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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Stößels juristische Lehrmethode

Vortragenden -- und das verlieh dem Kolleg einen weitern Hauptreiz -- die
größte Begeisterung für seine Wissenschaft und das innige Bestreben, zum Ge¬
deihen und zur Hebung der Rechtspflege beizutragen. Dies trat bei jeder
Gelegenheit zu Tage.

Die damals gehaltenen Vorlesungen sind nur neuerdings von Stölzel
in einem Buche herausgegeben worden, das den Titel sührt: "Schulung für
die zivilistische Praxis." Abgesehen von wenigen Zusätzen sind es im wesent¬
lichen stenographische Niederschriften jener Vortrüge, die hier geboten werden.
Das Buch wirkt daher fast ebenso frisch und anregend, als ob mau den Lehrer
selbst horte. Im Gegensatz zu den meisten Erscheinungen unsrer juristischen
Litteratur, die zur Mehrzahl für solche berechnet sind, die wieder Bücher
schreiben, nicht für solche, die daraus lernen, insbesondre für ihre praktische
Wirksamkeit etwas gewinnen wollen, verfolgt Stvlzels Werk gerade nur
diese Zwecke.

Es eignet sich aber dazu, auch von Laien in die Hand genommen zu
werden, da es keine weitern Anforderungen an den Leser stellt, als daß er ein
gebildeter, logisch denkender Mensch sei, und da es keinerlei juristische Vor-
kenntnisse voraussetzt. Wer sich an einfachen Rechtsfällen ein Bild davon
machen will, worin eigentlich die Thätigkeit des Ziviljuristen besteht -- der
Laie hat ja meist nur von der ihm in den Zeitungen vorgeführten Kriminal¬
praxis eine Vorstellung --, wer erfahren will, wozu eS überhaupt Juristen
und ein so künstliches Rechtssystem geben müsse, und weshalb man nicht alle
Rechtshändel mit dem am Einzelfall einzusetzenden gesunden Menschenverstande
entscheiden könne, der mag sich aus diesem Buche unterrichten. Auch wer noch
in der Wahl seines Berufes schwankt, wird daraus Fingerzeige entnehmen und
ermessen können, ob er wohl seine Befriedigung im juristischen Berufe finden
werde. Wer endlich angesichts vieler Klagen über die Jurisprudenz und an¬
gesichts der Mißachtung, die ihr manchmal zu teil wird, erkennen will, daß
doch etwas hohes, erhabnes in dieser Wissenschaft steckt, und daß es noch
Männer giebt, die daraus etwas gutes, dem Leben dienliches zu machen
wissen, der tröste sich an diesem Buche.

Die Kritik in den Fachzeitschriften ist zum Teil dem Werke nicht gerecht
geworden. Stölzel hat das Buch gewidmet "unsern jungen Juristen und ihren
Beratern"; es scheint aber, als ob bei den Beratern, namentlich bei den Uni¬
versitätslehrern, seine Ideen nicht allgemein Anklang fänden. Die Fragen,
um die es sich dabei handelt, werden anch weitere Kreise interessiren; wichtiger
als alle Gesetzesfabrikation ist ja eine vernünftige Handhabung der Rechts¬
pflege, und diese setzt wieder eine verständige, auf das praktische Leben gerichtete
Vorbildung unsrer Juristen voraus. Mit Richtern, die in Stölzelschem Geiste
vorgebildet sind, könnte man -- glaube ich -- unter jeder Rechtsordnung aus¬
kommen und sich wohl fühlen.


Grenzboten 1 1895 S7
Stößels juristische Lehrmethode

Vortragenden — und das verlieh dem Kolleg einen weitern Hauptreiz — die
größte Begeisterung für seine Wissenschaft und das innige Bestreben, zum Ge¬
deihen und zur Hebung der Rechtspflege beizutragen. Dies trat bei jeder
Gelegenheit zu Tage.

Die damals gehaltenen Vorlesungen sind nur neuerdings von Stölzel
in einem Buche herausgegeben worden, das den Titel sührt: „Schulung für
die zivilistische Praxis." Abgesehen von wenigen Zusätzen sind es im wesent¬
lichen stenographische Niederschriften jener Vortrüge, die hier geboten werden.
Das Buch wirkt daher fast ebenso frisch und anregend, als ob mau den Lehrer
selbst horte. Im Gegensatz zu den meisten Erscheinungen unsrer juristischen
Litteratur, die zur Mehrzahl für solche berechnet sind, die wieder Bücher
schreiben, nicht für solche, die daraus lernen, insbesondre für ihre praktische
Wirksamkeit etwas gewinnen wollen, verfolgt Stvlzels Werk gerade nur
diese Zwecke.

