Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Freilich wäre Besserung noch auf einem andern als dem sozialistischen
Wege denkbar: wenn nämlich England darauf verzichtete, der on>rin8llop der
Welt zu sein, und durch eine nicht kommunistische Bodeubcsitzrefvrm seinen
Bauernstand wiederherstellte. Auch Irland, dessen Bevölkerung von 8 196 597
im Jahre 1341 auf 4 706 162 im Jahre 1891 zurückgegangen ist, böte für
ein derartiges Unternehmen noch viel Raum. Ans dem Gewerkvercinskongres;
hatte der Vorsitzende, Monro, u, a, gegen die Behandlung der Arbeit als einer
Ware und gegen die Anwendung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage
darauf protestirt. Darüber spottete die naturels Revisv vom 9. September:
"0 irmlo hö-irow 8mrMoit,a.s! Als ob es sich um ein Gesetz handelte, das vom
Parlament oder vom Kirchspiel erlassen worden wäre und nach Belieben außer
Kraft gesetzt werden könnte! Ebenso gut könnte Mr. Monro sagen, ans einen
Mann, der eine Botschaft des Heiles bringt und dabei in einen Abgrund
taumelt, dürfe das Fallgesetz nicht angewendet werden." Aber der Mann
braucht ja bloß den Abgrund zu umgeben oder eine Brücke zu benutzen, so
thut ihm die Schwerkraft nichts. Naturgesetze kann der Mensch freilich nicht
ändern, aber er kann Bedingungen herstellen, unter denen sie keine Anwendung
auf ihn finden. Wo immer es "freie," d. h. besitz- und herrenlose Lohn¬
arbeiter giebt, da unterliegt die Verwendung ihrer Kräfte dem Gesetz von An¬
gebot und Nachfrage, und keine noch so christliche Gesinnung kann es ändern,
wenn sie anch vielleicht in einzelnen Fällen die Härten dieses Zustandes zu
mildern vermag. Aber verwandelt den Lohnarbeiter in einen kleinen Grund¬
besitzer, und er braucht seiue Arbeitskraft nicht mehr feilzubieten; das Gesetz
ist nicht mehr sür ihn da! Zwischen der Sehlla des Volkselends und der
Charybdis der Revolution hindurch giebt es nur einen Weg: die Vermehrung
des kleinen Grundeigentums. Freie Lohnarbeit werden die modernen Kultur¬
staaten niemals ganz entbehren Milieu; aber soll sie weder die Menschen elend
macheu, noch Gefahren für Staat und Gesellschaft erzeugen, so muß die Zahl
der Lohnarbeiter kleiner bleiben, als die der kleinen Grundbesitzer.^)

Das führt uus noch einmal auf Fuchs zurück. Ju eiuer Schlußbetrach¬
tung meint er, die kontinentale Schutzzollpolitik habe ihr Ziel, Englands in¬
dustrielle Hegemonie zu stürzen, erreicht und so sich selbst überflüssig gemacht;
die Staaten könnten nun ohne Gefahr zum gemäßigten Freihandel der sechziger
Jahre zurückkehren. Dieses Zeitbedürsnis erkannt und deu Anfang zur Reform
gemacht zu haben, sei das Verdienst Deutschlands. Zunächst gelte es, die
Ausführung jener Pläne eines britische" Neichszvllverbandes mit Differeuzial-



In der vorletzten Septcmberwoche war Engels in Berlin. Auf dem Feste, das ihm
zu Ehren gegeben wurde, sprach er seine hohe Befriedigung ans über den Gang der Dinge
in Deutschland. Insbesondre hat es ihm gefallen, daß zwischen dem Rhein und Berlin kaum
noch ein Ort gefunden werde, wo nicht ein Fabrikschlot rauchte; denn, meinte er, jeder Fa¬
brikant macht Proletarier, und wer Proletarier macht, der macht Sozialdemokraten.

