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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Eine neue Karte des deutschen Reichs

werdes Werk, wenn man bedenkt, daß es ein Privatuntenehmen war, hat
jenes Übergewicht auf die üösvriMon AvomvtrisM! der Länder und topo¬
graphische Karten ausgedehnt, bei denen auch der französische Geschmack der Dar¬
stellung förderlich war. Lange bevor noch die napoleonischen Stürme das
Interesse für topographische Karten in einer sür uns unbequemen Art praktisch
förderten, hat Cassini große Teile von Deutschland triangulirt, wobei er, der
ausländische Privatmann, vielfach ein Entgegenkommen der Behöden fand, um
das ihn mancher Geodät, der heute im Dienste des Staats ähnlichen Aufgaben
obliegt, beneiden kaun. Und wenn wir auch im vorigen Jahrhundert Männer
wie Hase, Tobias Mayer u. a. aufzuweisen haben, so ist doch für jene Zeit
das Übergewicht Frankreichs auch in der kritischen .Kartographie anzuerkennen.

Aber um die Wende des vorigen und in den ersten Jahrzehnten dieses
Jahrhunderts hat sich die Sache geändert: ein Sachse, Lehmann, hat die
richtige Bergschraffirung angegeben und damit der topographischen Zeichenkunst
ganz neue Unterlagen verschafft, der Braunschweiger Ganß hat die Geodäsie
in allen Teilen mächtig gefördert, der Baier Söldner, der Schwabe Bohnen-
berger haben sich der geodätischen Grundlagen der Vermessung ihrer Länder an¬
genommen, und wenig später hat Bessel in Königsberg die Erdmessnngsarbeiten,
die Beobachtungskunst überhaupt auf eine bis dahin unbekannte Stufe der
Genauigkeit gebracht. Und wenn uoch Zach in seiner "Monatlichen Korre¬
spondenz" in den ersten Jahren unsers Jahrhunderts unermüdlich darauf hin¬
weisen durfte, daß in der Geodäsie und Kartographie die Franzosen unsre
Lehrmeister seien, so war das bald nicht mehr richtig; der Umschwung in den
folgenden Jahrzehnten war so gewaltig, daß die Franzosen bei sich die Geo¬
däsie völlig ungestalten (i'slÄirv) mußten, was für Erdmesfungsarbeiten z. B.
der zu früh gestorbne Perrier in trefflicher Weise gethan hat, während in
den andern genannten Zweigen, in Topographie und Kartographie überhaupt,
in Frankreich immer noch einiges zu thun bleibt. Wenn ferner wirklich
eine deutsche Verlagsbuchhandlung die oontdotion einer Karte von Deutschland
nach Paris verlegen wollte, so war dies angesichts der Leistungen in Ländern
deutscher Zunge, von Giesecke und Devrient in Leipzig, von Petters in Hild-
burghausen, im kartographischen Kupferstich und Kupferdruck, von Wagner und
Debcs in Leipzig in Lithographie und Steindruck, des militärgevgraphischen
Instituts in Wien in beiden Vervielfältigungsartcn gewiß nicht notwendig,
nicht einmal zweckmäßig, so gute Arbeiten auch z. B. Erhard Fröres auszu¬
weisen haben.

Aber wo bleibt Justus Perthes? fragt der Leser. Schon im vorigen
Jahrhundert sind bei uns "geographische Anstalten" gegründet worden, deren
Aufgabe besonders Bearbeitung, Stich und Vertrieb topographischer und geo¬
graphischer Karten war. Die von I. Bayl. Homann in Nürnberg hat großen
und berechtigte" Einfluß gewonnen, und die "Homännischen Erben" haben das


Grenzbowl IV 1893 79
Eine neue Karte des deutschen Reichs

werdes Werk, wenn man bedenkt, daß es ein Privatuntenehmen war, hat
jenes Übergewicht auf die üösvriMon AvomvtrisM! der Länder und topo¬
graphische Karten ausgedehnt, bei denen auch der französische Geschmack der Dar¬
stellung förderlich war. Lange bevor noch die napoleonischen Stürme das
Interesse für topographische Karten in einer sür uns unbequemen Art praktisch
förderten, hat Cassini große Teile von Deutschland triangulirt, wobei er, der
ausländische Privatmann, vielfach ein Entgegenkommen der Behöden fand, um
das ihn mancher Geodät, der heute im Dienste des Staats ähnlichen Aufgaben
obliegt, beneiden kaun. Und wenn wir auch im vorigen Jahrhundert Männer
wie Hase, Tobias Mayer u. a. aufzuweisen haben, so ist doch für jene Zeit
das Übergewicht Frankreichs auch in der kritischen .Kartographie anzuerkennen.

