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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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des Urwalds empfehlen. Dies würde eine Härte gegen die Partei sein, die
selbst schuldlos ist und durch die Vertagungen ihres Vertreters ohnehin schon
hinlänglich zu leiden hat.

Wir wollen nicht soweit gehen, den Anwaltszwang schlechthin in den
Rechtsstreitigkeiten, für die er jetzt angeordnet ist, aufzuheben. Wir empfehlen
nur, im Notfalle von ihm abzusehen und die Vertretung der Sache den Par¬
teien selbst dann zuzulassen, wenn sich herausstellt, daß die Aufrechterhaltung
des Anwaltzwangs zu Verschleppungen sührt, wenn deshalb, weil der Anwalt
verhindert ist zu verhandeln, schon Vertagungen der Termine haben eintreten
müssen. Wir schlagen also vor, daß beim Ausbleiben des Nechtsanwalts jede
erschienene Partei, wenn sie es verlangt, selbst zur Verhandlung zugelassen
werde, ferner, daß, wenn der Anwalt (ohne hierzu von der Partei schriftliche
Vollmacht zu haben, die sich auf deu bestimmten Termin beziehen müßte) zum
zweitenmale Vertagung beantragt oder den Termin durch Nichterscheinen um¬
geht, das Gericht verpflichtet sein soll, die Parteien, deren Anwalt säumig
geworden ist, persönlich zum Verhandlungstermin vorzuladen und mit ihnen
die Verhandlung zu führen.

Hierdurch würde am einfachsten allen Nachteilen abgeholfen werden. Ins¬
besondre würde die Aussicht, daß bei Versäumung zweier Termine durch den
Anwalt die Parteien persönlich geladen werden, diese also Kenntnis von der
bisherigen Versäumung ihrer Anwälte erhalten würden, sür nachlässigere und
bequemere Anwälte ein hinreichender Sporn sein, zur Abwurtnng der Termine
beizutragen, und besser wirken, als alle Disziplinirung durch die Gerichte.
Andrerseits würde gewiß mancher Anwalt ganz damit einverstanden sein, wenn
seine Klienten die Möglichkeit hätten, sich selbst zu vertreten und dadurch den
Nachteil, der ihnen sonst durch seine Verhinderung bereitet wird, abzuwenden.

Wir sind uns bewußt, daß unser Vorschlag im allgemeinen bei den An¬
wälten wenig Befriedigung hervorrufen wird, und noch weniger vielleicht bei
den Gerichten. Denn diese werden den Vorteil, mir mit rechtskundigen An¬
wälten verhandeln zu müsse", nicht gern aufgeben und lieber die oben ge¬
schilderten Mißstände der Vertagung, von denen sie selbst getroffen werden,
ertragen. Wir halten dies aber nicht für richtig und schlagen deshalb auch
vor, die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei nicht von dem
Ermessen des Gerichts abhängig zu machen, sondern sie geradezu vorzuschreiben.
Denn wir glauben, daß, so gut wie es der Amtsrichter fertig bringt, mit Rechts-
unkuudigen zu verhandeln, dies auch dem Vorsitzenden einer Zivilkammer
möglich ist, namentlich dann, wenn es sich überhaupt um amtsgerichtliche
Streitigkeiten, wie in dem Bernfungsverfahren gegen amtsgerichtliche Urteile,
handelt. Diese aber kommen aus Gründen, die leicht zu erkennen sind, hier
aber nicht weiter erörtert zu werden brauchen, überhaupt in erster Linie in
Betracht. Übrigens ist der Gerichtshof ja auch jederzeit in der Lage, die Sache


des Urwalds empfehlen. Dies würde eine Härte gegen die Partei sein, die
selbst schuldlos ist und durch die Vertagungen ihres Vertreters ohnehin schon
hinlänglich zu leiden hat.

Wir wollen nicht soweit gehen, den Anwaltszwang schlechthin in den
Rechtsstreitigkeiten, für die er jetzt angeordnet ist, aufzuheben. Wir empfehlen
nur, im Notfalle von ihm abzusehen und die Vertretung der Sache den Par¬
teien selbst dann zuzulassen, wenn sich herausstellt, daß die Aufrechterhaltung
des Anwaltzwangs zu Verschleppungen sührt, wenn deshalb, weil der Anwalt
verhindert ist zu verhandeln, schon Vertagungen der Termine haben eintreten
müssen. Wir schlagen also vor, daß beim Ausbleiben des Nechtsanwalts jede
erschienene Partei, wenn sie es verlangt, selbst zur Verhandlung zugelassen
werde, ferner, daß, wenn der Anwalt (ohne hierzu von der Partei schriftliche
Vollmacht zu haben, die sich auf deu bestimmten Termin beziehen müßte) zum
zweitenmale Vertagung beantragt oder den Termin durch Nichterscheinen um¬
geht, das Gericht verpflichtet sein soll, die Parteien, deren Anwalt säumig
geworden ist, persönlich zum Verhandlungstermin vorzuladen und mit ihnen
die Verhandlung zu führen.

