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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

Ebenfalls Schleswig-Holsteiner ist der junge Berliner Bildhauer A. Vrtttt,
dessen erste größere Arbeit, die Bronzefigur einer Schwerttünzerin, bei den
Sezessionisten ausgestellt ist. Sie hat aber mit dem künstlerischen Grundsatz
ihrer Gastgeber nichts zu thun, sondern hat einen ebenso reifen plastischen Stil
wie die Vildnisbüsten von Magnussen. Es ist ein vollerbliihtes, ganz nacktes
Weib, uur von dem Hinterkopf hängt ein Tuch bis auf den halben Rücken
herab; sie schreitet aus und schwingt mit den beiden erhobnen Armen zwei
Schwerter. Trotz der stark auseinandergehenden Bewegungen ist die Gestalt
allseitig rund und von einer Schönheit der Silhouette, daß es ein Genuß ist,
langsam um sie herumzugehen und das wechselnde Spiel der Linien zu be¬
obachten. Mit vollendeter Sicherheit ist das Wesentliche herausgefunden und
die ganze Schönheit des weiblichen Akts offenbart. Die Figur ist gleichzeitig
kräftig und geschmeidig, fest und doch leicht, naturwahr und edel, trotz der die
Nacktheit zur Schau stellenden Bcmegnng keusch wie eine Antike. Leider ist
die künstlich hergestellte Palma etwas zu süß geraten.

Magnussen und Brütt haben in ihren Arbeiten beide eine gewisse Poly-
chromie, d. h. eine verschiedne Tönung der einzelnen Teile, die die Plastik
nicht mehr gut entbehre" kaun. Brütt hat verschiedenfarbige Bronze benutzt,
eine Technik, die seit dem Altertum jetzt zuerst wieder aufgenommen wird.

Gute Bildnisbüsten in gefärbtem Marmor und verschiedenfarbiger Bronze
sind auch von Max Klein ausgestellt; es sind weibliche Büsten, in denen der
Künstler eine lebhafte Empfindung für Schönheit offenbart. Von Zadow ist
ein guter Studienkopf eines alten Mannes da. Klimsch hat eine plastisch gut
gesehnc Büste eines jungen Mannes in römischer Toga eingesandt. Zwei
hübsche Halbfiguren singender Kinder sind von Lund.

Die Münchner Plastik hat ihre größte Bedeutung auf dem Gebiete, auf
dem sie die Berliner gerade nicht hat: in der Erfindung und Komposition.
Wie hübsch ist die Gruppe der nackten Diana mit einem Hunde von Aigner
in München erdacht! Hubert Netzer hat eine interessante Brunnenfigur ge¬
schaffen. Einen auf einem Felsen gelagerten Mann umwindet eine Schlange,
aber sie greift ihn nicht an, sie richtet ihren Kopf auf und speit aus dem
Rachen Wasser, was er mit Erstaunen betrachtet, indem er sich mit vorge-
haltner Hand vor dem herabfallenden Naß zu schützen sucht. Die Bildnis¬
büsten der Münchner sind viel malerischer als die der Berliner, hauptsächlich
gelingen weibliche Bildnisse, wie die von Hahn und Otto Lang. Bei den
Sezessionisten hat Ludwig Maison ausgestellt, dessen Arbeiten die bedeutendsten
sind, die Münchner Plastiker geliefert haben. Besonders gelungen sind seine
Statuetten von lachenden Negern. Wuchtiger Naturalismus, derbe Gesund¬
heit und geschlossenes künstlerisches Empfinden sprechen sich in diesen vortreff¬
lichen kleinen Werken aus.

Die schönste Arbeit ans Wien hat Dürnbauer gesandt: die Konkurrenz,


Die Münchner Ausstellungen

Ebenfalls Schleswig-Holsteiner ist der junge Berliner Bildhauer A. Vrtttt,
dessen erste größere Arbeit, die Bronzefigur einer Schwerttünzerin, bei den
Sezessionisten ausgestellt ist. Sie hat aber mit dem künstlerischen Grundsatz
ihrer Gastgeber nichts zu thun, sondern hat einen ebenso reifen plastischen Stil
wie die Vildnisbüsten von Magnussen. Es ist ein vollerbliihtes, ganz nacktes
Weib, uur von dem Hinterkopf hängt ein Tuch bis auf den halben Rücken
herab; sie schreitet aus und schwingt mit den beiden erhobnen Armen zwei
Schwerter. Trotz der stark auseinandergehenden Bewegungen ist die Gestalt
allseitig rund und von einer Schönheit der Silhouette, daß es ein Genuß ist,
langsam um sie herumzugehen und das wechselnde Spiel der Linien zu be¬
obachten. Mit vollendeter Sicherheit ist das Wesentliche herausgefunden und
die ganze Schönheit des weiblichen Akts offenbart. Die Figur ist gleichzeitig
kräftig und geschmeidig, fest und doch leicht, naturwahr und edel, trotz der die
Nacktheit zur Schau stellenden Bcmegnng keusch wie eine Antike. Leider ist
die künstlich hergestellte Palma etwas zu süß geraten.

Magnussen und Brütt haben in ihren Arbeiten beide eine gewisse Poly-
chromie, d. h. eine verschiedne Tönung der einzelnen Teile, die die Plastik
nicht mehr gut entbehre» kaun. Brütt hat verschiedenfarbige Bronze benutzt,
eine Technik, die seit dem Altertum jetzt zuerst wieder aufgenommen wird.