Aber um die Wende des vorigen und in den ersten Jahrzehnten dieses
Jahrhunderts hat sich die Sache geändert: ein Sachse, Lehmann, hat die
richtige Bergschraffirung angegeben und damit der topographischen Zeichenkunst
ganz neue Unterlagen verschafft, der Braunschweiger Ganß hat die Geodäsie
in allen Teilen mächtig gefördert, der Baier Söldner, der Schwabe Bohnen-
berger haben sich der geodätischen Grundlagen der Vermessung ihrer Länder an¬
genommen, und wenig später hat Bessel in Königsberg die Erdmessnngsarbeiten,
die Beobachtungskunst überhaupt auf eine bis dahin unbekannte Stufe der
Genauigkeit gebracht. Und wenn uoch Zach in seiner „Monatlichen Korre¬
spondenz" in den ersten Jahren unsers Jahrhunderts unermüdlich darauf hin¬
weisen durfte, daß in der Geodäsie und Kartographie die Franzosen unsre
Lehrmeister seien, so war das bald nicht mehr richtig; der Umschwung in den
folgenden Jahrzehnten war so gewaltig, daß die Franzosen bei sich die Geo¬
däsie völlig ungestalten (i'slÄirv) mußten, was für Erdmesfungsarbeiten z. B.
der zu früh gestorbne Perrier in trefflicher Weise gethan hat, während in
den andern genannten Zweigen, in Topographie und Kartographie überhaupt,
in Frankreich immer noch einiges zu thun bleibt. Wenn ferner wirklich
eine deutsche Verlagsbuchhandlung die oontdotion einer Karte von Deutschland
nach Paris verlegen wollte, so war dies angesichts der Leistungen in Ländern
deutscher Zunge, von Giesecke und Devrient in Leipzig, von Petters in Hild-
burghausen, im kartographischen Kupferstich und Kupferdruck, von Wagner und
Debcs in Leipzig in Lithographie und Steindruck, des militärgevgraphischen
Instituts in Wien in beiden Vervielfältigungsartcn gewiß nicht notwendig,
nicht einmal zweckmäßig, so gute Arbeiten auch z. B. Erhard Fröres auszu¬
weisen haben.

Aber wo bleibt Justus Perthes? fragt der Leser. Schon im vorigen
Jahrhundert sind bei uns „geographische Anstalten" gegründet worden, deren
Aufgabe besonders Bearbeitung, Stich und Vertrieb topographischer und geo¬
graphischer Karten war. Die von I. Bayl. Homann in Nürnberg hat großen
und berechtigte» Einfluß gewonnen, und die „Homännischen Erben" haben das


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[0633] Eine neue Karte des deutschen Reichs werdes Werk, wenn man bedenkt, daß es ein Privatuntenehmen war, hat jenes Übergewicht auf die üösvriMon AvomvtrisM! der Länder und topo¬ graphische Karten ausgedehnt, bei denen auch der französische Geschmack der Dar¬ stellung förderlich war. Lange bevor noch die napoleonischen Stürme das Interesse für topographische Karten in einer sür uns unbequemen Art praktisch förderten, hat Cassini große Teile von Deutschland triangulirt, wobei er, der ausländische Privatmann, vielfach ein Entgegenkommen der Behöden fand, um das ihn mancher Geodät, der heute im Dienste des Staats ähnlichen Aufgaben obliegt, beneiden kaun. Und wenn wir auch im vorigen Jahrhundert Männer wie Hase, Tobias Mayer u. a. aufzuweisen haben, so ist doch für jene Zeit das Übergewicht Frankreichs auch in der kritischen .Kartographie anzuerkennen. Aber um die Wende des vorigen und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts hat sich die Sache geändert: ein Sachse, Lehmann, hat die richtige Bergschraffirung angegeben und damit der topographischen Zeichenkunst ganz neue Unterlagen verschafft, der Braunschweiger Ganß hat die Geodäsie in allen Teilen mächtig gefördert, der Baier Söldner, der Schwabe Bohnen- berger haben sich der geodätischen Grundlagen der Vermessung ihrer Länder an¬ genommen, und wenig später hat Bessel in Königsberg die Erdmessnngsarbeiten, die Beobachtungskunst überhaupt auf eine bis dahin unbekannte Stufe der Genauigkeit gebracht. Und wenn uoch Zach in seiner „Monatlichen Korre¬ spondenz" in den ersten Jahren unsers Jahrhunderts unermüdlich darauf hin¬ weisen durfte, daß in der Geodäsie und Kartographie die Franzosen unsre Lehrmeister seien, so war das bald nicht mehr richtig; der Umschwung in den folgenden Jahrzehnten war so gewaltig, daß die Franzosen bei sich die Geo¬ däsie völlig ungestalten (i'slÄirv) mußten, was für Erdmesfungsarbeiten z. B. der zu früh gestorbne Perrier in trefflicher Weise gethan hat, während in den andern genannten Zweigen, in Topographie und Kartographie überhaupt, in Frankreich immer noch einiges zu thun bleibt. Wenn ferner wirklich eine deutsche Verlagsbuchhandlung die oontdotion einer Karte von Deutschland nach Paris verlegen wollte, so war dies angesichts der Leistungen in Ländern deutscher Zunge, von Giesecke und Devrient in Leipzig, von Petters in Hild- burghausen, im kartographischen Kupferstich und Kupferdruck, von Wagner und Debcs in Leipzig in Lithographie und Steindruck, des militärgevgraphischen Instituts in Wien in beiden Vervielfältigungsartcn gewiß nicht notwendig, nicht einmal zweckmäßig, so gute Arbeiten auch z. B. Erhard Fröres auszu¬ weisen haben. Aber wo bleibt Justus Perthes? fragt der Leser. Schon im vorigen Jahrhundert sind bei uns „geographische Anstalten" gegründet worden, deren Aufgabe besonders Bearbeitung, Stich und Vertrieb topographischer und geo¬ graphischer Karten war. Die von I. Bayl. Homann in Nürnberg hat großen und berechtigte» Einfluß gewonnen, und die „Homännischen Erben" haben das Grenzbowl IV 1893 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/633>, abgerufen am 24.07.2024.