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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

für ihre Erhaltung geeignete Vorschläge zu machen. Er hatte sich der Frau
Äbtissin als Beauftragter der Regierung vorgestellt, und diese hatte ihn be¬
sonders an Fräulein von Mechtshausen gewiesen, erstens, weil sie ihr in ihrer
Stubenhaft eine kleine Abwechslung gönnte, dann auch, weil sie deren Unter¬
stützung bei solchen gelegentlichen Berührungen mit Gelehrten und andern
schwer unterzubringenden Männern doch noch lieber sah, als wenn Verwaltungs¬
fragen zur Verhandlung standen. Dieser Dr. Töteberg hatte sich nun auf eine
sehr angenehme Weise eingeführt, indem er die ganze Anlage, die Kirche, die
Kunstschätze des Stifts mit glücklichem Ausdruck lobte und pries und die Ge¬
schichte des Stifts auch wirklich zu kennen schien. Gerade war man dabei
gewesen, die Baupcriodeu der Kirche durchzunehmen, und das junge Mädchen
fing schon an, sich ernstlich zu schämen, daß sie bisher an der alten Kirche
noch nie etwas besondres gefunden hatte, als die Ankunft des Arztes die Lektion
unterbrochen hatte.

Jetzt, nachdem Doktor Utermöhlen zu seinem Rechte gekommen war, wurde
der abgerissene Faden wieder aufgenommen und mit frischen Kräften daran
weitergesponnen. Dr. Töteberg warf mit Kreuzgewölben, Vierungen, Pfeilern,
Gurten, Rosetten nur so um sich, während die Stiftsdcimc die Aufmerksamkeit
lieber auf die alten Grabdenkmäler gelenkt hätte, von denen einige von Ange¬
hörigen ihres Geschlechts Kunde gaben, und ihre Nichte in dem Gefühl ihrer
Unwissenheit in Bausachen sich das alles lieber an Ort und Stelle hätte aus¬
einandersetzen lassen mögen und so, wo die Belehrung jeder Anschaulichkeit
entbehrte und nur von dem Eifer des jungen Kunstgelehrten gehalten wurde,
das Gespräch gern auf die Bilder gebracht hätte, die sie alle von Kindheit
an genau kannte. Aber die Kunstbegeisterung, die in diesem jungen Manne
zu leben schien, machte großen Eindruck auf sie, um so größern, je weniger
sie selbst von der Architektur verstand. Von der Malerei glaubte sie schon
eher ein Verständnis zu haben, da ihr Vater gern mit ihr die Galerien
besucht und selbst einige gute Gemälde gesammelt hatte, or. Töteberg gefiel
ihr ganz außerordentlich, und sie beachtete es gar nicht, das; Doktor Utermöhlen
mit beinahe drohendem Gesichtsausdrucke finster brütend dasaß, jeden Augen-
blick bereit, durch eine Grobheit den seichten Kunstschwätzer, wie er ihn bei
sich nannte, zur Ruhe zu bringen.

Dazu kam es nun gottlob nicht, denn die Unterhaltung wurde vorher
durch das Eintreten des Dienstmädchens, das köstliches Obst und kleinen Kuchen
anbot, so unterbrochen, daß Dr. Töteberg nicht mehr ausschließlich das Wort
führen konnte.

Sie haben sich einen herrlichen Beruf erwählt, sagte das junge Mädchen,
alles Schöne und die Kunst von Amts wegen zu erforschen, muß doch wahre
Befriedigung gewähren.

Ja, das wohl, dafür bringt es aber auch wenig genug ein.


Der Streit der Fakultäten

für ihre Erhaltung geeignete Vorschläge zu machen. Er hatte sich der Frau
Äbtissin als Beauftragter der Regierung vorgestellt, und diese hatte ihn be¬
sonders an Fräulein von Mechtshausen gewiesen, erstens, weil sie ihr in ihrer
Stubenhaft eine kleine Abwechslung gönnte, dann auch, weil sie deren Unter¬
stützung bei solchen gelegentlichen Berührungen mit Gelehrten und andern
schwer unterzubringenden Männern doch noch lieber sah, als wenn Verwaltungs¬
fragen zur Verhandlung standen. Dieser Dr. Töteberg hatte sich nun auf eine
sehr angenehme Weise eingeführt, indem er die ganze Anlage, die Kirche, die
Kunstschätze des Stifts mit glücklichem Ausdruck lobte und pries und die Ge¬
schichte des Stifts auch wirklich zu kennen schien. Gerade war man dabei
gewesen, die Baupcriodeu der Kirche durchzunehmen, und das junge Mädchen
fing schon an, sich ernstlich zu schämen, daß sie bisher an der alten Kirche
noch nie etwas besondres gefunden hatte, als die Ankunft des Arztes die Lektion
unterbrochen hatte.

