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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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hießen, ihre Gegner, die Pedicier, besiegt hatten -- der Begriff zur Bezeich¬
nung der Aristokraten wird bei uns jetzt durch Agrarier wiedergegeben --, er¬
schien sofort eine dritte Partei, die unter dem Namen der Diakrier nichts
andres darstellte, als was in Rom die Proletarier waren und was sich bei
uns jetzt "Genossen" nennt.

Gegenwärtig steht die Sozialdemokratie in sich fest und sicher und so stark
gerüstet auf dem Plane, daß ihre Gegnerschaft alle Ursache hat, sich vorzu¬
sehen. Sich vorzusehen nicht bloß in der Herrichtung von Berteidigungsmit-
teln, sondern auch in der rückhaltlosen Bewilligung der Forderungen, die die
Sozialdemokratie mit Recht stellt. Das liberale Bürgertum hätte der Gefahr,
in der es sich im Augenblick befindet, vorbeugen können, wenn es in seinem
Siege nicht bloß an sich gedacht Hütte, sondern auch an die, die hinter ihm
standen. Das Leben vollzieht sich nicht bloß in der Politik, es beruht auch,
und zwar in erster Reihe, auf einer guten wirtschaftlichen Lage. Das weiß zwar
die Bourgeoisie selber am besten, aber sie hat die Arbeiterschaft nur mit der
Theorie vertröstet. Was hilft aber eine Theorie, die auf der einen Seite richtig
ist und auf der andern ins Gegenteil umschlägt? Denn die unbeschränkte Be¬
wegungsfreiheit des Kapitals muß mit Naturnotwendigkeit die Unterdrückung
der Arbcitsfreiheit herbeiführen. Mit Recht hat deshalb auch die Sozial¬
demokratie den Kampf für die menschenwürdigere Stellung des Arbeiters nicht
nur aufgenommen, sondern sie wird ihn anch siegreich zu Ende führen. Aber
es ist nicht gleichgiltig, wie dieser Sieg gewonnen wird. Die vom Christen¬
tum gepredigte Gleichheit aller darf doch nicht in alle Ewigkeit eine bloße
Phrase bleibe". Der Sozialismus verlangt, daß der erste Schritt zur An¬
näherung an ein hohes Ideal gethan werde. Der Staat hat unter Führung
seiner Kaiser mit großen Gesetzen in die gewiesene Bahn eingelenkt, aber der
Freisinn bis tief in die Reihen der Nationalliberalen hinein steht diesen Ge¬
setzen mindestens widerwillig gegenüber. Sie mögen Fehler haben, das Ktebe-
gesetz mag sogar in sehr hohem Grade verbesserungsbedürftig sein, aber dann
gehe man frisch und fröhlich an die Arbeit, nur widersetze man sich nicht. Je
heftiger der Widerstand ist, desto größer ist die Gefahr, daß mit einem cr-
zwungnen Siege auch das verloren oder doch gemindert wird, was nicht die
geringste Schwächung ertragen kann. Man sehe sich also vor und gebe mit
Liebe. Je bereitwilliger die Zugeständnisse gemacht werden, um so vorteil¬
hafter wird die Lage auf Seiten der Besiegten sein, um so besser wird sich
auch das Ganze befinden.

Aber es sieht nicht darnach aus, als ob man sich in der Umgebung des
Freisinns so bald auf diese Wahrheit besinnen würde. In dem schon erwähnten
Leitartikel belehrt der augeschlaguc Ton darüber so gut, wie es ganze Bände
nicht thun könnten. Dieser süffisante Ton des Alleinwiffeus und des hoch¬
mütigen Abnrteilens, verbunden mit jener steifnackigen, in der Form aufgehenden


hießen, ihre Gegner, die Pedicier, besiegt hatten — der Begriff zur Bezeich¬
nung der Aristokraten wird bei uns jetzt durch Agrarier wiedergegeben —, er¬
schien sofort eine dritte Partei, die unter dem Namen der Diakrier nichts
andres darstellte, als was in Rom die Proletarier waren und was sich bei
uns jetzt „Genossen" nennt.

Gegenwärtig steht die Sozialdemokratie in sich fest und sicher und so stark
gerüstet auf dem Plane, daß ihre Gegnerschaft alle Ursache hat, sich vorzu¬
sehen. Sich vorzusehen nicht bloß in der Herrichtung von Berteidigungsmit-
teln, sondern auch in der rückhaltlosen Bewilligung der Forderungen, die die
Sozialdemokratie mit Recht stellt. Das liberale Bürgertum hätte der Gefahr,
in der es sich im Augenblick befindet, vorbeugen können, wenn es in seinem
Siege nicht bloß an sich gedacht Hütte, sondern auch an die, die hinter ihm
standen. Das Leben vollzieht sich nicht bloß in der Politik, es beruht auch,
und zwar in erster Reihe, auf einer guten wirtschaftlichen Lage. Das weiß zwar
die Bourgeoisie selber am besten, aber sie hat die Arbeiterschaft nur mit der
Theorie vertröstet. Was hilft aber eine Theorie, die auf der einen Seite richtig
ist und auf der andern ins Gegenteil umschlägt? Denn die unbeschränkte Be¬
wegungsfreiheit des Kapitals muß mit Naturnotwendigkeit die Unterdrückung
der Arbcitsfreiheit herbeiführen. Mit Recht hat deshalb auch die Sozial¬
demokratie den Kampf für die menschenwürdigere Stellung des Arbeiters nicht
nur aufgenommen, sondern sie wird ihn anch siegreich zu Ende führen. Aber
es ist nicht gleichgiltig, wie dieser Sieg gewonnen wird. Die vom Christen¬
tum gepredigte Gleichheit aller darf doch nicht in alle Ewigkeit eine bloße
Phrase bleibe». Der Sozialismus verlangt, daß der erste Schritt zur An¬
näherung an ein hohes Ideal gethan werde. Der Staat hat unter Führung
seiner Kaiser mit großen Gesetzen in die gewiesene Bahn eingelenkt, aber der
Freisinn bis tief in die Reihen der Nationalliberalen hinein steht diesen Ge¬
setzen mindestens widerwillig gegenüber. Sie mögen Fehler haben, das Ktebe-
gesetz mag sogar in sehr hohem Grade verbesserungsbedürftig sein, aber dann
gehe man frisch und fröhlich an die Arbeit, nur widersetze man sich nicht. Je
heftiger der Widerstand ist, desto größer ist die Gefahr, daß mit einem cr-
zwungnen Siege auch das verloren oder doch gemindert wird, was nicht die
geringste Schwächung ertragen kann. Man sehe sich also vor und gebe mit
Liebe. Je bereitwilliger die Zugeständnisse gemacht werden, um so vorteil¬
hafter wird die Lage auf Seiten der Besiegten sein, um so besser wird sich
auch das Ganze befinden.

Aber es sieht nicht darnach aus, als ob man sich in der Umgebung des
Freisinns so bald auf diese Wahrheit besinnen würde. In dem schon erwähnten
Leitartikel belehrt der augeschlaguc Ton darüber so gut, wie es ganze Bände
nicht thun könnten. Dieser süffisante Ton des Alleinwiffeus und des hoch¬
mütigen Abnrteilens, verbunden mit jener steifnackigen, in der Form aufgehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/612>, abgerufen am 22.07.2024.