Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Streit der Fakultäten

Wirtin lag es, eine allgemeine Unterhaltung von mehr geistlichem Gepräge
in Gang zu bringen, den Gästen angemessen, und so fragte sie denn bei der
Suppe, die wie alle Gänge von dem alten Stiftsdiener auf einem kostbaren,
altväterischen Porzellanservice gereicht wurde, deu Stiftsgeistlichen nach dem
Missionsfeste, das nächstens in der Kirche und dem Wäldchen von Marienzelle
abgehalten werden sollte. Das gab einen ausgiebigen Unterhaltungsstoff, e5
konnte eine Art Programm vereinbart oder doch vervollständigt werden. Der
junge Klages hatte das Mißgeschick, einen berühmten Missionsfestredner nicht
zu kennen, dagegen bei einer von fern sich bietenden Gelegenheit eine glänzende
Schilderung eines Lutherfestspiels zu versuchen, das vor einiger Zeit in der
Hauptstadt veranstaltet worden war. Seine Lebhaftigkeit begegnete bei der
Mehrzahl' der Tischgäste eisiger Gleichgiltigkeit, es wurden diesen Versuchen,
religiöse Bestrebungen ins Volk zu "tragen, ein paar dünne Anerkennungen
gezollt, und nur seine junge Nachbarin stimmte in das Lob ein, das er dem,
gelungner Schauspiele etwas wortreich spendete. Diese Unterstützung hielt
ihn länger bei dem Gegenstande fest, als der Gesellschaft angenehm war, er
überschritt ein wenig die feine Grenzlinie, vor der man ein Gespräch fallen
lassen muß, wenn man die Aufmerksamkeit nicht ermüden und das Gespräch
nicht durch eine kühle Wendung, etwa eine Weisung an den Diener oder die
Aufforderung, sich einzuschenken, abgeschnitten sehen will. Aber diese Beharr¬
lichkeit hatte ihm noch nicht geschadet, denn etwas jugendliches Feuer wurde
ihm nachgesehen, der Fall mit dem MissionSredner war schlimmer. Daher
ließ der Stiftspräpositus Ahrens, der eine feine Witterung hatte, und dein
nichts daran lag, eine neue Stiftskraft aufkommen zu sehen, das Missions¬
kapitel nicht fallen, und er verstand es höchst geschickt einzurichten, daß die
Unkenntnis seines jungen Amtsbrnders hinsichtlich der Mission nnter den Ta-
mulen, der Hermannsburger Anstalten, der Fahrten des Missivnsschiffes
Kandace und der Saucrweiuschen Bibelübersetzung ans Licht kamen. Mit
jeder neu bezeugten Lücke in diesen Fächern sank Pastor Klages Ansehen bei den
Damen von Tiedeböhl, von Düderode, von Mechtshansen hör. und dem geist¬
lichen Ehepaare, dagegen gewann er eine Beschützerin in Fräulein von Wels¬
berg, die schon seit zwanzig Jahren heimlich unter diesem Missionsterrorismus
seufzte und alle diese schrecklichen Namen immer so schnell vergaß, daß sie sich
eigentlich nur durch ihre überlegne Kenntnis Adalbert Stifters, Jean Pauls
und der englischen Litteratur halten konnte, im Grunde freilich doch nicht ernst
genommen wurde.

Was ihm wertvoller gewesen wäre, wenn er es gewußt hätte, war die
steigende Anerkennung, die er bei dem jüngern Fräulein von Mechtshausen
fand, der alle diese geistlichen Interessen von Kindheit auf Marienzelle in
einem eigentümlichen Lichte hatten erscheinen lassen, und die die Welt im Hause
ihres Vaters von einer ganz andern Seite hatte betrachten lernen. Daß es


Der Streit der Fakultäten

Wirtin lag es, eine allgemeine Unterhaltung von mehr geistlichem Gepräge
in Gang zu bringen, den Gästen angemessen, und so fragte sie denn bei der
Suppe, die wie alle Gänge von dem alten Stiftsdiener auf einem kostbaren,
altväterischen Porzellanservice gereicht wurde, deu Stiftsgeistlichen nach dem
Missionsfeste, das nächstens in der Kirche und dem Wäldchen von Marienzelle
abgehalten werden sollte. Das gab einen ausgiebigen Unterhaltungsstoff, e5
konnte eine Art Programm vereinbart oder doch vervollständigt werden. Der
junge Klages hatte das Mißgeschick, einen berühmten Missionsfestredner nicht
zu kennen, dagegen bei einer von fern sich bietenden Gelegenheit eine glänzende
Schilderung eines Lutherfestspiels zu versuchen, das vor einiger Zeit in der
Hauptstadt veranstaltet worden war. Seine Lebhaftigkeit begegnete bei der
Mehrzahl' der Tischgäste eisiger Gleichgiltigkeit, es wurden diesen Versuchen,
religiöse Bestrebungen ins Volk zu "tragen, ein paar dünne Anerkennungen
gezollt, und nur seine junge Nachbarin stimmte in das Lob ein, das er dem,
gelungner Schauspiele etwas wortreich spendete. Diese Unterstützung hielt
ihn länger bei dem Gegenstande fest, als der Gesellschaft angenehm war, er
überschritt ein wenig die feine Grenzlinie, vor der man ein Gespräch fallen
lassen muß, wenn man die Aufmerksamkeit nicht ermüden und das Gespräch
nicht durch eine kühle Wendung, etwa eine Weisung an den Diener oder die
Aufforderung, sich einzuschenken, abgeschnitten sehen will. Aber diese Beharr¬
lichkeit hatte ihm noch nicht geschadet, denn etwas jugendliches Feuer wurde
ihm nachgesehen, der Fall mit dem MissionSredner war schlimmer. Daher
ließ der Stiftspräpositus Ahrens, der eine feine Witterung hatte, und dein
nichts daran lag, eine neue Stiftskraft aufkommen zu sehen, das Missions¬
kapitel nicht fallen, und er verstand es höchst geschickt einzurichten, daß die
Unkenntnis seines jungen Amtsbrnders hinsichtlich der Mission nnter den Ta-
mulen, der Hermannsburger Anstalten, der Fahrten des Missivnsschiffes
Kandace und der Saucrweiuschen Bibelübersetzung ans Licht kamen. Mit
jeder neu bezeugten Lücke in diesen Fächern sank Pastor Klages Ansehen bei den
Damen von Tiedeböhl, von Düderode, von Mechtshansen hör. und dem geist¬
lichen Ehepaare, dagegen gewann er eine Beschützerin in Fräulein von Wels¬
berg, die schon seit zwanzig Jahren heimlich unter diesem Missionsterrorismus
seufzte und alle diese schrecklichen Namen immer so schnell vergaß, daß sie sich
eigentlich nur durch ihre überlegne Kenntnis Adalbert Stifters, Jean Pauls
und der englischen Litteratur halten konnte, im Grunde freilich doch nicht ernst
genommen wurde.

