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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

getragen, I. E. Manche läßt seine beiden schwarzgekleideten Damen nebenein¬
ander in gleichem Tempo durch ein Zimmer marschieren und gleichmäßig scharf
zur Seite blicken, als wäre "Augen rechts!" kommandirt. Einer der talent¬
vollsten von allen ist Amur Jean, aber er bleibt selbst in seinen Bildnissen
dekorativ, sie sind halb heraldisch gezeichnet, flächenhaft, unkörperlich, ge¬
spenstisch. Zorn ist in seinen kecken Farben und Strichen sehr sicher, aber er
ist einer der wenigen Pariser, die den Zug zum Rohen haben, wie er sich
bei den Münchner Sezessionisten findet; er hat ihn aus Deutschland nach Paris
mitgebracht. Dagegen hat für seine entzückenden Interieurs Gotthard Kühl,
der seit Jahren in Paris lebt, die ganze Grazie, die ganze poetische Empfin¬
dung in Form und Inhalt von seinen französischen Kollegen angenommen.
Im allgemeinen sind die Pariser Sezessionisten maßvoll und aus schöne und
angenehme Wirkung in ihren Bildern bedacht. Ein bedeutendes Kontingent
zu den Pariser Künstlern stellen die in Paris lebenden Amerikaner; sie schließen
sich ganz der französischen Kmistweise an, und ihre frische Kraft befähigt sie,
sich in die erste Reihe zu stellen.

Der Akt, den die deutscheu Künstler fast gar nicht Pflegen, ist den Parisern
unentbehrlich. Einer der hervorragendsten Aktmaler ist Albert Fourio, sein
Hauptbild ^. trg.vor8 dois. Aus dem Waldesdickicht bricht ein Zug von vier
nackten Gestalten hervor; ein Knabe, der einen Esel führt, ein Knäbchen, das
auf dem Esel reitet, eine junge Frau, die, das Kind haltend, danebenlüuft, und
ein Mädchen, das ihr zur Seite folgt. Die Sonnenstrahlen brechen durch das
Vlättergewirr, betupfeu die üppigen Leiber und vergolden das blonde Haar
des Kindes und des Mädchens. Aus den derben Gesichtern weht uns frische
Landluft entgegen. Alles Überbildete und Krankhafte liegt weit hinter diesen
Gestalten, aber fern ist auch jede Roheit. In einer reich spendenden Natur
sind diese vollen Leiber erblüht, und sie tummeln sich in frischer, naturwüchsiger
Ausgelassenheit. Malerische Bedeutung erhält das Bild durch den Wechsel
von kalten und warmen Tönen. Herrlich sind die Aktstudien von Stewart,
namentlich das Mädchen im Walde; auch hier wirkt der Kontrast zwischen den
warmen Fleischtönen im goldnen Sonnenlicht und dem kalt blaugrünen Laub.
Denselben Gegensatz behandelt Dnbufe d. I.: der Körper einer von der Rückseite
gesehenen Diana ist in warmes goldiges Licht getaucht, quer über ihren Rücken
zieht sie einen hellblauen Schleier. Als dekoratives Gemälde bezeichnet Albert
Aublet seine große Leinwand "Juli," drei nackte Frauen am Ufer eines
Flusses mit einem gemalten Nahmen von rosavioletteu Blüten. Die weiblichen
Körper sind von großer Schönheit.

Alle guten Eigenschaften der Pariser finden sich im höchsten Grade ver¬
einigt in dem Gemälde von Harrison, "Die Einsamkeit." Ein dunkelblaugrüner
Teich mit einzelnen Wasserrosenblättern, ein Stück des bewaldeten Ufers, kein
Himmel; ein hellblauer Kahn schwimmt mitten auf der Flut, ein nackter Knabe


Die Münchner Ausstellungen

getragen, I. E. Manche läßt seine beiden schwarzgekleideten Damen nebenein¬
ander in gleichem Tempo durch ein Zimmer marschieren und gleichmäßig scharf
zur Seite blicken, als wäre „Augen rechts!" kommandirt. Einer der talent¬
vollsten von allen ist Amur Jean, aber er bleibt selbst in seinen Bildnissen
dekorativ, sie sind halb heraldisch gezeichnet, flächenhaft, unkörperlich, ge¬
spenstisch. Zorn ist in seinen kecken Farben und Strichen sehr sicher, aber er
ist einer der wenigen Pariser, die den Zug zum Rohen haben, wie er sich
bei den Münchner Sezessionisten findet; er hat ihn aus Deutschland nach Paris
mitgebracht. Dagegen hat für seine entzückenden Interieurs Gotthard Kühl,
der seit Jahren in Paris lebt, die ganze Grazie, die ganze poetische Empfin¬
dung in Form und Inhalt von seinen französischen Kollegen angenommen.
Im allgemeinen sind die Pariser Sezessionisten maßvoll und aus schöne und
angenehme Wirkung in ihren Bildern bedacht. Ein bedeutendes Kontingent
zu den Pariser Künstlern stellen die in Paris lebenden Amerikaner; sie schließen
sich ganz der französischen Kmistweise an, und ihre frische Kraft befähigt sie,
sich in die erste Reihe zu stellen.

