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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Äer Streit der Fakultäten

für dus Herz der älteste" Tochter, Der gelehrte Mann wurde in eine andre
Stelle in einer noch entlegnern Gegend gelobt und der Herr Pastor abermals
um seine freundnachbarlichen Dienste angegangen.

So gedieh Walterchen, der allgemach ein Walter wurde, und dem die
elterliche Liebe zwar mit der Zeit weniger zügellos, aber immer sicherer eine
glänzende Laufbahn versprach, zur Konfirmation und zur Übersiedlung in eine
Gymnasialstadt heran. Er wurde ein guter Schüler, gesetzter Primaner und
schließlich Student der Jurisprudenz. Es lag damals, als er zur Universität
abging, nicht im Zuge seiner Altersgenossen, für das Korpswesen zu schwärmen,
sonst wäre er in ein Korps eingetreten. Nachher bereute er es oft, diesen
Schritt nicht gethan zu haben, namentlich als er als Referendar mit Korps¬
burschen der mannichfachsten Färbung dienstlich und gesellig zusammenkam.
Er streifte die Besonderheiten eines Kleinstädters und Wilden nach Möglichkeit
ab, ja er war in dieser Zeit des juristischen Vorbereitungsdienstes eigentlich
ausgelassener und gegen alles, was Geld hieß, gleichgiltiger als je. Diese
freiwilligen Nachübungsjahre wurden ihm denn, besonders als er auch Reserve¬
offizier geworden war, von seinem Kreise fast für voll angerechnet. Das elter¬
liche Haus bot ihm mit der Zeit immer weniger, zumal als die einst durch
den Hauslehrer gefährdete Schwester eine" reichen Färbermeister und die jüngere
einen jungen Mann geheiratet hatte, der einst das sich allmählich umgestaltende
Geschäft übernehmen konnte. Der Vater fand es ganz in der Ordnung, daß
Walter mit dem Eintritt in eine andre Lebensschicht sich der Heimat entfremdete,
obgleich er selbst ein geheimes Weh zu überwinden hatte, wenn ihn der Sohn
bei seinen gelegentlichen Geschäftsreisen in die Stadt nicht in die feinen Re¬
staurants mitnahm, wo die vornehmen Bekannten tagten oder nächtigten,
sondern der Gemütlichkeit und der bessern Aussprache wegen in ein neutrales
Gasthaus führte, das der alte Vogelfang so wie so hätte aufsuchen können
oder vielleicht, wenn er allein gewesen wäre, gerade nicht gewählt hätte, um
auch einmal die großstädtischen Stätten des Vergnügens und des Wohllebens
kennen zu lernen. Aber er freute sich der Erfolge seines Sohnes, der Zu¬
nahme der Klientenschar und der immer steigenden Jahresabschlüsse. Ihm
wäre freilich die Beamtenlaufbahn lieber gewesen, aber da er so ein größeres
Verständnis für deu Beruf seines Sohnes bethätigen konnte, tröstete er sich
einstweilen und rechnete sich einige von den zahllosen Fällen vor, wo Rechts¬
anwälte Minister und Gott weiß was geworden seien. Kurzum, der Vater
war alles in allem zufrieden mit der Laufbahn des Sohnes, aber die Mutter
konnte es nicht verwinden, daß sie außer in Angelegenheiten der feinen Wäsche
und der Strümpfe so gar wenig in seinem Leben bedeutete, und die Schwestern
hatten trotz aller Liebe und Bewunderung von Kindheit an eine geheime Ab¬
neigung gegen den bevorzugten Bruder zu unterdrücken, die besonders dann
stark wurde, wenn ihre Männer sich andern Leuten gegenüber auf ihren vor-


Äer Streit der Fakultäten

für dus Herz der älteste» Tochter, Der gelehrte Mann wurde in eine andre
Stelle in einer noch entlegnern Gegend gelobt und der Herr Pastor abermals
um seine freundnachbarlichen Dienste angegangen.

So gedieh Walterchen, der allgemach ein Walter wurde, und dem die
elterliche Liebe zwar mit der Zeit weniger zügellos, aber immer sicherer eine
glänzende Laufbahn versprach, zur Konfirmation und zur Übersiedlung in eine
Gymnasialstadt heran. Er wurde ein guter Schüler, gesetzter Primaner und
schließlich Student der Jurisprudenz. Es lag damals, als er zur Universität
abging, nicht im Zuge seiner Altersgenossen, für das Korpswesen zu schwärmen,
sonst wäre er in ein Korps eingetreten. Nachher bereute er es oft, diesen
Schritt nicht gethan zu haben, namentlich als er als Referendar mit Korps¬
burschen der mannichfachsten Färbung dienstlich und gesellig zusammenkam.
Er streifte die Besonderheiten eines Kleinstädters und Wilden nach Möglichkeit
ab, ja er war in dieser Zeit des juristischen Vorbereitungsdienstes eigentlich
ausgelassener und gegen alles, was Geld hieß, gleichgiltiger als je. Diese
freiwilligen Nachübungsjahre wurden ihm denn, besonders als er auch Reserve¬
offizier geworden war, von seinem Kreise fast für voll angerechnet. Das elter¬
liche Haus bot ihm mit der Zeit immer weniger, zumal als die einst durch
den Hauslehrer gefährdete Schwester eine» reichen Färbermeister und die jüngere
einen jungen Mann geheiratet hatte, der einst das sich allmählich umgestaltende
Geschäft übernehmen konnte. Der Vater fand es ganz in der Ordnung, daß
Walter mit dem Eintritt in eine andre Lebensschicht sich der Heimat entfremdete,
obgleich er selbst ein geheimes Weh zu überwinden hatte, wenn ihn der Sohn
bei seinen gelegentlichen Geschäftsreisen in die Stadt nicht in die feinen Re¬
staurants mitnahm, wo die vornehmen Bekannten tagten oder nächtigten,
sondern der Gemütlichkeit und der bessern Aussprache wegen in ein neutrales
Gasthaus führte, das der alte Vogelfang so wie so hätte aufsuchen können
oder vielleicht, wenn er allein gewesen wäre, gerade nicht gewählt hätte, um
auch einmal die großstädtischen Stätten des Vergnügens und des Wohllebens
kennen zu lernen. Aber er freute sich der Erfolge seines Sohnes, der Zu¬
nahme der Klientenschar und der immer steigenden Jahresabschlüsse. Ihm
wäre freilich die Beamtenlaufbahn lieber gewesen, aber da er so ein größeres
Verständnis für deu Beruf seines Sohnes bethätigen konnte, tröstete er sich
einstweilen und rechnete sich einige von den zahllosen Fällen vor, wo Rechts¬
anwälte Minister und Gott weiß was geworden seien. Kurzum, der Vater
war alles in allem zufrieden mit der Laufbahn des Sohnes, aber die Mutter
konnte es nicht verwinden, daß sie außer in Angelegenheiten der feinen Wäsche
und der Strümpfe so gar wenig in seinem Leben bedeutete, und die Schwestern
hatten trotz aller Liebe und Bewunderung von Kindheit an eine geheime Ab¬
neigung gegen den bevorzugten Bruder zu unterdrücken, die besonders dann
stark wurde, wenn ihre Männer sich andern Leuten gegenüber auf ihren vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/329>, abgerufen am 23.07.2024.