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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Viktor Alap Huber

eingetreten wie Frankreich, und jetzt (d. h. 1855) betrage das englische Kapital
(in diesem Sinne) das fünffache des französischen. Sowohl das englische Land
wie das englische Volk sei eben von Haus aus mehr wert als das französische.
(Nicht der edelste und höchste, sondern nur der für die Machtentfaltung vor¬
teilhafteste Nationalcharakter ist nach Huber der englische; die Schattenseiten
der englischen Moral, Politik und Gesellschaft hebt er in anderm Zusammen¬
hange sehr kräftig und ganz so, wie wir selbst es mitunter thun, hervor.) Die
Tüchtigkeit des Volks ist aber wiederum zum Teil wenigstens ein Produkt
der Beschaffenheit seines Wohnorts. Je mehr sich ein Land der Jnselncitur
nähert, desto vorteilhafter ist es für die Machtentfaltung seiner Bewohner;
die Jnselnatur verbindet "die beiden Gegensätze, in denen die Grundbedingung
aller Entwicklung nach außen liegt: möglichste Abgeschlossenheit, Sicherheit,
Konzentrizitüt, und möglichste Beweglichkeit, Zugänglichkeit, Expansion, Ex¬
zentrizität." England erfreut sich aber des zweiten Vorteils fogar bis in sein
Inneres hinein, dank seinen herrlichen Strömen, die für den Verkehr weit
mehr wert sind als die meisten doppelt bis zehnmal so langen Ströme des
europäischen Festlandes. Huber führt die Verherrlichung Englands in Shake¬
speares Richard II. an (2. Akt 1. Szene: ^tus rc>M tliroinz ok lciuZs so.)
und fährt dann fort: "Wie merkwürdig wird jenes Dichterwort aus dem sech¬
zehnten Jahrhundert im achtzehnten und gerade an der Schwelle der entschei¬
denden Periode der vollen Verwertung jenes geographischen Pfundes durch
jenes: Unis Lrtwnliia, mes tlo vavvs aufgenommen! Ja, daß dies das
einzige, wirkliche politische Nationallied ist, das es giebt, daß kein andres
Volk einen politisch-nationalen Hymnus hat, in den jeder Volksgenosse mit
voller Brust ohne allen Rückhalt und Gegensatz der Partei u. s. w. einstimmen
kann, weil er den natürlich welthistorischen Beruf des Volkes und des Landes
ausspricht, auch das ist charakteristisch für die Bedeutung dieser geographischen
Prüdestination in der Jnselnatur." Wer dächte dabei gerade jetzt nicht auch
an Japan! Nur durch eine ganz unverhältnismäßige Ausdehnung des un¬
mittelbaren Staatsgebiets, sagt Huber ganz richtig, könne der Mangel der
Vorteile der Jnselnatur ausgeglichen werden. Deswegen fordert er für Deutsch¬
land die Expansion, und zwar auf dem einzigen offenstehenden Wege: nach
Südosten; die Länder der Türkei, sagt er geradezu einmal, gehören uns.
Und schon deswegen ist ihm, ganz abgesehen von allem andern, die Losung
der deutschen Frage mit Ausschluß Österreichs, des natürlichen Betts für den
Strom unsrer kolonisatorischen Auswanderung, ein Unding. Die Lösung von
1866 war ein Schlag für ihn, von dem er sich auch körperlich nicht mehr
erholte, und das Berlinertum, das er nie hatte leiden können, war ihm nun
doppelt zuwider. Gewiß aber, schreibt Munding, würde er jene Lösung "als
ein notwendiges Übel hingenommen haben, wenn es ihm vergönnt gewesen
wäre, ihre in den Ereignissen von 1870/71 gipfelnden Konsequenzen zu er-


