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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit der Fakultäten

schritt mich das Ahrenssche Ehepaar der etwas weiter ab liegenden Propstei
zu, indem es der guten Bewirtung gedachte.

Inzwischen rechnete der Rechtsanwalt Vogelsang im Beisein der Tante
dem jungen Fräulein von Mechtshausen die günstigen Bedingungen vor, unter
denen das väterliche Haus jetzt verknust werden konnte. Ein unternehmender
Wirt wollte das schöne alte Haus der Mechtshausen in ein "allen Anforde¬
rungen der Jetztzeit entsprechendes" Gesellschaftshnus umwandeln. Die Ver¬
käuferin sollte eine stattliche Hypothek darauf stehen lassen, und darum mußten
die günstigen Aussichten des Unternehmens schon genau durchgesprochen werden.

Die beiden Damen mußten sich in viele Einzelheiten städtischer Vereins¬
geselligkeit und neuzeitlichen Wirtshanslebens einweihen lassen, um die Sicher¬
heit der Hypothek ermessen zu können. Es war begreiflich, daß ihnen der
Wandel der Zeiten, der sich ihnen so ganz persönlich in diesem Hausverkauf
aufdrängte, nicht sympathisch war; der junge Anwalt, der doch nur die Vor¬
teile feiner Klieutin im Auge hatte, erschien ihnen wie ein Verführer, der zeit¬
lichen Gewinnes halber ihnen die Seele rauben wolle, und so hatte er einen
schweren Stand, um so mehr, als er mit steigendem Unbehagen bemerken mußte,
wie sehr er selbst unter dem ungünstigen Eindruck, den das vorgeschlagne Ge¬
schüft auf die Damen machte, zu leiden hatte. Je mehr ihm die sichere Hal¬
tung und die edle Gestalt des jungen Fräuleins gefielen und den Wunsch ent¬
stehen ließen, gleichfalls zu gefallen, fühlte er, daß sein Verhältnis zu der
ganzen Sache mißverstanden wurde, daß mau ihn fast für beteiligt zu halten
schien. Der Wunsch, allen Irrungen ein Ende zu machen und die Sache zu
zeigen, wie sie war, gab seinen weitern Ausführungen eine etwas persönliche
Färbung. Er bedauerte, daß das Haus in andern Besitz übergehen müsse,
konnte auch verstehen, daß die Art, in der es nach seinem Vorschlage vermut¬
lich geschehen werde, nicht augenehm berühre. Er zeigte aber, wie sich so
vieles schon in gleicher Richtung geändert habe, wie ganze Stadtteile umgestaltet
worden seien und den altertümlichen Charakter eingebüßt hätten, wie der Einzelne
unmöglich eine allgemeine Bewegung aufhalte" könne. Die Vorteile dieser Ver¬
kaufsgelegenheit feien zu einleuchtend, als daß man sie von der Hand weisen könne,
die Sicherheit der Anlage vergleichsweise groß. Er fragte schließlich, ob es für
wünschenswerter gehalten werde, das Gebäude von einem Unternehmer nieder¬
legen und das Grundstück in mehrere Bauplätze zerstückeln zu lassen.

Auf die Stiftsdame machten alle diese Ausführungen nur geringen Ein¬
druck; die Vorstellung, daß in dein alten Familienhanse binnen kurzem Mit¬
glieder eines beliebigen Vereins tanzen und junge Leute Bier trinken würden,
machte sie taub gegen alle Gründe. Aber die eigentliche Erbin, auf deren
Entscheidung es doch zunächst ankam, fand aus dem ernsten und freimütiger
Ton des Urwalds mehr den guten Rat heraus, als in der Höhe der gebotneu
Summe einen Anreiz, zuzustimmen- Sie bat um eine kurze Zeit der Über-


Greuzboten I 1895 4t
Der Streit der Fakultäten

schritt mich das Ahrenssche Ehepaar der etwas weiter ab liegenden Propstei
zu, indem es der guten Bewirtung gedachte.

Inzwischen rechnete der Rechtsanwalt Vogelsang im Beisein der Tante
dem jungen Fräulein von Mechtshausen die günstigen Bedingungen vor, unter
denen das väterliche Haus jetzt verknust werden konnte. Ein unternehmender
Wirt wollte das schöne alte Haus der Mechtshausen in ein „allen Anforde¬
rungen der Jetztzeit entsprechendes" Gesellschaftshnus umwandeln. Die Ver¬
käuferin sollte eine stattliche Hypothek darauf stehen lassen, und darum mußten
die günstigen Aussichten des Unternehmens schon genau durchgesprochen werden.

