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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Verwaltung erging es den Katholiken ähnlich, und in Breslau z, B. waren
ihnen durchs Herkommen nicht allein die Gemeindeämter, sondern auch manche
Erwerbsarten verschlossen, so die Kretschmereien, d. h. Schankgerechtigkeiten,
die auf gewissen Häusern ruhten. Als nun durch den Streit über die ge¬
mischten Ehen und durch die deutschkatholische Bewegung das konfessionelle
Bewußtsein aufgerüttelt wurde, da erwachte damit zugleich auch der Trieb zu
einem sozialen und politischen Emanzipationskämpfe in den Katholiken, und
das seit 1848 in Fluß gekommne Vereins-, Versammlungs-, Preß- und
Agitationswesen bot dafür die Organisationsfvrmen dar. Selbstverständlich
waren die Protestanten von dieser neuen Erscheinung nichts weniger als erbaut.
Auch bei ihnen handelte es sich keineswegs bloß um das lautere Evangelium
oder auch nnr um die Aufklärung, sondern um die Behauptung der errungneu
geistigen und sozialen Übermacht und um das Ämtermvnopol. Gewiß hat sich
das keine der beiden Parteien eingestanden; sie kämpften aufrichtig eine jede
für das, was sie die Wahrheit nannte, aber unbewußt wirken jene sozialen,
politischen und materiellen Rücksichten sehr kräftig mit in den Kämpfen um
religiöse wie um weltliche Ideen und Grundsätze. Über ein paar Konvertiten freut
sich natürlich jede Kirchengemeinschaft, aber wenn sich eines schönen Tages sämt¬
liche deutschen Katholiken zum Eintritt in die evangelische Landeskirche Preußens
meldeten, so wurden sich die Protestanten nicht weniger unangenehm überrascht
fühlen als etwa die französischen Republikaner durch die Bekehrung sämtlicher
Monarchisten zum Republikanismus, die sie zwingen würde, mit der "allen
Franzosen offen stehenden Republik" Ernst zu machen, indem sie ihnen den
hauptsächlichsten Vorwand zur Beschränkung der Konkurrenz um die höhern
Staatsämter raubte.

Es waren also die Laien, denen diese Jesuitenmissivnen so äußerst ge¬
legen kamen. Der Jesuitenorden war hundert Jahre lang als ein Ausbund
aller Schlechtigkeit geschildert worden, und da er doch nun einmal eine Ein¬
richtung der katholischen Kirche war, so mußte sich jeder Katholik für die
Verbrechen der Gesellschaft Jesu mit verantwortlich fühlen, wenn sie erwiesen
waren. Die Katholiken fühlten demnach das Bedürfnis, den Protestanten die
Grundlosigkeit jener Beschuldigungen ack ovrckoL zu demonstriren, und ich bin
fest überzeugt, daß sich viele Zuhörer weit weniger an dem Inhalt der Predigten
erbaut, als in dem Hochgefühle geschwelgt haben, das der Gedanke erzeugte:
da sehen nun die Protestanten, was die Jesuiten für Männer sind! Weit
weniger ungemischt war die Freude bei den Geistlichen. Die Enthusiasten
unter ihnen führten natürlich den Reigen, aber die Mehrzahl fühlte sich durch
die Aufregung und die mancherlei Nachwirkungen dieses Missionswesens mehr
beunruhigt und belästigt als beglückt. Das alte Sprüchlein kam wieder in
Mode: maln, pg,roedig, in ol", xsjor, ubi Jurist", xvssim", udi ^ssuita. Ins¬
besondre fühlten sie sich dadurch gekränkt, daß ihre Gemeindeglieder anfingen,


Verwaltung erging es den Katholiken ähnlich, und in Breslau z, B. waren
ihnen durchs Herkommen nicht allein die Gemeindeämter, sondern auch manche
Erwerbsarten verschlossen, so die Kretschmereien, d. h. Schankgerechtigkeiten,
die auf gewissen Häusern ruhten. Als nun durch den Streit über die ge¬
mischten Ehen und durch die deutschkatholische Bewegung das konfessionelle
Bewußtsein aufgerüttelt wurde, da erwachte damit zugleich auch der Trieb zu
einem sozialen und politischen Emanzipationskämpfe in den Katholiken, und
das seit 1848 in Fluß gekommne Vereins-, Versammlungs-, Preß- und
Agitationswesen bot dafür die Organisationsfvrmen dar. Selbstverständlich
waren die Protestanten von dieser neuen Erscheinung nichts weniger als erbaut.
Auch bei ihnen handelte es sich keineswegs bloß um das lautere Evangelium
oder auch nnr um die Aufklärung, sondern um die Behauptung der errungneu
geistigen und sozialen Übermacht und um das Ämtermvnopol. Gewiß hat sich
das keine der beiden Parteien eingestanden; sie kämpften aufrichtig eine jede
für das, was sie die Wahrheit nannte, aber unbewußt wirken jene sozialen,
politischen und materiellen Rücksichten sehr kräftig mit in den Kämpfen um
religiöse wie um weltliche Ideen und Grundsätze. Über ein paar Konvertiten freut
sich natürlich jede Kirchengemeinschaft, aber wenn sich eines schönen Tages sämt¬
liche deutschen Katholiken zum Eintritt in die evangelische Landeskirche Preußens
meldeten, so wurden sich die Protestanten nicht weniger unangenehm überrascht
fühlen als etwa die französischen Republikaner durch die Bekehrung sämtlicher
Monarchisten zum Republikanismus, die sie zwingen würde, mit der „allen
Franzosen offen stehenden Republik" Ernst zu machen, indem sie ihnen den
hauptsächlichsten Vorwand zur Beschränkung der Konkurrenz um die höhern
Staatsämter raubte.