Jetzt, nachdem Doktor Utermöhlen zu seinem Rechte gekommen war, wurde
der abgerissene Faden wieder aufgenommen und mit frischen Kräften daran
weitergesponnen. Dr. Töteberg warf mit Kreuzgewölben, Vierungen, Pfeilern,
Gurten, Rosetten nur so um sich, während die Stiftsdcimc die Aufmerksamkeit
lieber auf die alten Grabdenkmäler gelenkt hätte, von denen einige von Ange¬
hörigen ihres Geschlechts Kunde gaben, und ihre Nichte in dem Gefühl ihrer
Unwissenheit in Bausachen sich das alles lieber an Ort und Stelle hätte aus¬
einandersetzen lassen mögen und so, wo die Belehrung jeder Anschaulichkeit
entbehrte und nur von dem Eifer des jungen Kunstgelehrten gehalten wurde,
das Gespräch gern auf die Bilder gebracht hätte, die sie alle von Kindheit
an genau kannte. Aber die Kunstbegeisterung, die in diesem jungen Manne
zu leben schien, machte großen Eindruck auf sie, um so größern, je weniger
sie selbst von der Architektur verstand. Von der Malerei glaubte sie schon
eher ein Verständnis zu haben, da ihr Vater gern mit ihr die Galerien
besucht und selbst einige gute Gemälde gesammelt hatte, or. Töteberg gefiel
ihr ganz außerordentlich, und sie beachtete es gar nicht, das; Doktor Utermöhlen
mit beinahe drohendem Gesichtsausdrucke finster brütend dasaß, jeden Augen-
blick bereit, durch eine Grobheit den seichten Kunstschwätzer, wie er ihn bei
sich nannte, zur Ruhe zu bringen.

Dazu kam es nun gottlob nicht, denn die Unterhaltung wurde vorher
durch das Eintreten des Dienstmädchens, das köstliches Obst und kleinen Kuchen
anbot, so unterbrochen, daß Dr. Töteberg nicht mehr ausschließlich das Wort
führen konnte.

Sie haben sich einen herrlichen Beruf erwählt, sagte das junge Mädchen,
alles Schöne und die Kunst von Amts wegen zu erforschen, muß doch wahre
Befriedigung gewähren.

Ja, das wohl, dafür bringt es aber auch wenig genug ein.


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[0538] Der Streit der Fakultäten für ihre Erhaltung geeignete Vorschläge zu machen. Er hatte sich der Frau Äbtissin als Beauftragter der Regierung vorgestellt, und diese hatte ihn be¬ sonders an Fräulein von Mechtshausen gewiesen, erstens, weil sie ihr in ihrer Stubenhaft eine kleine Abwechslung gönnte, dann auch, weil sie deren Unter¬ stützung bei solchen gelegentlichen Berührungen mit Gelehrten und andern schwer unterzubringenden Männern doch noch lieber sah, als wenn Verwaltungs¬ fragen zur Verhandlung standen. Dieser Dr. Töteberg hatte sich nun auf eine sehr angenehme Weise eingeführt, indem er die ganze Anlage, die Kirche, die Kunstschätze des Stifts mit glücklichem Ausdruck lobte und pries und die Ge¬ schichte des Stifts auch wirklich zu kennen schien. Gerade war man dabei gewesen, die Baupcriodeu der Kirche durchzunehmen, und das junge Mädchen fing schon an, sich ernstlich zu schämen, daß sie bisher an der alten Kirche noch nie etwas besondres gefunden hatte, als die Ankunft des Arztes die Lektion unterbrochen hatte. Jetzt, nachdem Doktor Utermöhlen zu seinem Rechte gekommen war, wurde der abgerissene Faden wieder aufgenommen und mit frischen Kräften daran weitergesponnen. Dr. Töteberg warf mit Kreuzgewölben, Vierungen, Pfeilern, Gurten, Rosetten nur so um sich, während die Stiftsdcimc die Aufmerksamkeit lieber auf die alten Grabdenkmäler gelenkt hätte, von denen einige von Ange¬ hörigen ihres Geschlechts Kunde gaben, und ihre Nichte in dem Gefühl ihrer Unwissenheit in Bausachen sich das alles lieber an Ort und Stelle hätte aus¬ einandersetzen lassen mögen und so, wo die Belehrung jeder Anschaulichkeit entbehrte und nur von dem Eifer des jungen Kunstgelehrten gehalten wurde, das Gespräch gern auf die Bilder gebracht hätte, die sie alle von Kindheit an genau kannte. Aber die Kunstbegeisterung, die in diesem jungen Manne zu leben schien, machte großen Eindruck auf sie, um so größern, je weniger sie selbst von der Architektur verstand. Von der Malerei glaubte sie schon eher ein Verständnis zu haben, da ihr Vater gern mit ihr die Galerien besucht und selbst einige gute Gemälde gesammelt hatte, or. Töteberg gefiel ihr ganz außerordentlich, und sie beachtete es gar nicht, das; Doktor Utermöhlen mit beinahe drohendem Gesichtsausdrucke finster brütend dasaß, jeden Augen- blick bereit, durch eine Grobheit den seichten Kunstschwätzer, wie er ihn bei sich nannte, zur Ruhe zu bringen. Dazu kam es nun gottlob nicht, denn die Unterhaltung wurde vorher durch das Eintreten des Dienstmädchens, das köstliches Obst und kleinen Kuchen anbot, so unterbrochen, daß Dr. Töteberg nicht mehr ausschließlich das Wort führen konnte. Sie haben sich einen herrlichen Beruf erwählt, sagte das junge Mädchen, alles Schöne und die Kunst von Amts wegen zu erforschen, muß doch wahre Befriedigung gewähren. Ja, das wohl, dafür bringt es aber auch wenig genug ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/538>, abgerufen am 23.07.2024.