Gute Bildnisbüsten in gefärbtem Marmor und verschiedenfarbiger Bronze
sind auch von Max Klein ausgestellt; es sind weibliche Büsten, in denen der
Künstler eine lebhafte Empfindung für Schönheit offenbart. Von Zadow ist
ein guter Studienkopf eines alten Mannes da. Klimsch hat eine plastisch gut
gesehnc Büste eines jungen Mannes in römischer Toga eingesandt. Zwei
hübsche Halbfiguren singender Kinder sind von Lund.

Die Münchner Plastik hat ihre größte Bedeutung auf dem Gebiete, auf
dem sie die Berliner gerade nicht hat: in der Erfindung und Komposition.
Wie hübsch ist die Gruppe der nackten Diana mit einem Hunde von Aigner
in München erdacht! Hubert Netzer hat eine interessante Brunnenfigur ge¬
schaffen. Einen auf einem Felsen gelagerten Mann umwindet eine Schlange,
aber sie greift ihn nicht an, sie richtet ihren Kopf auf und speit aus dem
Rachen Wasser, was er mit Erstaunen betrachtet, indem er sich mit vorge-
haltner Hand vor dem herabfallenden Naß zu schützen sucht. Die Bildnis¬
büsten der Münchner sind viel malerischer als die der Berliner, hauptsächlich
gelingen weibliche Bildnisse, wie die von Hahn und Otto Lang. Bei den
Sezessionisten hat Ludwig Maison ausgestellt, dessen Arbeiten die bedeutendsten
sind, die Münchner Plastiker geliefert haben. Besonders gelungen sind seine
Statuetten von lachenden Negern. Wuchtiger Naturalismus, derbe Gesund¬
heit und geschlossenes künstlerisches Empfinden sprechen sich in diesen vortreff¬
lichen kleinen Werken aus.

Die schönste Arbeit ans Wien hat Dürnbauer gesandt: die Konkurrenz,


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[0088] Die Münchner Ausstellungen Ebenfalls Schleswig-Holsteiner ist der junge Berliner Bildhauer A. Vrtttt, dessen erste größere Arbeit, die Bronzefigur einer Schwerttünzerin, bei den Sezessionisten ausgestellt ist. Sie hat aber mit dem künstlerischen Grundsatz ihrer Gastgeber nichts zu thun, sondern hat einen ebenso reifen plastischen Stil wie die Vildnisbüsten von Magnussen. Es ist ein vollerbliihtes, ganz nacktes Weib, uur von dem Hinterkopf hängt ein Tuch bis auf den halben Rücken herab; sie schreitet aus und schwingt mit den beiden erhobnen Armen zwei Schwerter. Trotz der stark auseinandergehenden Bewegungen ist die Gestalt allseitig rund und von einer Schönheit der Silhouette, daß es ein Genuß ist, langsam um sie herumzugehen und das wechselnde Spiel der Linien zu be¬ obachten. Mit vollendeter Sicherheit ist das Wesentliche herausgefunden und die ganze Schönheit des weiblichen Akts offenbart. Die Figur ist gleichzeitig kräftig und geschmeidig, fest und doch leicht, naturwahr und edel, trotz der die Nacktheit zur Schau stellenden Bcmegnng keusch wie eine Antike. Leider ist die künstlich hergestellte Palma etwas zu süß geraten. Magnussen und Brütt haben in ihren Arbeiten beide eine gewisse Poly- chromie, d. h. eine verschiedne Tönung der einzelnen Teile, die die Plastik nicht mehr gut entbehre» kaun. Brütt hat verschiedenfarbige Bronze benutzt, eine Technik, die seit dem Altertum jetzt zuerst wieder aufgenommen wird. Gute Bildnisbüsten in gefärbtem Marmor und verschiedenfarbiger Bronze sind auch von Max Klein ausgestellt; es sind weibliche Büsten, in denen der Künstler eine lebhafte Empfindung für Schönheit offenbart. Von Zadow ist ein guter Studienkopf eines alten Mannes da. Klimsch hat eine plastisch gut gesehnc Büste eines jungen Mannes in römischer Toga eingesandt. Zwei hübsche Halbfiguren singender Kinder sind von Lund. Die Münchner Plastik hat ihre größte Bedeutung auf dem Gebiete, auf dem sie die Berliner gerade nicht hat: in der Erfindung und Komposition. Wie hübsch ist die Gruppe der nackten Diana mit einem Hunde von Aigner in München erdacht! Hubert Netzer hat eine interessante Brunnenfigur ge¬ schaffen. Einen auf einem Felsen gelagerten Mann umwindet eine Schlange, aber sie greift ihn nicht an, sie richtet ihren Kopf auf und speit aus dem Rachen Wasser, was er mit Erstaunen betrachtet, indem er sich mit vorge- haltner Hand vor dem herabfallenden Naß zu schützen sucht. Die Bildnis¬ büsten der Münchner sind viel malerischer als die der Berliner, hauptsächlich gelingen weibliche Bildnisse, wie die von Hahn und Otto Lang. Bei den Sezessionisten hat Ludwig Maison ausgestellt, dessen Arbeiten die bedeutendsten sind, die Münchner Plastiker geliefert haben. Besonders gelungen sind seine Statuetten von lachenden Negern. Wuchtiger Naturalismus, derbe Gesund¬ heit und geschlossenes künstlerisches Empfinden sprechen sich in diesen vortreff¬ lichen kleinen Werken aus. Die schönste Arbeit ans Wien hat Dürnbauer gesandt: die Konkurrenz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/88>, abgerufen am 22.07.2024.