Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.werde. Sie machte von der bevorstehende" Ankunft des Nechtsnuwalts Mit¬ Endlich stand man ans, um in einem traulichen und kühlen Gemache werde. Sie machte von der bevorstehende» Ankunft des Nechtsnuwalts Mit¬ Endlich stand man ans, um in einem traulichen und kühlen Gemache <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219240"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_689" prev="#ID_688"> werde. Sie machte von der bevorstehende» Ankunft des Nechtsnuwalts Mit¬<lb/> teilung, und die Unterhaltung stürzte sich infolgedessen aus das Radfahren.<lb/> Pastor Ahrens beklagte salbungsvoll die mannichfachen Ausschreitungen, die sich<lb/> die Radfahrer, meist junge Leute, durch Geldaufwand, durch Vergnügungssucht<lb/> und im Übermut zu schulde» kommen ließen, auch daß infolge dieses Sports<lb/> wieder ein Stück der alten Seßhaftigkeit abbröckle, auf der die alte Gesellschaft<lb/> sich aufgebaut habe. Die Stiftsdamen, deren ländlicher Frieden und einsamen<lb/> Spaziergänge mehr denn je durch plötzlich auftauchende Fahrer gestört wurden,<lb/> stimmten zu, und Pastor Klages that abermals einen Fehlgriff, als er den<lb/> neuen Sport in Schutz »ahn und seine guten Seiten hervorhob. Man merkte<lb/> doch, daß man es mit einer moderne» oder exotische» Pflanze zu thun hatte,<lb/> die in den schattigen Gründen Marieuzelles nicht gedeihen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_690" next="#ID_691"> Endlich stand man ans, um in einem traulichen und kühlen Gemache<lb/> Kaffee zu trinken. Die Unterhaltung schlich noch ein Weilchen träge dahin,<lb/> kaum daß das Einschenker und Anbieten von Kuchen sie »och besouders hätte<lb/> stören könne». Es war mittlerweile fünf Uhr geworben, und Fräulein von Wels¬<lb/> berg hielt die Stunde für gekommen, mit dem jungen Früuleiu vou Mechts-<lb/> hausen und dein Pastor Klages noch einen sinnigen Gang dnrch den Garten und das<lb/> Birkenwäldchen zu machen. Dein junge» Mann war nichts lieber als das,<lb/> und während die Zurückbleibenden die Aussichten des verunglückten Schützlings<lb/> endgiltig bestatteten, war draußen in der »och immer sonnigen und kaum er¬<lb/> frischtem Umgebung der Stiftsgebäude von dem Dreisesfelberge und den dunkeln<lb/> Seen des Vvhmermaldes die Rede, von dem Vikar von Wakefield und in un¬<lb/> erhörter Verbindung sogar von den rührenden Herzensstürmen des Pfarrers<lb/> von Kirchseld. Fräulein von Welsberg war entzückt von der Belesenheit des<lb/> jungen Pastors, es war ihr lange nicht vergönnt gewesen, mit einer ver¬<lb/> ständnisvollen Seele Gedanken austauschen zu können und mit Empfindungen<lb/> zu spielen, für die die andern keine mitschwingenden Saiten hatten. Auch<lb/> Fräulein von Mechtshausen wurde von diesem Gespräch angenehm berührt;<lb/> sie hörte von einer Welt, die ihr ziemlich fremd geblieben war, und so war<lb/> es natürlich, daß sie anfangs mehr zuhörte als mitsprach. Schließlich kamen<lb/> aber auch ihre Lieblinge zur Geltung, namentlich Dickens, Scheffel, die Ebuer-<lb/> Eschenbach und die Heimburg. Es zeigte sich, daß der junge Klages anch deren Be¬<lb/> kanntschaft gemacht hatte und so auch für ihre Freunde Verständnis an den Tag<lb/> legte. Da er jedoch selbst keine bestimmte Richtung verfocht, sondern, wie er freimütig<lb/> gestand, eine wahllose Lektüre betrieb, so kam die Unterhaltung über eine Auf¬<lb/> zählung vou Schriftstellern und Vüchertitelu uicht wesentlich hinaus. Immerhin<lb/> war ihr diese Art des Gesprächs nen und anregend, da Bälle und große Ge¬<lb/> sellschaften bisher keinen Anlaß gegeben hatten, die Litteratur, wenn sie nicht<lb/> mit dem Theater und den Darstellern zusammenhing, zum Ausgangspunkt eines<lb/> Wortgefechts zu machen. Der Pastor fühlte sich des Zwanges ledig, und es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
werde. Sie machte von der bevorstehende» Ankunft des Nechtsnuwalts Mit¬
teilung, und die Unterhaltung stürzte sich infolgedessen aus das Radfahren.