Freilich wäre Besserung noch auf einem andern als dem sozialistischen
Wege denkbar: wenn nämlich England darauf verzichtete, der on>rin8llop der
Welt zu sein, und durch eine nicht kommunistische Bodeubcsitzrefvrm seinen
Bauernstand wiederherstellte. Auch Irland, dessen Bevölkerung von 8 196 597
im Jahre 1341 auf 4 706 162 im Jahre 1891 zurückgegangen ist, böte für
ein derartiges Unternehmen noch viel Raum. Ans dem Gewerkvercinskongres;
hatte der Vorsitzende, Monro, u, a, gegen die Behandlung der Arbeit als einer
Ware und gegen die Anwendung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage
darauf protestirt. Darüber spottete die naturels Revisv vom 9. September:
„0 irmlo hö-irow 8mrMoit,a.s! Als ob es sich um ein Gesetz handelte, das vom
Parlament oder vom Kirchspiel erlassen worden wäre und nach Belieben außer
Kraft gesetzt werden könnte! Ebenso gut könnte Mr. Monro sagen, ans einen
Mann, der eine Botschaft des Heiles bringt und dabei in einen Abgrund
taumelt, dürfe das Fallgesetz nicht angewendet werden." Aber der Mann
braucht ja bloß den Abgrund zu umgeben oder eine Brücke zu benutzen, so
thut ihm die Schwerkraft nichts. Naturgesetze kann der Mensch freilich nicht
ändern, aber er kann Bedingungen herstellen, unter denen sie keine Anwendung
auf ihn finden. Wo immer es „freie," d. h. besitz- und herrenlose Lohn¬
arbeiter giebt, da unterliegt die Verwendung ihrer Kräfte dem Gesetz von An¬
gebot und Nachfrage, und keine noch so christliche Gesinnung kann es ändern,
wenn sie anch vielleicht in einzelnen Fällen die Härten dieses Zustandes zu
mildern vermag. Aber verwandelt den Lohnarbeiter in einen kleinen Grund¬
besitzer, und er braucht seiue Arbeitskraft nicht mehr feilzubieten; das Gesetz
ist nicht mehr sür ihn da! Zwischen der Sehlla des Volkselends und der
Charybdis der Revolution hindurch giebt es nur einen Weg: die Vermehrung
des kleinen Grundeigentums. Freie Lohnarbeit werden die modernen Kultur¬
staaten niemals ganz entbehren Milieu; aber soll sie weder die Menschen elend
macheu, noch Gefahren für Staat und Gesellschaft erzeugen, so muß die Zahl
der Lohnarbeiter kleiner bleiben, als die der kleinen Grundbesitzer.^)

Das führt uus noch einmal auf Fuchs zurück. Ju eiuer Schlußbetrach¬
tung meint er, die kontinentale Schutzzollpolitik habe ihr Ziel, Englands in¬
dustrielle Hegemonie zu stürzen, erreicht und so sich selbst überflüssig gemacht;
die Staaten könnten nun ohne Gefahr zum gemäßigten Freihandel der sechziger
Jahre zurückkehren. Dieses Zeitbedürsnis erkannt und deu Anfang zur Reform
gemacht zu haben, sei das Verdienst Deutschlands. Zunächst gelte es, die
Ausführung jener Pläne eines britische» Neichszvllverbandes mit Differeuzial-



In der vorletzten Septcmberwoche war Engels in Berlin. Auf dem Feste, das ihm
zu Ehren gegeben wurde, sprach er seine hohe Befriedigung ans über den Gang der Dinge
in Deutschland. Insbesondre hat es ihm gefallen, daß zwischen dem Rhein und Berlin kaum
noch ein Ort gefunden werde, wo nicht ein Fabrikschlot rauchte; denn, meinte er, jeder Fa¬
brikant macht Proletarier, und wer Proletarier macht, der macht Sozialdemokraten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215787"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Freilich wäre Besserung noch auf einem andern als dem sozialistischen<lb/>
