußte Religiosität haben! wo die
Eltern eilte Erziehungssorge den Erziehern vom Fach überlassen! wo körperliche
Rüstigkeit nur bei den niedern Klassen zu finden ist!" Zu dieser ernsten Mahnung
fügt er die weisen Worte: „Je höher ein Mensch steht, desto mehr soll er die
ganze Menschheit gleichsam vertreten. Wer möchte einen Regenten als Fachmann
erzogen sehen? Die beste Korrektur für die Einseitigkeiten hoher Arbeitsteilung
besteht in der Ausdehnung und vielseitigen Benutzung der Muster, was ja beides
von derselben höhern Kultur, welche mit der Arbeitsteilung zusammenhängt, immer
mehr erleichtert werd." Ihm selbst War es in seinem Innern unmöglich, die Re¬
ligion als eine Sache für sich, das Leben als eine Sache für sich, seine Wissen¬
schaft als eine Sache für sich zu behandeln. Als durchgebildeter Christ hat er den
Lauf der Weltgeschichte vor ihm, das nationalökonomische Leben um ihn betrachtet,
als Historiker sowohl das Christentum an seiner Quelle und in seinem Verlaufe
wie die wirtschaftlichen und sozialen Zustände, vom praktischen nationalökonomischen
Standpunkt aus die Lehre des Neuen Testaments und die Entwicklung der Völker.
So hatte er sich eine Harmonie des Lebens und Denkens erarbeitet, die nur ganz
wenigen begnadeten Naturen angeboren ist, die für alle andern das erste Ziel der
Selbsterziehung sein soll.
Röscher selbst nennt einmal den erzieherischen den allgemeinsten und not¬
wendigsten aller menschlichen Berufe; er war aber auch von dem Gedanken einer
göttlichen Erziehung der Menschheit durchdrungen. Eine dunkle Ahnung dieses
Gedankens findet er in der Furcht der Alten vor dem Neide der Gottheit, nur
sei das schrecklich falsch ausgedrückt. „Wenn schon jeder gute irdische Vater sein
Kind lieber durch Milde und Freundlichkeit erziehen wird als durch Strenge, wo
diese entbehrt werden kann, wieviel mehr dürfen wir es dem himmlischen Vater
zutrauen, daß er uns nicht mehr Heimsuchungen zuschicken werde, als zu unserm
wahren Heile notwendig sind!" „Eine der nicht bloß allgemeinsten, sondern auch
mildesten Erziehungsmaßregeln des himmlischen Vaters, dessen Güte gewiß am
liebsten zu solchen milden Maßregeln greift," ist ihm das weiße Haar, „in der
Fülle der Kraft und auf der Höhe der echte, meist unwillkommne oder hinweg¬
gescherzte Mahner an die Vergänglichkeit alles Irdischen, und zwar nicht in ab¬
strakter Allgemeinheit, sondern mit der persönlichsten und dadurch eindringlichsten
Spezialität." Die Ehe offenbart ihm bei jeder tiefer eindringenden Betrachtung
eine immer größere Fülle der liebevollsten, segensreichsten göttlichen Erziehungs¬
gedanken, und wie die gegenseitige Bedürftigkeit der Geschlechter, das Lebensalter,
so wird ihm auch die Armut zu eiuer sittlichen Erziehungsanstalt für beide Teile.
Im höhern Alter beschäftigt ihn immer lebhafter die Vorstellung vom Leben der
Seele nach dem Tode: auch hier, ja erst recht hier, denkt er sich die göttliche
Erziehung thätig, und ein Erziehungsmittel von unvergleichlicher Macht, „ein Pur-
gatorium im vollsten Sinne des Wortes" enthüllt sich ihm, indem er sich vorstellt:
„im jenseitigen Leben wird die vom Leibe getrennte Seele mit all ihren Gedanken,
Wünschen, Gefühlen nicht bloß für Gott, sondern auch sür alle ähnlichen Seelen,
mit denen sie lebt, vollkommen offenkundig, gleichsam durchsichtig sein." Selbst
die (nach irdischem Maße gemessen) besten Menschen und edelsten Verhältnisse
würden bei solcher Durchsichtigkeit noch unendlich oft beschämt werden, bis sie zur
vollen Wiedergeburt aufgestiegen sind.
Wer sich über die kindliche Bildlichkeit solcher geistlichen Gedanken erhaben
dünken wollte, dem geben wir zweierlei zu bedenken. Erstens, daß all unser
Denken und Reden über Gott und unser Verhältnis zu ihm, weil menschlich, nur
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |