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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

Assessoren. So werden denn die Dezernate für Landwirtschaft und Gewerbe,
das Kommunal- und Polizeidezernat vielfach von außeretatsmäßigeu, zum Teil
unbesoldeten Beamten bearbeitet. Daß das nicht in der Ordnung ist, liegt
auf der Hand. Bei den Landratsämtern werden die Assessoren mit Vorliebe
zur Bearbeitung der Stenergeschäfte herangezogen. Ist es aber billig, zu
verlangen, daß ein uubesoldeter Beamter das Odium auf sich nehme, das mit
der Ausführung des Einkommensteuergesetzes verbunden ist? Könnte sich der
Staat auf diese Weise nicht auch einmal selbst sehr schwer schädigen?

Und nun vergegenwärtige man sich einmal, welche Ausbildung unsre
Verwaltungsbenmten genießen. Der Referendar, der von der Justiz zur Ver¬
waltung übergeht, hat übergenug zu thun, um sich in seinem neuen Wirkungs¬
kreise zurecht zu finden. Visher hatte er es nur mit Gesetzen zu thun,
jetzt muß er lernen mit unzähligen Verordnungen und Erlassen zu arbeiten,
in jedem Dezernat mit andern, außerdem muß er Gesetze kennen lernen, die
ihm bisher ganz unbekannt waren. Damit ist seine Zeit bei der Negierung
vollauf ausgefüllt, in den Bezirk kommt er nicht. Praktische Kenntnisse kann
er sich nur während des halben Jahres aneignen, wo er beim Landrat arbeitet,
von den Regierungspräsidenten wird aber durchaus nicht genügend darauf
geachtet, daß das auch wirklich geschieht. Ein Teil der Referendare verläßt
die Negieruugshauptstadt überhaupt nicht, arbeitet vielmehr bei dem Landrat,
der in ihr seineu Wohnsitz hat, die übrigen suchen sich die angenehmsten Orte
des Bezirkes ans. Nun klagt Herr von Massow darüber, daß die Landräte
nicht mehr genug in den Kreis kommen, und leider mit Recht. Hält es doch
heute eine ganze Anzahl von Landräten, und zwar besonders die in den
größern Orten, nicht einmal mehr für nötig, sich Wagen und Pferde zu halten,
und die vorgesetzten Behörden dulden das unbegreiflicherweise. Kann man
sich unter diesen Umständen wundern, daß die Referendare auch von der Be¬
schäftigung beim Landrat oft nur geringen Nutzen haben?

Nach dem Examen kommt ein Teil der Assessoren wieder an Landrats¬
ämter. Ihre Stellung ist dort oft nicht leicht, sie erfordert viel Takt, aber
sie kommen doch mit der Bevölkerung in Berührung und erweitern ihren Ge¬
sichtskreis. Die übrigen kommen sofort wieder an den grünen Tisch. Daß
manche von ihnen, wenn sie später Landrat werden, ihren Kreis nicht sonderlich
glücklich macheu, ist begreiflich; ihre Zahl würde aber zweifellos viel größer
sein, wenn in die Verwaltung nicht so viele junge Leute übertraten, die vom
Lande stammen, und wenn nicht gerade diese in erster Linie darnach strebten,
Landräte zu werden. Am 'schlimmsten steht es mit der letzten Klasse, mit
denen, die bei der Regierung bleiben, denn sie kommen vom grünen Tische
nie mehr weg. Es giebt thatsächlich Assessoren, die Hilfsarbeiter in einem
Ministerium werden, ohne jemals aus der Stadt hinausgekommen zu sein.
Mögen sie noch so begabt, theoretisch noch so gut vorgebildet sein, wirkliches


Die Zustände in der Verwaltung in Preußen

Assessoren. So werden denn die Dezernate für Landwirtschaft und Gewerbe,
das Kommunal- und Polizeidezernat vielfach von außeretatsmäßigeu, zum Teil
unbesoldeten Beamten bearbeitet. Daß das nicht in der Ordnung ist, liegt
auf der Hand. Bei den Landratsämtern werden die Assessoren mit Vorliebe
zur Bearbeitung der Stenergeschäfte herangezogen. Ist es aber billig, zu
verlangen, daß ein uubesoldeter Beamter das Odium auf sich nehme, das mit
der Ausführung des Einkommensteuergesetzes verbunden ist? Könnte sich der
Staat auf diese Weise nicht auch einmal selbst sehr schwer schädigen?

Und nun vergegenwärtige man sich einmal, welche Ausbildung unsre
Verwaltungsbenmten genießen. Der Referendar, der von der Justiz zur Ver¬
waltung übergeht, hat übergenug zu thun, um sich in seinem neuen Wirkungs¬
kreise zurecht zu finden. Visher hatte er es nur mit Gesetzen zu thun,
jetzt muß er lernen mit unzähligen Verordnungen und Erlassen zu arbeiten,
in jedem Dezernat mit andern, außerdem muß er Gesetze kennen lernen, die
ihm bisher ganz unbekannt waren. Damit ist seine Zeit bei der Negierung
vollauf ausgefüllt, in den Bezirk kommt er nicht. Praktische Kenntnisse kann
er sich nur während des halben Jahres aneignen, wo er beim Landrat arbeitet,
von den Regierungspräsidenten wird aber durchaus nicht genügend darauf
geachtet, daß das auch wirklich geschieht. Ein Teil der Referendare verläßt
die Negieruugshauptstadt überhaupt nicht, arbeitet vielmehr bei dem Landrat,
der in ihr seineu Wohnsitz hat, die übrigen suchen sich die angenehmsten Orte
des Bezirkes ans. Nun klagt Herr von Massow darüber, daß die Landräte
nicht mehr genug in den Kreis kommen, und leider mit Recht. Hält es doch
heute eine ganze Anzahl von Landräten, und zwar besonders die in den
größern Orten, nicht einmal mehr für nötig, sich Wagen und Pferde zu halten,
und die vorgesetzten Behörden dulden das unbegreiflicherweise. Kann man
sich unter diesen Umständen wundern, daß die Referendare auch von der Be¬
schäftigung beim Landrat oft nur geringen Nutzen haben?