Wege denkbar: wenn nämlich England darauf verzichtete, der on&gt;rin8llop der<lb/>
Welt zu sein, und durch eine nicht kommunistische Bodeubcsitzrefvrm seinen<lb/>
Bauernstand wiederherstellte. Auch Irland, dessen Bevölkerung von 8 196 597<lb/>
im Jahre 1341 auf 4 706 162 im Jahre 1891 zurückgegangen ist, böte für<lb/>
ein derartiges Unternehmen noch viel Raum. Ans dem Gewerkvercinskongres;<lb/>
hatte der Vorsitzende, Monro, u, a, gegen die Behandlung der Arbeit als einer<lb/>
Ware und gegen die Anwendung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage<lb/>
darauf protestirt. Darüber spottete die naturels Revisv vom 9. September:<lb/>
&#x201E;0 irmlo hö-irow 8mrMoit,a.s! Als ob es sich um ein Gesetz handelte, das vom<lb/>
Parlament oder vom Kirchspiel erlassen worden wäre und nach Belieben außer<lb/>
Kraft gesetzt werden könnte! Ebenso gut könnte Mr. Monro sagen, ans einen<lb/>
Mann, der eine Botschaft des Heiles bringt und dabei in einen Abgrund<lb/>
taumelt, dürfe das Fallgesetz nicht angewendet werden." Aber der Mann<lb/>
braucht ja bloß den Abgrund zu umgeben oder eine Brücke zu benutzen, so<lb/>
thut ihm die Schwerkraft nichts. Naturgesetze kann der Mensch freilich nicht<lb/>
ändern, aber er kann Bedingungen herstellen, unter denen sie keine Anwendung<lb/>
auf ihn finden. Wo immer es &#x201E;freie," d. h. besitz- und herrenlose Lohn¬<lb/>
arbeiter giebt, da unterliegt die Verwendung ihrer Kräfte dem Gesetz von An¬<lb/>
gebot und Nachfrage, und keine noch so christliche Gesinnung kann es ändern,<lb/>
wenn sie anch vielleicht in einzelnen Fällen die Härten dieses Zustandes zu<lb/>
mildern vermag. Aber verwandelt den Lohnarbeiter in einen kleinen Grund¬<lb/>
besitzer, und er braucht seiue Arbeitskraft nicht mehr feilzubieten; das Gesetz<lb/>
ist nicht mehr sür ihn da! Zwischen der Sehlla des Volkselends und der<lb/>
Charybdis der Revolution hindurch giebt es nur einen Weg: die Vermehrung<lb/>
des kleinen Grundeigentums. Freie Lohnarbeit werden die modernen Kultur¬<lb/>
staaten niemals ganz entbehren Milieu; aber soll sie weder die Menschen elend<lb/>
macheu, noch Gefahren für Staat und Gesellschaft erzeugen, so muß die Zahl<lb/>
der Lohnarbeiter kleiner bleiben, als die der kleinen Grundbesitzer.^)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157" next="#ID_158"> Das führt uus noch einmal auf Fuchs zurück. Ju eiuer Schlußbetrach¬<lb/>
tung meint er, die kontinentale Schutzzollpolitik habe ihr Ziel, Englands in¬<lb/>
dustrielle Hegemonie zu stürzen, erreicht und so sich selbst überflüssig gemacht;<lb/>
die Staaten könnten nun ohne Gefahr zum gemäßigten Freihandel der sechziger<lb/>
Jahre zurückkehren. Dieses Zeitbedürsnis erkannt und deu Anfang zur Reform<lb/>
gemacht zu haben, sei das Verdienst Deutschlands. Zunächst gelte es, die<lb/>
Ausführung jener Pläne eines britische» Neichszvllverbandes mit Differeuzial-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_9" place="foot"> In der vorletzten Septcmberwoche war Engels in Berlin. Auf dem Feste, das ihm<lb/>
zu Ehren gegeben wurde, sprach er seine hohe Befriedigung ans über den Gang der Dinge<lb/>
in Deutschland. Insbesondre hat es ihm gefallen, daß zwischen dem Rhein und Berlin kaum<lb/>
noch ein Ort gefunden werde, wo nicht ein Fabrikschlot rauchte; denn, meinte er, jeder Fa¬<lb/>