Was ihm wertvoller gewesen wäre, wenn er es gewußt hätte, war die
steigende Anerkennung, die er bei dem jüngern Fräulein von Mechtshausen
fand, der alle diese geistlichen Interessen von Kindheit auf Marienzelle in
einem eigentümlichen Lichte hatten erscheinen lassen, und die die Welt im Hause
ihres Vaters von einer ganz andern Seite hatte betrachten lernen. Daß es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219238"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Streit der Fakultäten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_684" prev="#ID_683"> Wirtin lag es, eine allgemeine Unterhaltung von mehr geistlichem Gepräge<lb/>
in Gang zu bringen, den Gästen angemessen, und so fragte sie denn bei der<lb/>
Suppe, die wie alle Gänge von dem alten Stiftsdiener auf einem kostbaren,<lb/>
altväterischen Porzellanservice gereicht wurde, deu Stiftsgeistlichen nach dem<lb/>
Missionsfeste, das nächstens in der Kirche und dem Wäldchen von Marienzelle<lb/>
abgehalten werden sollte. Das gab einen ausgiebigen Unterhaltungsstoff, e5<lb/>
konnte eine Art Programm vereinbart oder doch vervollständigt werden. Der<lb/>
junge Klages hatte das Mißgeschick, einen berühmten Missionsfestredner nicht<lb/>
zu kennen, dagegen bei einer von fern sich bietenden Gelegenheit eine glänzende<lb/>
Schilderung eines Lutherfestspiels zu versuchen, das vor einiger Zeit in der<lb/>
Hauptstadt veranstaltet worden war. Seine Lebhaftigkeit begegnete bei der<lb/>
Mehrzahl' der Tischgäste eisiger Gleichgiltigkeit, es wurden diesen Versuchen,<lb/>
religiöse Bestrebungen ins Volk zu "tragen, ein paar dünne Anerkennungen<lb/>
gezollt, und nur seine junge Nachbarin stimmte in das Lob ein, das er dem,<lb/>
gelungner Schauspiele etwas wortreich spendete. Diese Unterstützung hielt<lb/>
ihn länger bei dem Gegenstande fest, als der Gesellschaft angenehm war, er<lb/>
überschritt ein wenig die feine Grenzlinie, vor der man ein Gespräch fallen<lb/>
lassen muß, wenn man die Aufmerksamkeit nicht ermüden und das Gespräch<lb/>
nicht durch eine kühle Wendung, etwa eine Weisung an den Diener oder die<lb/>
Aufforderung, sich einzuschenken, abgeschnitten sehen will. Aber diese Beharr¬<lb/>
lichkeit hatte ihm noch nicht geschadet, denn etwas jugendliches Feuer wurde<lb/>
ihm nachgesehen, der Fall mit dem MissionSredner war schlimmer. Daher<lb/>
ließ der Stiftspräpositus Ahrens, der eine feine Witterung hatte, und dein<lb/>
nichts daran lag, eine neue Stiftskraft aufkommen zu sehen, das Missions¬<lb/>
kapitel nicht fallen, und er verstand es höchst geschickt einzurichten, daß die<lb/>
Unkenntnis seines jungen Amtsbrnders hinsichtlich der Mission nnter den Ta-<lb/>
mulen, der Hermannsburger Anstalten, der Fahrten des Missivnsschiffes<lb/>
Kandace und der Saucrweiuschen Bibelübersetzung ans Licht kamen. Mit<lb/>
jeder neu bezeugten Lücke in diesen Fächern sank Pastor Klages Ansehen bei den<lb/>
Damen von Tiedeböhl, von Düderode, von Mechtshansen hör. und dem geist¬<lb/>
lichen Ehepaare, dagegen gewann er eine Beschützerin in Fräulein von Wels¬<lb/>
berg, die schon seit zwanzig Jahren heimlich unter diesem Missionsterrorismus<lb/>
seufzte und alle diese schrecklichen Namen immer so schnell vergaß, daß sie sich<lb/>
eigentlich nur durch ihre überlegne Kenntnis Adalbert Stifters, Jean Pauls<lb/>
und der englischen Litteratur halten konnte, im Grunde freilich doch nicht ernst<lb/>
genommen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Was ihm wertvoller gewesen wäre, wenn er es gewußt hätte, war die<lb/>
steigende Anerkennung, die er bei dem jüngern Fräulein von Mechtshausen<lb/>
fand, der alle diese geistlichen Interessen von Kindheit auf Marienzelle in<lb/>
einem eigentümlichen Lichte hatten erscheinen lassen, und die die Welt im Hause<lb/>
ihres Vaters von einer ganz andern Seite hatte betrachten lernen.  Daß es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Der Streit der Fakultäten Wirtin lag es, eine allgemeine Unterhaltung von mehr geistlichem Gepräge in Gang zu bringen, den Gästen angemessen, und so fragte sie denn bei der Suppe, die wie alle Gänge von dem alten Stiftsdiener auf einem kostbaren, altväterischen Porzellanservice gereicht wurde, deu Stiftsgeistlichen nach dem Missionsfeste, das nächstens in der Kirche und dem Wäldchen von Marienzelle abgehalten werden sollte. Das gab einen ausgiebigen Unterhaltungsstoff, e5 konnte eine Art Programm vereinbart oder doch vervollständigt werden. Der junge Klages hatte das Mißgeschick, einen berühmten Missionsfestredner nicht zu kennen, dagegen bei einer von fern sich bietenden Gelegenheit eine glänzende Schilderung eines Lutherfestspiels zu versuchen, das vor einiger Zeit in der Hauptstadt veranstaltet worden war. Seine Lebhaftigkeit begegnete bei der Mehrzahl' der Tischgäste eisiger Gleichgiltigkeit, es wurden diesen Versuchen, religiöse Bestrebungen ins Volk zu "tragen, ein paar dünne Anerkennungen gezollt, und nur seine junge Nachbarin stimmte in das Lob ein, das er dem, gelungner Schauspiele etwas wortreich spendete. Diese Unterstützung hielt ihn länger bei dem Gegenstande fest, als der Gesellschaft angenehm war, er überschritt ein wenig die feine Grenzlinie, vor der man ein Gespräch fallen lassen muß, wenn man die Aufmerksamkeit nicht ermüden und das Gespräch nicht durch eine kühle Wendung, etwa eine Weisung an den Diener oder die Aufforderung, sich einzuschenken, abgeschnitten sehen will. Aber diese Beharr¬ lichkeit hatte ihm noch nicht geschadet, denn etwas jugendliches Feuer wurde ihm nachgesehen, der Fall mit dem MissionSredner war schlimmer. Daher ließ der Stiftspräpositus Ahrens, der eine feine Witterung hatte, und dein nichts daran lag, eine neue Stiftskraft aufkommen zu sehen, das Missions¬ kapitel nicht fallen, und er verstand es höchst geschickt einzurichten, daß die Unkenntnis seines jungen Amtsbrnders hinsichtlich der Mission nnter den Ta- mulen, der Hermannsburger Anstalten, der Fahrten des Missivnsschiffes Kandace und der Saucrweiuschen Bibelübersetzung ans Licht kamen. Mit jeder neu bezeugten Lücke in diesen Fächern sank Pastor Klages Ansehen bei den Damen von Tiedeböhl, von Düderode, von Mechtshansen hör. und dem geist¬ lichen Ehepaare, dagegen gewann er eine Beschützerin in Fräulein von Wels¬ berg, die schon seit zwanzig Jahren heimlich unter diesem Missionsterrorismus seufzte und alle diese schrecklichen Namen immer so schnell vergaß, daß sie sich eigentlich nur durch ihre überlegne Kenntnis Adalbert Stifters, Jean Pauls und der englischen Litteratur halten konnte, im Grunde freilich doch nicht ernst genommen wurde. Was ihm wertvoller gewesen wäre, wenn er es gewußt hätte, war die steigende Anerkennung, die er bei dem jüngern Fräulein von Mechtshausen fand, der alle diese geistlichen Interessen von Kindheit auf Marienzelle in einem eigentümlichen Lichte hatten erscheinen lassen, und die die Welt im Hause ihres Vaters von einer ganz andern Seite hatte betrachten lernen. Daß es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/236>, abgerufen am 23.07.2024.