Viktor Alap Huber

eingetreten wie Frankreich, und jetzt (d. h. 1855) betrage das englische Kapital
(in diesem Sinne) das fünffache des französischen. Sowohl das englische Land
wie das englische Volk sei eben von Haus aus mehr wert als das französische.
(Nicht der edelste und höchste, sondern nur der für die Machtentfaltung vor¬
teilhafteste Nationalcharakter ist nach Huber der englische; die Schattenseiten
der englischen Moral, Politik und Gesellschaft hebt er in anderm Zusammen¬
hange sehr kräftig und ganz so, wie wir selbst es mitunter thun, hervor.) Die
Tüchtigkeit des Volks ist aber wiederum zum Teil wenigstens ein Produkt
der Beschaffenheit seines Wohnorts. Je mehr sich ein Land der Jnselncitur
nähert, desto vorteilhafter ist es für die Machtentfaltung seiner Bewohner;
die Jnselnatur verbindet „die beiden Gegensätze, in denen die Grundbedingung
aller Entwicklung nach außen liegt: möglichste Abgeschlossenheit, Sicherheit,
Konzentrizitüt, und möglichste Beweglichkeit, Zugänglichkeit, Expansion, Ex¬
zentrizität." England erfreut sich aber des zweiten Vorteils fogar bis in sein
Inneres hinein, dank seinen herrlichen Strömen, die für den Verkehr weit
mehr wert sind als die meisten doppelt bis zehnmal so langen Ströme des
europäischen Festlandes. Huber führt die Verherrlichung Englands in Shake¬
speares Richard II. an (2. Akt 1. Szene: ^tus rc>M tliroinz ok lciuZs so.)
und fährt dann fort: „Wie merkwürdig wird jenes Dichterwort aus dem sech¬
zehnten Jahrhundert im achtzehnten und gerade an der Schwelle der entschei¬
denden Periode der vollen Verwertung jenes geographischen Pfundes durch
jenes: Unis Lrtwnliia, mes tlo vavvs aufgenommen! Ja, daß dies das
einzige, wirkliche politische Nationallied ist, das es giebt, daß kein andres
Volk einen politisch-nationalen Hymnus hat, in den jeder Volksgenosse mit
voller Brust ohne allen Rückhalt und Gegensatz der Partei u. s. w. einstimmen
kann, weil er den natürlich welthistorischen Beruf des Volkes und des Landes
ausspricht, auch das ist charakteristisch für die Bedeutung dieser geographischen
Prüdestination in der Jnselnatur." Wer dächte dabei gerade jetzt nicht auch
an Japan! Nur durch eine ganz unverhältnismäßige Ausdehnung des un¬
mittelbaren Staatsgebiets, sagt Huber ganz richtig, könne der Mangel der
Vorteile der Jnselnatur ausgeglichen werden. Deswegen fordert er für Deutsch¬
land die Expansion, und zwar auf dem einzigen offenstehenden Wege: nach
Südosten; die Länder der Türkei, sagt er geradezu einmal, gehören uns.
Und schon deswegen ist ihm, ganz abgesehen von allem andern, die Losung
der deutschen Frage mit Ausschluß Österreichs, des natürlichen Betts für den
Strom unsrer kolonisatorischen Auswanderung, ein Unding. Die Lösung von
1866 war ein Schlag für ihn, von dem er sich auch körperlich nicht mehr
erholte, und das Berlinertum, das er nie hatte leiden können, war ihm nun
doppelt zuwider. Gewiß aber, schreibt Munding, würde er jene Lösung „als
ein notwendiges Übel hingenommen haben, wenn es ihm vergönnt gewesen
wäre, ihre in den Ereignissen von 1870/71 gipfelnden Konsequenzen zu er-


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[0375] Viktor Alap Huber eingetreten wie Frankreich, und jetzt (d. h. 1855) betrage das englische Kapital (in diesem Sinne) das fünffache des französischen. Sowohl das englische Land wie das englische Volk sei eben von Haus aus mehr wert als das französische. (Nicht der edelste und höchste, sondern nur der für die Machtentfaltung vor¬ teilhafteste Nationalcharakter ist nach Huber der englische; die Schattenseiten der englischen Moral, Politik und Gesellschaft hebt er in anderm Zusammen¬ hange sehr kräftig und ganz so, wie wir selbst es mitunter thun, hervor.) Die Tüchtigkeit des Volks ist aber wiederum zum Teil wenigstens ein Produkt der Beschaffenheit seines Wohnorts. Je mehr sich ein Land der Jnselncitur nähert, desto vorteilhafter ist es für die Machtentfaltung seiner Bewohner; die Jnselnatur verbindet „die beiden Gegensätze, in denen die Grundbedingung aller Entwicklung nach außen liegt: möglichste Abgeschlossenheit, Sicherheit, Konzentrizitüt, und möglichste Beweglichkeit, Zugänglichkeit, Expansion, Ex¬ zentrizität." England erfreut sich aber des zweiten Vorteils fogar bis in sein Inneres hinein, dank seinen herrlichen Strömen, die für den Verkehr weit mehr wert sind als die meisten doppelt bis zehnmal so langen Ströme des europäischen Festlandes. Huber führt die Verherrlichung Englands in Shake¬ speares Richard II. an (2. Akt 1. Szene: ^tus rc>M tliroinz ok lciuZs so.) und fährt dann fort: „Wie merkwürdig wird jenes Dichterwort aus dem sech¬ zehnten Jahrhundert im achtzehnten und gerade an der Schwelle der entschei¬ denden Periode der vollen Verwertung jenes geographischen Pfundes durch jenes: Unis Lrtwnliia, mes tlo vavvs aufgenommen! Ja, daß dies das einzige, wirkliche politische Nationallied ist, das es giebt, daß kein andres Volk einen politisch-nationalen Hymnus hat, in den jeder Volksgenosse mit voller Brust ohne allen Rückhalt und Gegensatz der Partei u. s. w. einstimmen kann, weil er den natürlich welthistorischen Beruf des Volkes und des Landes ausspricht, auch das ist charakteristisch für die Bedeutung dieser geographischen Prüdestination in der Jnselnatur." Wer dächte dabei gerade jetzt nicht auch an Japan! Nur durch eine ganz unverhältnismäßige Ausdehnung des un¬ mittelbaren Staatsgebiets, sagt Huber ganz richtig, könne der Mangel der Vorteile der Jnselnatur ausgeglichen werden. Deswegen fordert er für Deutsch¬ land die Expansion, und zwar auf dem einzigen offenstehenden Wege: nach Südosten; die Länder der Türkei, sagt er geradezu einmal, gehören uns. Und schon deswegen ist ihm, ganz abgesehen von allem andern, die Losung der deutschen Frage mit Ausschluß Österreichs, des natürlichen Betts für den Strom unsrer kolonisatorischen Auswanderung, ein Unding. Die Lösung von 1866 war ein Schlag für ihn, von dem er sich auch körperlich nicht mehr erholte, und das Berlinertum, das er nie hatte leiden können, war ihm nun doppelt zuwider. Gewiß aber, schreibt Munding, würde er jene Lösung „als ein notwendiges Übel hingenommen haben, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, ihre in den Ereignissen von 1870/71 gipfelnden Konsequenzen zu er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/375>, abgerufen am 23.07.2024.