brikant macht Proletarier, und wer Proletarier macht, der macht Sozialdemokraten.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Freilich wäre Besserung noch auf einem andern als dem sozialistischen Wege denkbar: wenn nämlich England darauf verzichtete, der on>rin8llop der Welt zu sein, und durch eine nicht kommunistische Bodeubcsitzrefvrm seinen Bauernstand wiederherstellte. Auch Irland, dessen Bevölkerung von 8 196 597 im Jahre 1341 auf 4 706 162 im Jahre 1891 zurückgegangen ist, böte für ein derartiges Unternehmen noch viel Raum. Ans dem Gewerkvercinskongres; hatte der Vorsitzende, Monro, u, a, gegen die Behandlung der Arbeit als einer Ware und gegen die Anwendung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage darauf protestirt. Darüber spottete die naturels Revisv vom 9. September: „0 irmlo hö-irow 8mrMoit,a.s! Als ob es sich um ein Gesetz handelte, das vom Parlament oder vom Kirchspiel erlassen worden wäre und nach Belieben außer Kraft gesetzt werden könnte! Ebenso gut könnte Mr. Monro sagen, ans einen Mann, der eine Botschaft des Heiles bringt und dabei in einen Abgrund taumelt, dürfe das Fallgesetz nicht angewendet werden." Aber der Mann braucht ja bloß den Abgrund zu umgeben oder eine Brücke zu benutzen, so thut ihm die Schwerkraft nichts. Naturgesetze kann der Mensch freilich nicht ändern, aber er kann Bedingungen herstellen, unter denen sie keine Anwendung auf ihn finden. Wo immer es „freie," d. h. besitz- und herrenlose Lohn¬ arbeiter giebt, da unterliegt die Verwendung ihrer Kräfte dem Gesetz von An¬ gebot und Nachfrage, und keine noch so christliche Gesinnung kann es ändern, wenn sie anch vielleicht in einzelnen Fällen die Härten dieses Zustandes zu mildern vermag. Aber verwandelt den Lohnarbeiter in einen kleinen Grund¬ besitzer, und er braucht seiue Arbeitskraft nicht mehr feilzubieten; das Gesetz ist nicht mehr sür ihn da! Zwischen der Sehlla des Volkselends und der Charybdis der Revolution hindurch giebt es nur einen Weg: die Vermehrung des kleinen Grundeigentums. Freie Lohnarbeit werden die modernen Kultur¬ staaten niemals ganz entbehren Milieu; aber soll sie weder die Menschen elend macheu, noch Gefahren für Staat und Gesellschaft erzeugen, so muß die Zahl der Lohnarbeiter kleiner bleiben, als die der kleinen Grundbesitzer.^) Das führt uus noch einmal auf Fuchs zurück. Ju eiuer Schlußbetrach¬ tung meint er, die kontinentale Schutzzollpolitik habe ihr Ziel, Englands in¬ dustrielle Hegemonie zu stürzen, erreicht und so sich selbst überflüssig gemacht; die Staaten könnten nun ohne Gefahr zum gemäßigten Freihandel der sechziger Jahre zurückkehren. Dieses Zeitbedürsnis erkannt und deu Anfang zur Reform gemacht zu haben, sei das Verdienst Deutschlands. Zunächst gelte es, die Ausführung jener Pläne eines britische» Neichszvllverbandes mit Differeuzial- In der vorletzten Septcmberwoche war Engels in Berlin. Auf dem Feste, das ihm zu Ehren gegeben wurde, sprach er seine hohe Befriedigung ans über den Gang der Dinge in Deutschland. Insbesondre hat es ihm gefallen, daß zwischen dem Rhein und Berlin kaum noch ein Ort gefunden werde, wo nicht ein Fabrikschlot rauchte; denn, meinte er, jeder Fa¬ brikant macht Proletarier, und wer Proletarier macht, der macht Sozialdemokraten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/63>, abgerufen am 24.08.2024.