Es waren also die Laien, denen diese Jesuitenmissivnen so äußerst ge¬
legen kamen. Der Jesuitenorden war hundert Jahre lang als ein Ausbund
aller Schlechtigkeit geschildert worden, und da er doch nun einmal eine Ein¬
richtung der katholischen Kirche war, so mußte sich jeder Katholik für die
Verbrechen der Gesellschaft Jesu mit verantwortlich fühlen, wenn sie erwiesen
waren. Die Katholiken fühlten demnach das Bedürfnis, den Protestanten die
Grundlosigkeit jener Beschuldigungen ack ovrckoL zu demonstriren, und ich bin
fest überzeugt, daß sich viele Zuhörer weit weniger an dem Inhalt der Predigten
erbaut, als in dem Hochgefühle geschwelgt haben, das der Gedanke erzeugte:
da sehen nun die Protestanten, was die Jesuiten für Männer sind! Weit
weniger ungemischt war die Freude bei den Geistlichen. Die Enthusiasten
unter ihnen führten natürlich den Reigen, aber die Mehrzahl fühlte sich durch
die Aufregung und die mancherlei Nachwirkungen dieses Missionswesens mehr
beunruhigt und belästigt als beglückt. Das alte Sprüchlein kam wieder in
Mode: maln, pg,roedig, in ol», xsjor, ubi Jurist», xvssim», udi ^ssuita. Ins¬
besondre fühlten sie sich dadurch gekränkt, daß ihre Gemeindeglieder anfingen,


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[0530] Verwaltung erging es den Katholiken ähnlich, und in Breslau z, B. waren ihnen durchs Herkommen nicht allein die Gemeindeämter, sondern auch manche Erwerbsarten verschlossen, so die Kretschmereien, d. h. Schankgerechtigkeiten, die auf gewissen Häusern ruhten. Als nun durch den Streit über die ge¬ mischten Ehen und durch die deutschkatholische Bewegung das konfessionelle Bewußtsein aufgerüttelt wurde, da erwachte damit zugleich auch der Trieb zu einem sozialen und politischen Emanzipationskämpfe in den Katholiken, und das seit 1848 in Fluß gekommne Vereins-, Versammlungs-, Preß- und Agitationswesen bot dafür die Organisationsfvrmen dar. Selbstverständlich waren die Protestanten von dieser neuen Erscheinung nichts weniger als erbaut. Auch bei ihnen handelte es sich keineswegs bloß um das lautere Evangelium oder auch nnr um die Aufklärung, sondern um die Behauptung der errungneu geistigen und sozialen Übermacht und um das Ämtermvnopol. Gewiß hat sich das keine der beiden Parteien eingestanden; sie kämpften aufrichtig eine jede für das, was sie die Wahrheit nannte, aber unbewußt wirken jene sozialen, politischen und materiellen Rücksichten sehr kräftig mit in den Kämpfen um religiöse wie um weltliche Ideen und Grundsätze. Über ein paar Konvertiten freut sich natürlich jede Kirchengemeinschaft, aber wenn sich eines schönen Tages sämt¬ liche deutschen Katholiken zum Eintritt in die evangelische Landeskirche Preußens meldeten, so wurden sich die Protestanten nicht weniger unangenehm überrascht fühlen als etwa die französischen Republikaner durch die Bekehrung sämtlicher Monarchisten zum Republikanismus, die sie zwingen würde, mit der „allen Franzosen offen stehenden Republik" Ernst zu machen, indem sie ihnen den hauptsächlichsten Vorwand zur Beschränkung der Konkurrenz um die höhern Staatsämter raubte. Es waren also die Laien, denen diese Jesuitenmissivnen so äußerst ge¬ legen kamen. Der Jesuitenorden war hundert Jahre lang als ein Ausbund aller Schlechtigkeit geschildert worden, und da er doch nun einmal eine Ein¬ richtung der katholischen Kirche war, so mußte sich jeder Katholik für die Verbrechen der Gesellschaft Jesu mit verantwortlich fühlen, wenn sie erwiesen waren. Die Katholiken fühlten demnach das Bedürfnis, den Protestanten die Grundlosigkeit jener Beschuldigungen ack ovrckoL zu demonstriren, und ich bin fest überzeugt, daß sich viele Zuhörer weit weniger an dem Inhalt der Predigten erbaut, als in dem Hochgefühle geschwelgt haben, das der Gedanke erzeugte: da sehen nun die Protestanten, was die Jesuiten für Männer sind! Weit weniger ungemischt war die Freude bei den Geistlichen. Die Enthusiasten unter ihnen führten natürlich den Reigen, aber die Mehrzahl fühlte sich durch die Aufregung und die mancherlei Nachwirkungen dieses Missionswesens mehr beunruhigt und belästigt als beglückt. Das alte Sprüchlein kam wieder in Mode: maln, pg,roedig, in ol», xsjor, ubi Jurist», xvssim», udi ^ssuita. Ins¬ besondre fühlten sie sich dadurch gekränkt, daß ihre Gemeindeglieder anfingen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/530>, abgerufen am 23.07.2024.