Pastor Ahrens beklagte salbungsvoll die mannichfachen Ausschreitungen, die sich
die Radfahrer, meist junge Leute, durch Geldaufwand, durch Vergnügungssucht
und im Übermut zu schulde» kommen ließen, auch daß infolge dieses Sports
wieder ein Stück der alten Seßhaftigkeit abbröckle, auf der die alte Gesellschaft
sich aufgebaut habe. Die Stiftsdamen, deren ländlicher Frieden und einsamen
Spaziergänge mehr denn je durch plötzlich auftauchende Fahrer gestört wurden,
stimmten zu, und Pastor Klages that abermals einen Fehlgriff, als er den
neuen Sport in Schutz »ahn und seine guten Seiten hervorhob. Man merkte
doch, daß man es mit einer moderne» oder exotische» Pflanze zu thun hatte,
die in den schattigen Gründen Marieuzelles nicht gedeihen konnte.
Endlich stand man ans, um in einem traulichen und kühlen Gemache
Kaffee zu trinken. Die Unterhaltung schlich noch ein Weilchen träge dahin,
kaum daß das Einschenker und Anbieten von Kuchen sie »och besouders hätte
stören könne». Es war mittlerweile fünf Uhr geworben, und Fräulein von Wels¬
berg hielt die Stunde für gekommen, mit dem jungen Früuleiu vou Mechts-
hausen und dein Pastor Klages noch einen sinnigen Gang dnrch den Garten und das
Birkenwäldchen zu machen. Dein junge» Mann war nichts lieber als das,
und während die Zurückbleibenden die Aussichten des verunglückten Schützlings
endgiltig bestatteten, war draußen in der »och immer sonnigen und kaum er¬
frischtem Umgebung der Stiftsgebäude von dem Dreisesfelberge und den dunkeln
Seen des Vvhmermaldes die Rede, von dem Vikar von Wakefield und in un¬
erhörter Verbindung sogar von den rührenden Herzensstürmen des Pfarrers
von Kirchseld. Fräulein von Welsberg war entzückt von der Belesenheit des
jungen Pastors, es war ihr lange nicht vergönnt gewesen, mit einer ver¬
ständnisvollen Seele Gedanken austauschen zu können und mit Empfindungen
zu spielen, für die die andern keine mitschwingenden Saiten hatten. Auch
Fräulein von Mechtshausen wurde von diesem Gespräch angenehm berührt;
sie hörte von einer Welt, die ihr ziemlich fremd geblieben war, und so war
es natürlich, daß sie anfangs mehr zuhörte als mitsprach. Schließlich kamen
aber auch ihre Lieblinge zur Geltung, namentlich Dickens, Scheffel, die Ebuer-
Eschenbach und die Heimburg. Es zeigte sich, daß der junge Klages anch deren Be¬
kanntschaft gemacht hatte und so auch für ihre Freunde Verständnis an den Tag
legte. Da er jedoch selbst keine bestimmte Richtung verfocht, sondern, wie er freimütig
gestand, eine wahllose Lektüre betrieb, so kam die Unterhaltung über eine Auf¬
zählung vou Schriftstellern und Vüchertitelu uicht wesentlich hinaus. Immerhin
war ihr diese Art des Gesprächs nen und anregend, da Bälle und große Ge¬
sellschaften bisher keinen Anlaß gegeben hatten, die Litteratur, wenn sie nicht
mit dem Theater und den Darstellern zusammenhing, zum Ausgangspunkt eines
Wortgefechts zu machen. Der Pastor fühlte sich des Zwanges ledig, und es
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