Hierdurch würde am einfachsten allen Nachteilen abgeholfen werden. Ins¬
besondre würde die Aussicht, daß bei Versäumung zweier Termine durch den
Anwalt die Parteien persönlich geladen werden, diese also Kenntnis von der
bisherigen Versäumung ihrer Anwälte erhalten würden, sür nachlässigere und
bequemere Anwälte ein hinreichender Sporn sein, zur Abwurtnng der Termine
beizutragen, und besser wirken, als alle Disziplinirung durch die Gerichte.
Andrerseits würde gewiß mancher Anwalt ganz damit einverstanden sein, wenn
seine Klienten die Möglichkeit hätten, sich selbst zu vertreten und dadurch den
Nachteil, der ihnen sonst durch seine Verhinderung bereitet wird, abzuwenden.

Wir sind uns bewußt, daß unser Vorschlag im allgemeinen bei den An¬
wälten wenig Befriedigung hervorrufen wird, und noch weniger vielleicht bei
den Gerichten. Denn diese werden den Vorteil, mir mit rechtskundigen An¬
wälten verhandeln zu müsse», nicht gern aufgeben und lieber die oben ge¬
schilderten Mißstände der Vertagung, von denen sie selbst getroffen werden,
ertragen. Wir halten dies aber nicht für richtig und schlagen deshalb auch
vor, die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei nicht von dem
Ermessen des Gerichts abhängig zu machen, sondern sie geradezu vorzuschreiben.
Denn wir glauben, daß, so gut wie es der Amtsrichter fertig bringt, mit Rechts-
unkuudigen zu verhandeln, dies auch dem Vorsitzenden einer Zivilkammer
möglich ist, namentlich dann, wenn es sich überhaupt um amtsgerichtliche
Streitigkeiten, wie in dem Bernfungsverfahren gegen amtsgerichtliche Urteile,
handelt. Diese aber kommen aus Gründen, die leicht zu erkennen sind, hier
aber nicht weiter erörtert zu werden brauchen, überhaupt in erster Linie in
Betracht. Übrigens ist der Gerichtshof ja auch jederzeit in der Lage, die Sache


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[0308] des Urwalds empfehlen. Dies würde eine Härte gegen die Partei sein, die selbst schuldlos ist und durch die Vertagungen ihres Vertreters ohnehin schon hinlänglich zu leiden hat. Wir wollen nicht soweit gehen, den Anwaltszwang schlechthin in den Rechtsstreitigkeiten, für die er jetzt angeordnet ist, aufzuheben. Wir empfehlen nur, im Notfalle von ihm abzusehen und die Vertretung der Sache den Par¬ teien selbst dann zuzulassen, wenn sich herausstellt, daß die Aufrechterhaltung des Anwaltzwangs zu Verschleppungen sührt, wenn deshalb, weil der Anwalt verhindert ist zu verhandeln, schon Vertagungen der Termine haben eintreten müssen. Wir schlagen also vor, daß beim Ausbleiben des Nechtsanwalts jede erschienene Partei, wenn sie es verlangt, selbst zur Verhandlung zugelassen werde, ferner, daß, wenn der Anwalt (ohne hierzu von der Partei schriftliche Vollmacht zu haben, die sich auf deu bestimmten Termin beziehen müßte) zum zweitenmale Vertagung beantragt oder den Termin durch Nichterscheinen um¬ geht, das Gericht verpflichtet sein soll, die Parteien, deren Anwalt säumig geworden ist, persönlich zum Verhandlungstermin vorzuladen und mit ihnen die Verhandlung zu führen. Hierdurch würde am einfachsten allen Nachteilen abgeholfen werden. Ins¬ besondre würde die Aussicht, daß bei Versäumung zweier Termine durch den Anwalt die Parteien persönlich geladen werden, diese also Kenntnis von der bisherigen Versäumung ihrer Anwälte erhalten würden, sür nachlässigere und bequemere Anwälte ein hinreichender Sporn sein, zur Abwurtnng der Termine beizutragen, und besser wirken, als alle Disziplinirung durch die Gerichte. Andrerseits würde gewiß mancher Anwalt ganz damit einverstanden sein, wenn seine Klienten die Möglichkeit hätten, sich selbst zu vertreten und dadurch den Nachteil, der ihnen sonst durch seine Verhinderung bereitet wird, abzuwenden. Wir sind uns bewußt, daß unser Vorschlag im allgemeinen bei den An¬ wälten wenig Befriedigung hervorrufen wird, und noch weniger vielleicht bei den Gerichten. Denn diese werden den Vorteil, mir mit rechtskundigen An¬ wälten verhandeln zu müsse», nicht gern aufgeben und lieber die oben ge¬ schilderten Mißstände der Vertagung, von denen sie selbst getroffen werden, ertragen. Wir halten dies aber nicht für richtig und schlagen deshalb auch vor, die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Partei nicht von dem Ermessen des Gerichts abhängig zu machen, sondern sie geradezu vorzuschreiben. Denn wir glauben, daß, so gut wie es der Amtsrichter fertig bringt, mit Rechts- unkuudigen zu verhandeln, dies auch dem Vorsitzenden einer Zivilkammer möglich ist, namentlich dann, wenn es sich überhaupt um amtsgerichtliche Streitigkeiten, wie in dem Bernfungsverfahren gegen amtsgerichtliche Urteile, handelt. Diese aber kommen aus Gründen, die leicht zu erkennen sind, hier aber nicht weiter erörtert zu werden brauchen, überhaupt in erster Linie in Betracht. Übrigens ist der Gerichtshof ja auch jederzeit in der Lage, die Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/308>, abgerufen am 22.07.2024.