Nach dem Examen kommt ein Teil der Assessoren wieder an Landrats¬
ämter. Ihre Stellung ist dort oft nicht leicht, sie erfordert viel Takt, aber
sie kommen doch mit der Bevölkerung in Berührung und erweitern ihren Ge¬
sichtskreis. Die übrigen kommen sofort wieder an den grünen Tisch. Daß
manche von ihnen, wenn sie später Landrat werden, ihren Kreis nicht sonderlich
glücklich macheu, ist begreiflich; ihre Zahl würde aber zweifellos viel größer
sein, wenn in die Verwaltung nicht so viele junge Leute übertraten, die vom
Lande stammen, und wenn nicht gerade diese in erster Linie darnach strebten,
Landräte zu werden. Am 'schlimmsten steht es mit der letzten Klasse, mit
denen, die bei der Regierung bleiben, denn sie kommen vom grünen Tische
nie mehr weg. Es giebt thatsächlich Assessoren, die Hilfsarbeiter in einem
Ministerium werden, ohne jemals aus der Stadt hinausgekommen zu sein.
Mögen sie noch so begabt, theoretisch noch so gut vorgebildet sein, wirkliches


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[0173] Die Zustände in der Verwaltung in Preußen Assessoren. So werden denn die Dezernate für Landwirtschaft und Gewerbe, das Kommunal- und Polizeidezernat vielfach von außeretatsmäßigeu, zum Teil unbesoldeten Beamten bearbeitet. Daß das nicht in der Ordnung ist, liegt auf der Hand. Bei den Landratsämtern werden die Assessoren mit Vorliebe zur Bearbeitung der Stenergeschäfte herangezogen. Ist es aber billig, zu verlangen, daß ein uubesoldeter Beamter das Odium auf sich nehme, das mit der Ausführung des Einkommensteuergesetzes verbunden ist? Könnte sich der Staat auf diese Weise nicht auch einmal selbst sehr schwer schädigen? Und nun vergegenwärtige man sich einmal, welche Ausbildung unsre Verwaltungsbenmten genießen. Der Referendar, der von der Justiz zur Ver¬ waltung übergeht, hat übergenug zu thun, um sich in seinem neuen Wirkungs¬ kreise zurecht zu finden. Visher hatte er es nur mit Gesetzen zu thun, jetzt muß er lernen mit unzähligen Verordnungen und Erlassen zu arbeiten, in jedem Dezernat mit andern, außerdem muß er Gesetze kennen lernen, die ihm bisher ganz unbekannt waren. Damit ist seine Zeit bei der Negierung vollauf ausgefüllt, in den Bezirk kommt er nicht. Praktische Kenntnisse kann er sich nur während des halben Jahres aneignen, wo er beim Landrat arbeitet, von den Regierungspräsidenten wird aber durchaus nicht genügend darauf geachtet, daß das auch wirklich geschieht. Ein Teil der Referendare verläßt die Negieruugshauptstadt überhaupt nicht, arbeitet vielmehr bei dem Landrat, der in ihr seineu Wohnsitz hat, die übrigen suchen sich die angenehmsten Orte des Bezirkes ans. Nun klagt Herr von Massow darüber, daß die Landräte nicht mehr genug in den Kreis kommen, und leider mit Recht. Hält es doch heute eine ganze Anzahl von Landräten, und zwar besonders die in den größern Orten, nicht einmal mehr für nötig, sich Wagen und Pferde zu halten, und die vorgesetzten Behörden dulden das unbegreiflicherweise. Kann man sich unter diesen Umständen wundern, daß die Referendare auch von der Be¬ schäftigung beim Landrat oft nur geringen Nutzen haben? Nach dem Examen kommt ein Teil der Assessoren wieder an Landrats¬ ämter. Ihre Stellung ist dort oft nicht leicht, sie erfordert viel Takt, aber sie kommen doch mit der Bevölkerung in Berührung und erweitern ihren Ge¬ sichtskreis. Die übrigen kommen sofort wieder an den grünen Tisch. Daß manche von ihnen, wenn sie später Landrat werden, ihren Kreis nicht sonderlich glücklich macheu, ist begreiflich; ihre Zahl würde aber zweifellos viel größer sein, wenn in die Verwaltung nicht so viele junge Leute übertraten, die vom Lande stammen, und wenn nicht gerade diese in erster Linie darnach strebten, Landräte zu werden. Am 'schlimmsten steht es mit der letzten Klasse, mit denen, die bei der Regierung bleiben, denn sie kommen vom grünen Tische nie mehr weg. Es giebt thatsächlich Assessoren, die Hilfsarbeiter in einem Ministerium werden, ohne jemals aus der Stadt hinausgekommen zu sein. Mögen sie noch so begabt, theoretisch noch so gut vorgebildet sein, wirkliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/173>, abgerufen am 25.06.2024.