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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Line Dorfbilanz

haben kein Geld!" im Keime erstickt. Als ich nun wieder einmal die Not
beim Einkauf von Pflaumenholz an einem drastischen Beispiele wahrnahm,
schlug ich, weil die Pflaume in den Dörfern gut gedieh, vor, alle Wege an
beiden Seiten mit Pflaumenbäumen zu bepflanzen, aus einem passenden Grund¬
stück einen Pflaumenwald zu machen und nicht eher zu ruhen, als bis soviel
Bäume vorhanden wären, daß, wenn nicht das jetzt lebende Geschlecht, so doch
das nächste von der Not der Holzbeschaffung befreit wäre. Da die Pflaumen,
die dort fast jährlich reif werden, teils frisch verschickt, teils gedörrt, teils auch
zu Pflaumenbranntwein verarbeitet werden können, so würden die Anlagekosten
bald wieder eingebracht werden, ein paar Jahre mit reicher Obsternte würden
hinreichen, wenn einmal der Pslaumenbaumwald herangewachsen wäre. Der
Gedanke gefiel, noch mehr, als ich mitteilen konnte, daß die Bäume an den
Wegen durch Beihilfe des Landwirtschaftsministers umsonst zu schaffen wären.
Als aber die Sache näher besprochen wurde, erklärte der Gemeinderat, daß es
ihm nicht genüge, wenn er die Bäume geschenkt bekäme, sie müßten ihm auch
umsonst gesetzt werden. Das Setzen eines Baumes koste fünfzig Pfennige,
also von zweitausend Bäumen tausend Mark, so viel hätte die Gemeinde nicht,
denn sie hätte ja nur Schulden auf Jahre hinaus.

Um die Richtigkeit dieses Ausspruches zu prüfen, that ich, was der Bankier
thut, wenn eine notleidende Firma seine Hilfe in Anspruch nimmt: ich prüfte
die Bilanz. Freilich mußte sie erst gemacht werden. Aber sie hatte so inter¬
essante Ergebnisse, daß ich hier der Anfertigung von Dorfbilanzen das Wort
reden möchte. Es wird genügen, die Bilanz des Dorfes Düdinghausen vor¬
zuführen, als ein Beispiel für viele von verwandtem Aussehen.

Düdinghausen liegt am AbHange der "hohen Pön." Zwischen Anfang
und Ende des aus 78 Häusern bestehenden Dörfchens ist ein Höhenunterschied
von mindestens 100 Metern. Die meisten Häuser liegen um die kleine ver¬
fallende Kirche, die zur Aufnahme der Dorfbewohner nicht hinreicht. Aber
eine neue, geräumige Kirche kann sich das Dorf nicht schaffen; das Kirchen¬
vermögen ist sehr gering, und die Zinsen -- kaum 100 Mark -- reichen nicht
einmal für die dringendsten Bedürfnisse ans. Hinter der Kirche liegt der
Kirchhof, daran angebaut die Schule. Das Schulzimmer ist mit den ein¬
fachsten Lehrmitteln in abgebrauchter Exemplaren notdürftig ausgestattet, außer¬
dem mit vorsintflutlichen Schulbänken versehen.

Daß man in der Lage ist, das Dorf zu Wagen auf dürftigen Kommunal¬
wegen zu erreichen, ist noch nicht lange her. Die Herstellung dieser Wege ist
durch Darlehen von der Provinz ermöglicht worden. Noch gesteigert wurde
die Gemeiudeschuld durch die Separation. Etwa der achte Teil der Gemeinde¬
flur ist im Besitz der Bewohner des im Fürstentum Waldeck gelegnen Dorfes
Welleringhausen, das die Zusammenlegung der Grundstücke verlangte, sodaß
sie von dem benachbarten Bundesstaate der preußischen Ortschaft aufgezwungen


Line Dorfbilanz

haben kein Geld!" im Keime erstickt. Als ich nun wieder einmal die Not
beim Einkauf von Pflaumenholz an einem drastischen Beispiele wahrnahm,
schlug ich, weil die Pflaume in den Dörfern gut gedieh, vor, alle Wege an
beiden Seiten mit Pflaumenbäumen zu bepflanzen, aus einem passenden Grund¬
stück einen Pflaumenwald zu machen und nicht eher zu ruhen, als bis soviel
Bäume vorhanden wären, daß, wenn nicht das jetzt lebende Geschlecht, so doch
das nächste von der Not der Holzbeschaffung befreit wäre. Da die Pflaumen,
die dort fast jährlich reif werden, teils frisch verschickt, teils gedörrt, teils auch
zu Pflaumenbranntwein verarbeitet werden können, so würden die Anlagekosten
bald wieder eingebracht werden, ein paar Jahre mit reicher Obsternte würden
hinreichen, wenn einmal der Pslaumenbaumwald herangewachsen wäre. Der
Gedanke gefiel, noch mehr, als ich mitteilen konnte, daß die Bäume an den
Wegen durch Beihilfe des Landwirtschaftsministers umsonst zu schaffen wären.
Als aber die Sache näher besprochen wurde, erklärte der Gemeinderat, daß es
ihm nicht genüge, wenn er die Bäume geschenkt bekäme, sie müßten ihm auch
umsonst gesetzt werden. Das Setzen eines Baumes koste fünfzig Pfennige,
also von zweitausend Bäumen tausend Mark, so viel hätte die Gemeinde nicht,
denn sie hätte ja nur Schulden auf Jahre hinaus.

