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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Abendgesellschaften gehen, nur einmal in jedem Winter unsre Appartements
zu einer großen Revanche mit nicht mehr als zwei Gerichten öffnen, daß mein
schwarzes Gesellschaftsbeinkleid weder die reinen Konturen des Saals, noch die
breite schwarze Borte des Salonulanen aufweist, ja unter uus gesagt, ich habe
nicht einmal einen vkmpglm olMUö, auch kein rvtseidnes, unter den linken
Shawl der weißen Weste hineingeheimnistes Taschentuch. Was könnte mir
also willkommner sein, als meine Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft dnrch
feierliche Aufnahme in das große goldne Vues der deutscheu "Aristokratie der
Geburt und des Geistes," herausgegeben in Preußisch-Berlin, einwandsfrei,
schivarz auf weiß gedruckt, bescheinigt zu sehen? Man kann sich denken, mit
wie freudig zitternden Händen ich daher gestern eine Einladung des "Alma¬
nachs der Guten Gesellschaft Deutschlands, H. Sense. Berlin ^ 35, Lützow-
straße 9" entfaltete, in der meine Hochwohlgeboren ersucht wurden, dem Her¬
ausgeber des Almanachs, dem "ein Stab einflußreicher und augeschner Männer,
Professoren der Universität, Regierungsräte und andre hohe und höchste Be¬
amte, weltbekannte Kaufleute und Vertreter des Adels redaktionell zur Ver¬
fügung stehen," einige Notizen über meine und meiner Gemahlin persönliche
Verhältnisse auf vorgedruckten Fragebogen einzusenden. Einen Anflug falscher
Scham, diese Verhältnisse der breite" Öffentlichkeit preiszugeben, kämpfte ich
rasch nieder, als ich las: "Es ist eine Verkennung des historischen und sozio¬
logischen Charakters dieses Almanachs, wenn einzelne wenige Persönlichkeiten
mit der Bekanntgabe ihrer Personalien zurückhalten." Ich schickte mich daher
im Vollgefühl meiner Pflichten gegen die künftige Geschichtschreibung an, die
vorgedruckten Rubriken alsbald auszufüllen. Merkwürdigerweise war keine
Frage nach dem Glaubensbekenntnis und nach der Rasse gestellt. Darüber
scheint also die Berliner gute Gesellschaft bereits erhaben zu sein. Aber durfte
ich wagen, mich zu der Rubrik: "Militürverhältuis (mit Angabe des Regi¬
ments)" als Unteroffizier des Landsturms einzutragen und damit einzugestehen,
daß ich es nicht zum Reserveoffizier gebracht habe? Auch die Frage: "Sind
Sie Besitzer des Hauses?" klingt mir wie eine leise Mahnung, daß ich eigent¬
lich der guten Gesellschaft schuldig bin, nicht zur Miete zu wohnen. Mit den
"Orden und Ehrenzeichen" möchte es noch gehen, wenn mich nicht ein leer-
gelassener Raum vou fünf Centimeter Breite darüber belehrte, daß es mit einer
einzige" Dekoration wohl kaum gethan sei. Dagegen beruhigte mich wieder,
daß für "Orden und Auszeichnungen der Gemahlin" nur ein Centimeter Platz
gelassen ist. Doch halt, was lese ich da? "Korpszugehörigkeit (z. B. Borussia
in Bonn)?" Tief gebeugt lege ich die Feder nieder. Diese Frage spricht mir,
als Aspiranten auf die gute Gesellschaft, das Todesurteil. Ich habe es ja
oft und tief bereut, ich will es auch gewiß nie wieder thun, aber -- ich bin
vor dreißig Jahren nicht nur nicht Korpsstudent, fondern -- es muß heraus --
sogar Büxier gewesen! Mein Gott, ich glaubte zuweilen diese Jugendverirrung


Abendgesellschaften gehen, nur einmal in jedem Winter unsre Appartements
zu einer großen Revanche mit nicht mehr als zwei Gerichten öffnen, daß mein
schwarzes Gesellschaftsbeinkleid weder die reinen Konturen des Saals, noch die
breite schwarze Borte des Salonulanen aufweist, ja unter uus gesagt, ich habe
nicht einmal einen vkmpglm olMUö, auch kein rvtseidnes, unter den linken
Shawl der weißen Weste hineingeheimnistes Taschentuch. Was könnte mir
also willkommner sein, als meine Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft dnrch
feierliche Aufnahme in das große goldne Vues der deutscheu „Aristokratie der
Geburt und des Geistes," herausgegeben in Preußisch-Berlin, einwandsfrei,
schivarz auf weiß gedruckt, bescheinigt zu sehen? Man kann sich denken, mit
wie freudig zitternden Händen ich daher gestern eine Einladung des „Alma¬
nachs der Guten Gesellschaft Deutschlands, H. Sense. Berlin ^ 35, Lützow-
straße 9" entfaltete, in der meine Hochwohlgeboren ersucht wurden, dem Her¬
ausgeber des Almanachs, dem „ein Stab einflußreicher und augeschner Männer,
Professoren der Universität, Regierungsräte und andre hohe und höchste Be¬
amte, weltbekannte Kaufleute und Vertreter des Adels redaktionell zur Ver¬
fügung stehen," einige Notizen über meine und meiner Gemahlin persönliche
Verhältnisse auf vorgedruckten Fragebogen einzusenden. Einen Anflug falscher
Scham, diese Verhältnisse der breite» Öffentlichkeit preiszugeben, kämpfte ich
rasch nieder, als ich las: „Es ist eine Verkennung des historischen und sozio¬
logischen Charakters dieses Almanachs, wenn einzelne wenige Persönlichkeiten
mit der Bekanntgabe ihrer Personalien zurückhalten." Ich schickte mich daher
im Vollgefühl meiner Pflichten gegen die künftige Geschichtschreibung an, die
vorgedruckten Rubriken alsbald auszufüllen. Merkwürdigerweise war keine
Frage nach dem Glaubensbekenntnis und nach der Rasse gestellt. Darüber
scheint also die Berliner gute Gesellschaft bereits erhaben zu sein. Aber durfte
ich wagen, mich zu der Rubrik: „Militürverhältuis (mit Angabe des Regi¬
ments)" als Unteroffizier des Landsturms einzutragen und damit einzugestehen,
daß ich es nicht zum Reserveoffizier gebracht habe? Auch die Frage: „Sind
Sie Besitzer des Hauses?" klingt mir wie eine leise Mahnung, daß ich eigent¬
lich der guten Gesellschaft schuldig bin, nicht zur Miete zu wohnen. Mit den
„Orden und Ehrenzeichen" möchte es noch gehen, wenn mich nicht ein leer-
gelassener Raum vou fünf Centimeter Breite darüber belehrte, daß es mit einer
einzige» Dekoration wohl kaum gethan sei. Dagegen beruhigte mich wieder,
daß für „Orden und Auszeichnungen der Gemahlin" nur ein Centimeter Platz
gelassen ist. Doch halt, was lese ich da? „Korpszugehörigkeit (z. B. Borussia
in Bonn)?" Tief gebeugt lege ich die Feder nieder. Diese Frage spricht mir,
als Aspiranten auf die gute Gesellschaft, das Todesurteil. Ich habe es ja
oft und tief bereut, ich will es auch gewiß nie wieder thun, aber — ich bin
vor dreißig Jahren nicht nur nicht Korpsstudent, fondern — es muß heraus —
sogar Büxier gewesen! Mein Gott, ich glaubte zuweilen diese Jugendverirrung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/639>, abgerufen am 30.06.2024.