Es eignet sich aber dazu, auch von Laien in die Hand genommen zu
werden, da es keine weitern Anforderungen an den Leser stellt, als daß er ein
gebildeter, logisch denkender Mensch sei, und da es keinerlei juristische Vor-
kenntnisse voraussetzt. Wer sich an einfachen Rechtsfällen ein Bild davon
machen will, worin eigentlich die Thätigkeit des Ziviljuristen besteht — der
Laie hat ja meist nur von der ihm in den Zeitungen vorgeführten Kriminal¬
praxis eine Vorstellung —, wer erfahren will, wozu eS überhaupt Juristen
und ein so künstliches Rechtssystem geben müsse, und weshalb man nicht alle
Rechtshändel mit dem am Einzelfall einzusetzenden gesunden Menschenverstande
entscheiden könne, der mag sich aus diesem Buche unterrichten. Auch wer noch
in der Wahl seines Berufes schwankt, wird daraus Fingerzeige entnehmen und
ermessen können, ob er wohl seine Befriedigung im juristischen Berufe finden
werde. Wer endlich angesichts vieler Klagen über die Jurisprudenz und an¬
gesichts der Mißachtung, die ihr manchmal zu teil wird, erkennen will, daß
doch etwas hohes, erhabnes in dieser Wissenschaft steckt, und daß es noch
Männer giebt, die daraus etwas gutes, dem Leben dienliches zu machen
wissen, der tröste sich an diesem Buche.

Die Kritik in den Fachzeitschriften ist zum Teil dem Werke nicht gerecht
geworden. Stölzel hat das Buch gewidmet „unsern jungen Juristen und ihren
Beratern"; es scheint aber, als ob bei den Beratern, namentlich bei den Uni¬
versitätslehrern, seine Ideen nicht allgemein Anklang fänden. Die Fragen,
um die es sich dabei handelt, werden anch weitere Kreise interessiren; wichtiger
als alle Gesetzesfabrikation ist ja eine vernünftige Handhabung der Rechts¬
pflege, und diese setzt wieder eine verständige, auf das praktische Leben gerichtete
Vorbildung unsrer Juristen voraus. Mit Richtern, die in Stölzelschem Geiste
vorgebildet sind, könnte man — glaube ich — unter jeder Rechtsordnung aus¬
kommen und sich wohl fühlen.


Grenzboten 1 1895 S7
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[0459] Stößels juristische Lehrmethode Vortragenden — und das verlieh dem Kolleg einen weitern Hauptreiz — die größte Begeisterung für seine Wissenschaft und das innige Bestreben, zum Ge¬ deihen und zur Hebung der Rechtspflege beizutragen. Dies trat bei jeder Gelegenheit zu Tage. Die damals gehaltenen Vorlesungen sind nur neuerdings von Stölzel in einem Buche herausgegeben worden, das den Titel sührt: „Schulung für die zivilistische Praxis." Abgesehen von wenigen Zusätzen sind es im wesent¬ lichen stenographische Niederschriften jener Vortrüge, die hier geboten werden. Das Buch wirkt daher fast ebenso frisch und anregend, als ob mau den Lehrer selbst horte. Im Gegensatz zu den meisten Erscheinungen unsrer juristischen Litteratur, die zur Mehrzahl für solche berechnet sind, die wieder Bücher schreiben, nicht für solche, die daraus lernen, insbesondre für ihre praktische Wirksamkeit etwas gewinnen wollen, verfolgt Stvlzels Werk gerade nur diese Zwecke. Es eignet sich aber dazu, auch von Laien in die Hand genommen zu werden, da es keine weitern Anforderungen an den Leser stellt, als daß er ein gebildeter, logisch denkender Mensch sei, und da es keinerlei juristische Vor- kenntnisse voraussetzt. Wer sich an einfachen Rechtsfällen ein Bild davon machen will, worin eigentlich die Thätigkeit des Ziviljuristen besteht — der Laie hat ja meist nur von der ihm in den Zeitungen vorgeführten Kriminal¬ praxis eine Vorstellung —, wer erfahren will, wozu eS überhaupt Juristen und ein so künstliches Rechtssystem geben müsse, und weshalb man nicht alle Rechtshändel mit dem am Einzelfall einzusetzenden gesunden Menschenverstande entscheiden könne, der mag sich aus diesem Buche unterrichten. Auch wer noch in der Wahl seines Berufes schwankt, wird daraus Fingerzeige entnehmen und ermessen können, ob er wohl seine Befriedigung im juristischen Berufe finden werde. Wer endlich angesichts vieler Klagen über die Jurisprudenz und an¬ gesichts der Mißachtung, die ihr manchmal zu teil wird, erkennen will, daß doch etwas hohes, erhabnes in dieser Wissenschaft steckt, und daß es noch Männer giebt, die daraus etwas gutes, dem Leben dienliches zu machen wissen, der tröste sich an diesem Buche. Die Kritik in den Fachzeitschriften ist zum Teil dem Werke nicht gerecht geworden. Stölzel hat das Buch gewidmet „unsern jungen Juristen und ihren Beratern"; es scheint aber, als ob bei den Beratern, namentlich bei den Uni¬ versitätslehrern, seine Ideen nicht allgemein Anklang fänden. Die Fragen, um die es sich dabei handelt, werden anch weitere Kreise interessiren; wichtiger als alle Gesetzesfabrikation ist ja eine vernünftige Handhabung der Rechts¬ pflege, und diese setzt wieder eine verständige, auf das praktische Leben gerichtete Vorbildung unsrer Juristen voraus. Mit Richtern, die in Stölzelschem Geiste vorgebildet sind, könnte man — glaube ich — unter jeder Rechtsordnung aus¬ kommen und sich wohl fühlen. Grenzboten 1 1895 S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/459>, abgerufen am 22.07.2024.