Um die Richtigkeit dieses Ausspruches zu prüfen, that ich, was der Bankier
thut, wenn eine notleidende Firma seine Hilfe in Anspruch nimmt: ich prüfte
die Bilanz. Freilich mußte sie erst gemacht werden. Aber sie hatte so inter¬
essante Ergebnisse, daß ich hier der Anfertigung von Dorfbilanzen das Wort
reden möchte. Es wird genügen, die Bilanz des Dorfes Düdinghausen vor¬
zuführen, als ein Beispiel für viele von verwandtem Aussehen.

Düdinghausen liegt am AbHange der „hohen Pön." Zwischen Anfang
und Ende des aus 78 Häusern bestehenden Dörfchens ist ein Höhenunterschied
von mindestens 100 Metern. Die meisten Häuser liegen um die kleine ver¬
fallende Kirche, die zur Aufnahme der Dorfbewohner nicht hinreicht. Aber
eine neue, geräumige Kirche kann sich das Dorf nicht schaffen; das Kirchen¬
vermögen ist sehr gering, und die Zinsen — kaum 100 Mark — reichen nicht
einmal für die dringendsten Bedürfnisse ans. Hinter der Kirche liegt der
Kirchhof, daran angebaut die Schule. Das Schulzimmer ist mit den ein¬
fachsten Lehrmitteln in abgebrauchter Exemplaren notdürftig ausgestattet, außer¬
dem mit vorsintflutlichen Schulbänken versehen.

Daß man in der Lage ist, das Dorf zu Wagen auf dürftigen Kommunal¬
wegen zu erreichen, ist noch nicht lange her. Die Herstellung dieser Wege ist
durch Darlehen von der Provinz ermöglicht worden. Noch gesteigert wurde
die Gemeiudeschuld durch die Separation. Etwa der achte Teil der Gemeinde¬
flur ist im Besitz der Bewohner des im Fürstentum Waldeck gelegnen Dorfes
Welleringhausen, das die Zusammenlegung der Grundstücke verlangte, sodaß
sie von dem benachbarten Bundesstaate der preußischen Ortschaft aufgezwungen


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[0365] Line Dorfbilanz haben kein Geld!" im Keime erstickt. Als ich nun wieder einmal die Not beim Einkauf von Pflaumenholz an einem drastischen Beispiele wahrnahm, schlug ich, weil die Pflaume in den Dörfern gut gedieh, vor, alle Wege an beiden Seiten mit Pflaumenbäumen zu bepflanzen, aus einem passenden Grund¬ stück einen Pflaumenwald zu machen und nicht eher zu ruhen, als bis soviel Bäume vorhanden wären, daß, wenn nicht das jetzt lebende Geschlecht, so doch das nächste von der Not der Holzbeschaffung befreit wäre. Da die Pflaumen, die dort fast jährlich reif werden, teils frisch verschickt, teils gedörrt, teils auch zu Pflaumenbranntwein verarbeitet werden können, so würden die Anlagekosten bald wieder eingebracht werden, ein paar Jahre mit reicher Obsternte würden hinreichen, wenn einmal der Pslaumenbaumwald herangewachsen wäre. Der Gedanke gefiel, noch mehr, als ich mitteilen konnte, daß die Bäume an den Wegen durch Beihilfe des Landwirtschaftsministers umsonst zu schaffen wären. Als aber die Sache näher besprochen wurde, erklärte der Gemeinderat, daß es ihm nicht genüge, wenn er die Bäume geschenkt bekäme, sie müßten ihm auch umsonst gesetzt werden. Das Setzen eines Baumes koste fünfzig Pfennige, also von zweitausend Bäumen tausend Mark, so viel hätte die Gemeinde nicht, denn sie hätte ja nur Schulden auf Jahre hinaus. Um die Richtigkeit dieses Ausspruches zu prüfen, that ich, was der Bankier thut, wenn eine notleidende Firma seine Hilfe in Anspruch nimmt: ich prüfte die Bilanz. Freilich mußte sie erst gemacht werden. Aber sie hatte so inter¬ essante Ergebnisse, daß ich hier der Anfertigung von Dorfbilanzen das Wort reden möchte. Es wird genügen, die Bilanz des Dorfes Düdinghausen vor¬ zuführen, als ein Beispiel für viele von verwandtem Aussehen. Düdinghausen liegt am AbHange der „hohen Pön." Zwischen Anfang und Ende des aus 78 Häusern bestehenden Dörfchens ist ein Höhenunterschied von mindestens 100 Metern. Die meisten Häuser liegen um die kleine ver¬ fallende Kirche, die zur Aufnahme der Dorfbewohner nicht hinreicht. Aber eine neue, geräumige Kirche kann sich das Dorf nicht schaffen; das Kirchen¬ vermögen ist sehr gering, und die Zinsen — kaum 100 Mark — reichen nicht einmal für die dringendsten Bedürfnisse ans. Hinter der Kirche liegt der Kirchhof, daran angebaut die Schule. Das Schulzimmer ist mit den ein¬ fachsten Lehrmitteln in abgebrauchter Exemplaren notdürftig ausgestattet, außer¬ dem mit vorsintflutlichen Schulbänken versehen. Daß man in der Lage ist, das Dorf zu Wagen auf dürftigen Kommunal¬ wegen zu erreichen, ist noch nicht lange her. Die Herstellung dieser Wege ist durch Darlehen von der Provinz ermöglicht worden. Noch gesteigert wurde die Gemeiudeschuld durch die Separation. Etwa der achte Teil der Gemeinde¬ flur ist im Besitz der Bewohner des im Fürstentum Waldeck gelegnen Dorfes Welleringhausen, das die Zusammenlegung der Grundstücke verlangte, sodaß sie von dem benachbarten Bundesstaate der preußischen Ortschaft aufgezwungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/365>, abgerufen am 26.06.2024.