Der Akt, den die deutscheu Künstler fast gar nicht Pflegen, ist den Parisern
unentbehrlich. Einer der hervorragendsten Aktmaler ist Albert Fourio, sein
Hauptbild ^. trg.vor8 dois. Aus dem Waldesdickicht bricht ein Zug von vier
nackten Gestalten hervor; ein Knabe, der einen Esel führt, ein Knäbchen, das
auf dem Esel reitet, eine junge Frau, die, das Kind haltend, danebenlüuft, und
ein Mädchen, das ihr zur Seite folgt. Die Sonnenstrahlen brechen durch das
Vlättergewirr, betupfeu die üppigen Leiber und vergolden das blonde Haar
des Kindes und des Mädchens. Aus den derben Gesichtern weht uns frische
Landluft entgegen. Alles Überbildete und Krankhafte liegt weit hinter diesen
Gestalten, aber fern ist auch jede Roheit. In einer reich spendenden Natur
sind diese vollen Leiber erblüht, und sie tummeln sich in frischer, naturwüchsiger
Ausgelassenheit. Malerische Bedeutung erhält das Bild durch den Wechsel
von kalten und warmen Tönen. Herrlich sind die Aktstudien von Stewart,
namentlich das Mädchen im Walde; auch hier wirkt der Kontrast zwischen den
warmen Fleischtönen im goldnen Sonnenlicht und dem kalt blaugrünen Laub.
Denselben Gegensatz behandelt Dnbufe d. I.: der Körper einer von der Rückseite
gesehenen Diana ist in warmes goldiges Licht getaucht, quer über ihren Rücken
zieht sie einen hellblauen Schleier. Als dekoratives Gemälde bezeichnet Albert
Aublet seine große Leinwand „Juli," drei nackte Frauen am Ufer eines
Flusses mit einem gemalten Nahmen von rosavioletteu Blüten. Die weiblichen
Körper sind von großer Schönheit.

Alle guten Eigenschaften der Pariser finden sich im höchsten Grade ver¬
einigt in dem Gemälde von Harrison, „Die Einsamkeit." Ein dunkelblaugrüner
Teich mit einzelnen Wasserrosenblättern, ein Stück des bewaldeten Ufers, kein
Himmel; ein hellblauer Kahn schwimmt mitten auf der Flut, ein nackter Knabe


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[0079] Die Münchner Ausstellungen getragen, I. E. Manche läßt seine beiden schwarzgekleideten Damen nebenein¬ ander in gleichem Tempo durch ein Zimmer marschieren und gleichmäßig scharf zur Seite blicken, als wäre „Augen rechts!" kommandirt. Einer der talent¬ vollsten von allen ist Amur Jean, aber er bleibt selbst in seinen Bildnissen dekorativ, sie sind halb heraldisch gezeichnet, flächenhaft, unkörperlich, ge¬ spenstisch. Zorn ist in seinen kecken Farben und Strichen sehr sicher, aber er ist einer der wenigen Pariser, die den Zug zum Rohen haben, wie er sich bei den Münchner Sezessionisten findet; er hat ihn aus Deutschland nach Paris mitgebracht. Dagegen hat für seine entzückenden Interieurs Gotthard Kühl, der seit Jahren in Paris lebt, die ganze Grazie, die ganze poetische Empfin¬ dung in Form und Inhalt von seinen französischen Kollegen angenommen. Im allgemeinen sind die Pariser Sezessionisten maßvoll und aus schöne und angenehme Wirkung in ihren Bildern bedacht. Ein bedeutendes Kontingent zu den Pariser Künstlern stellen die in Paris lebenden Amerikaner; sie schließen sich ganz der französischen Kmistweise an, und ihre frische Kraft befähigt sie, sich in die erste Reihe zu stellen. Der Akt, den die deutscheu Künstler fast gar nicht Pflegen, ist den Parisern unentbehrlich. Einer der hervorragendsten Aktmaler ist Albert Fourio, sein Hauptbild ^. trg.vor8 dois. Aus dem Waldesdickicht bricht ein Zug von vier nackten Gestalten hervor; ein Knabe, der einen Esel führt, ein Knäbchen, das auf dem Esel reitet, eine junge Frau, die, das Kind haltend, danebenlüuft, und ein Mädchen, das ihr zur Seite folgt. Die Sonnenstrahlen brechen durch das Vlättergewirr, betupfeu die üppigen Leiber und vergolden das blonde Haar des Kindes und des Mädchens. Aus den derben Gesichtern weht uns frische Landluft entgegen. Alles Überbildete und Krankhafte liegt weit hinter diesen Gestalten, aber fern ist auch jede Roheit. In einer reich spendenden Natur sind diese vollen Leiber erblüht, und sie tummeln sich in frischer, naturwüchsiger Ausgelassenheit. Malerische Bedeutung erhält das Bild durch den Wechsel von kalten und warmen Tönen. Herrlich sind die Aktstudien von Stewart, namentlich das Mädchen im Walde; auch hier wirkt der Kontrast zwischen den warmen Fleischtönen im goldnen Sonnenlicht und dem kalt blaugrünen Laub. Denselben Gegensatz behandelt Dnbufe d. I.: der Körper einer von der Rückseite gesehenen Diana ist in warmes goldiges Licht getaucht, quer über ihren Rücken zieht sie einen hellblauen Schleier. Als dekoratives Gemälde bezeichnet Albert Aublet seine große Leinwand „Juli," drei nackte Frauen am Ufer eines Flusses mit einem gemalten Nahmen von rosavioletteu Blüten. Die weiblichen Körper sind von großer Schönheit. Alle guten Eigenschaften der Pariser finden sich im höchsten Grade ver¬ einigt in dem Gemälde von Harrison, „Die Einsamkeit." Ein dunkelblaugrüner Teich mit einzelnen Wasserrosenblättern, ein Stück des bewaldeten Ufers, kein Himmel; ein hellblauer Kahn schwimmt mitten auf der Flut, ein nackter Knabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/79>, abgerufen am 22.07.2024.