Die beiden Damen mußten sich in viele Einzelheiten städtischer Vereins¬
geselligkeit und neuzeitlichen Wirtshanslebens einweihen lassen, um die Sicher¬
heit der Hypothek ermessen zu können. Es war begreiflich, daß ihnen der
Wandel der Zeiten, der sich ihnen so ganz persönlich in diesem Hausverkauf
aufdrängte, nicht sympathisch war; der junge Anwalt, der doch nur die Vor¬
teile feiner Klieutin im Auge hatte, erschien ihnen wie ein Verführer, der zeit¬
lichen Gewinnes halber ihnen die Seele rauben wolle, und so hatte er einen
schweren Stand, um so mehr, als er mit steigendem Unbehagen bemerken mußte,
wie sehr er selbst unter dem ungünstigen Eindruck, den das vorgeschlagne Ge¬
schüft auf die Damen machte, zu leiden hatte. Je mehr ihm die sichere Hal¬
tung und die edle Gestalt des jungen Fräuleins gefielen und den Wunsch ent¬
stehen ließen, gleichfalls zu gefallen, fühlte er, daß sein Verhältnis zu der
ganzen Sache mißverstanden wurde, daß mau ihn fast für beteiligt zu halten
schien. Der Wunsch, allen Irrungen ein Ende zu machen und die Sache zu
zeigen, wie sie war, gab seinen weitern Ausführungen eine etwas persönliche
Färbung. Er bedauerte, daß das Haus in andern Besitz übergehen müsse,
konnte auch verstehen, daß die Art, in der es nach seinem Vorschlage vermut¬
lich geschehen werde, nicht augenehm berühre. Er zeigte aber, wie sich so
vieles schon in gleicher Richtung geändert habe, wie ganze Stadtteile umgestaltet
worden seien und den altertümlichen Charakter eingebüßt hätten, wie der Einzelne
unmöglich eine allgemeine Bewegung aufhalte» könne. Die Vorteile dieser Ver¬
kaufsgelegenheit feien zu einleuchtend, als daß man sie von der Hand weisen könne,
die Sicherheit der Anlage vergleichsweise groß. Er fragte schließlich, ob es für
wünschenswerter gehalten werde, das Gebäude von einem Unternehmer nieder¬
legen und das Grundstück in mehrere Bauplätze zerstückeln zu lassen.

Auf die Stiftsdame machten alle diese Ausführungen nur geringen Ein¬
druck; die Vorstellung, daß in dein alten Familienhanse binnen kurzem Mit¬
glieder eines beliebigen Vereins tanzen und junge Leute Bier trinken würden,
machte sie taub gegen alle Gründe. Aber die eigentliche Erbin, auf deren
Entscheidung es doch zunächst ankam, fand aus dem ernsten und freimütiger
Ton des Urwalds mehr den guten Rat heraus, als in der Höhe der gebotneu
Summe einen Anreiz, zuzustimmen- Sie bat um eine kurze Zeit der Über-


Greuzboten I 1895 4t
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[0331] Der Streit der Fakultäten schritt mich das Ahrenssche Ehepaar der etwas weiter ab liegenden Propstei zu, indem es der guten Bewirtung gedachte. Inzwischen rechnete der Rechtsanwalt Vogelsang im Beisein der Tante dem jungen Fräulein von Mechtshausen die günstigen Bedingungen vor, unter denen das väterliche Haus jetzt verknust werden konnte. Ein unternehmender Wirt wollte das schöne alte Haus der Mechtshausen in ein „allen Anforde¬ rungen der Jetztzeit entsprechendes" Gesellschaftshnus umwandeln. Die Ver¬ käuferin sollte eine stattliche Hypothek darauf stehen lassen, und darum mußten die günstigen Aussichten des Unternehmens schon genau durchgesprochen werden. Die beiden Damen mußten sich in viele Einzelheiten städtischer Vereins¬ geselligkeit und neuzeitlichen Wirtshanslebens einweihen lassen, um die Sicher¬ heit der Hypothek ermessen zu können. Es war begreiflich, daß ihnen der Wandel der Zeiten, der sich ihnen so ganz persönlich in diesem Hausverkauf aufdrängte, nicht sympathisch war; der junge Anwalt, der doch nur die Vor¬ teile feiner Klieutin im Auge hatte, erschien ihnen wie ein Verführer, der zeit¬ lichen Gewinnes halber ihnen die Seele rauben wolle, und so hatte er einen schweren Stand, um so mehr, als er mit steigendem Unbehagen bemerken mußte, wie sehr er selbst unter dem ungünstigen Eindruck, den das vorgeschlagne Ge¬ schüft auf die Damen machte, zu leiden hatte. Je mehr ihm die sichere Hal¬ tung und die edle Gestalt des jungen Fräuleins gefielen und den Wunsch ent¬ stehen ließen, gleichfalls zu gefallen, fühlte er, daß sein Verhältnis zu der ganzen Sache mißverstanden wurde, daß mau ihn fast für beteiligt zu halten schien. Der Wunsch, allen Irrungen ein Ende zu machen und die Sache zu zeigen, wie sie war, gab seinen weitern Ausführungen eine etwas persönliche Färbung. Er bedauerte, daß das Haus in andern Besitz übergehen müsse, konnte auch verstehen, daß die Art, in der es nach seinem Vorschlage vermut¬ lich geschehen werde, nicht augenehm berühre. Er zeigte aber, wie sich so vieles schon in gleicher Richtung geändert habe, wie ganze Stadtteile umgestaltet worden seien und den altertümlichen Charakter eingebüßt hätten, wie der Einzelne unmöglich eine allgemeine Bewegung aufhalte» könne. Die Vorteile dieser Ver¬ kaufsgelegenheit feien zu einleuchtend, als daß man sie von der Hand weisen könne, die Sicherheit der Anlage vergleichsweise groß. Er fragte schließlich, ob es für wünschenswerter gehalten werde, das Gebäude von einem Unternehmer nieder¬ legen und das Grundstück in mehrere Bauplätze zerstückeln zu lassen. Auf die Stiftsdame machten alle diese Ausführungen nur geringen Ein¬ druck; die Vorstellung, daß in dein alten Familienhanse binnen kurzem Mit¬ glieder eines beliebigen Vereins tanzen und junge Leute Bier trinken würden, machte sie taub gegen alle Gründe. Aber die eigentliche Erbin, auf deren Entscheidung es doch zunächst ankam, fand aus dem ernsten und freimütiger Ton des Urwalds mehr den guten Rat heraus, als in der Höhe der gebotneu Summe einen Anreiz, zuzustimmen- Sie bat um eine kurze Zeit der Über- Greuzboten I 1895 4t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/331>, abgerufen am 23.07.2024.