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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Woran liegt es. daß sich Deutschlands Männer, trotz einer ziemlich ver¬
breiteten oberflächlichen Flottenschwärmerei als! Überbleibsel ans der achtund-
vierziger Zeit, so wenig ernsthaft mit den Flottensragen beschäftigen? Wie
es scheint, hauptsächlich an dem durch die letzten Kriege bestärkten Vorurteil,
daß die Entscheidung eines Feldzuges allein beim Landheere liege. Ju zweiter
Reihe scheint der Umstand mitzuwirken, daß Deutschland in frühern Zeiten,
mit der einzigen Ausnahme des alten Hansebundes, niemals zur See mächtig
gewesen ist. Aber man sollte doch meinen, das Studium der Geschichte müßte
jeden dahin bringen, die Wichtigkeit der Seeherrschaft einzusehen. Wem sonst
als ihren Flotten verdankten die alten Griechen, die Phönizier und die Kar¬
thager die größten Erfolge? Selbst im Nömerreiche spielten Flottenkämpfe
oft die wichtigste Rolle. Wie reich an thatkräftigen Handeln ist die Geschichte
des kühnsten Seemannsvolkes, des normannischen! Venedig und Genna, Por¬
tugal und Spanien wurden durch ihre Kriegsflotten und ihren Seehandel zur
höchsten Blüte gehoben ; als ihnen der Dreizack Neptuns entrissen wurde, ging
ihre Macht schnell verloren. Hollands und Englands Seeherrschaft erdrückte
die Hanse. Das großartigste Beispiel aber liefert Holland. Welche über¬
raschenden, fast unglaublichen Erfolge hat diese kleine niederdeutsche Landschaft
Mr See gehabt! Die Befreiung vom spanischen Joch führten hauptsächlich die
wetterfesten Seelünder, die Meergeusen aus. Dann verbreiteten sich dieselben
Seeleute schnell über alle Meere der Erde und brachten Spaniens Weltreich
zum Wanken, indem sie dem spanischen Seehandel überall schweren Schaden
zufügten und selbst große und leistungsfähige Länder eroberten. Schließlich
"ahmen Niederlands Admiräle, die größten Seehelden aller Zeiten, siegreich
den Kampf mit den Flotten Englands, Frankreichs und Spaniens auf. Selbst
England vermag nicht so großartige Thaten zur See aufzuweisen. Aber auch
Englands Seeherrschaft hat Napoleon in seinem Siegeslaufe aufgehalten. Von
der Ohnmacht Deutschlands gegen das kleine Dänemark im Jahre 1848 habe
ich schon gesprochen; in dem letzten französischen Kriege wurde es Frankreich
"ur dnrch seine Seemacht möglich, den Krieg auf dem Lande in die Lange zu
ziehen, weil sie ihm die freie Zufuhr von Lebensmitteln, Waffen und andern
Kriegsvorräten gewährte. Es gehören wahrlich keine großen strategischen Kennt¬
nisse dazu, einzusehen, welchen Einfluß es auf den Lauf eines zukünftigen Krieges
haben würde/wenn sich die deutsche Flagge aus den Meeren nicht mehr sehen
lassen dürfte, und wenn einer der norditalienischen Häfen in französische Ge¬
walt fiele.

Wer sich genau und möglichst zuverlässig über die Wehrkräfte zur See
und insbesondre über die Größe, Bewaffnung, Panzerung, Schnelligkeit und
Besatznngsstärke jedes Kriegsschiffes der Erde unterrichten will, der nehme den
Almanach der Kriegsflotten (Wien, Gerolds Verlag, 1892) zur Hand. Trotz
der (oft übertriebnen) Geheimniskrämerei mancher Marinebehörden findet man


Grenzboten IV 1893 7l
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Woran liegt es. daß sich Deutschlands Männer, trotz einer ziemlich ver¬
breiteten oberflächlichen Flottenschwärmerei als! Überbleibsel ans der achtund-
vierziger Zeit, so wenig ernsthaft mit den Flottensragen beschäftigen? Wie
es scheint, hauptsächlich an dem durch die letzten Kriege bestärkten Vorurteil,
daß die Entscheidung eines Feldzuges allein beim Landheere liege. Ju zweiter
Reihe scheint der Umstand mitzuwirken, daß Deutschland in frühern Zeiten,
mit der einzigen Ausnahme des alten Hansebundes, niemals zur See mächtig
gewesen ist. Aber man sollte doch meinen, das Studium der Geschichte müßte
jeden dahin bringen, die Wichtigkeit der Seeherrschaft einzusehen. Wem sonst
als ihren Flotten verdankten die alten Griechen, die Phönizier und die Kar¬
thager die größten Erfolge? Selbst im Nömerreiche spielten Flottenkämpfe
oft die wichtigste Rolle. Wie reich an thatkräftigen Handeln ist die Geschichte
des kühnsten Seemannsvolkes, des normannischen! Venedig und Genna, Por¬
tugal und Spanien wurden durch ihre Kriegsflotten und ihren Seehandel zur
höchsten Blüte gehoben ; als ihnen der Dreizack Neptuns entrissen wurde, ging
ihre Macht schnell verloren. Hollands und Englands Seeherrschaft erdrückte
die Hanse. Das großartigste Beispiel aber liefert Holland. Welche über¬
raschenden, fast unglaublichen Erfolge hat diese kleine niederdeutsche Landschaft
Mr See gehabt! Die Befreiung vom spanischen Joch führten hauptsächlich die
wetterfesten Seelünder, die Meergeusen aus. Dann verbreiteten sich dieselben
Seeleute schnell über alle Meere der Erde und brachten Spaniens Weltreich
zum Wanken, indem sie dem spanischen Seehandel überall schweren Schaden
zufügten und selbst große und leistungsfähige Länder eroberten. Schließlich
"ahmen Niederlands Admiräle, die größten Seehelden aller Zeiten, siegreich
den Kampf mit den Flotten Englands, Frankreichs und Spaniens auf. Selbst
England vermag nicht so großartige Thaten zur See aufzuweisen. Aber auch
Englands Seeherrschaft hat Napoleon in seinem Siegeslaufe aufgehalten. Von
der Ohnmacht Deutschlands gegen das kleine Dänemark im Jahre 1848 habe
ich schon gesprochen; in dem letzten französischen Kriege wurde es Frankreich
"ur dnrch seine Seemacht möglich, den Krieg auf dem Lande in die Lange zu
ziehen, weil sie ihm die freie Zufuhr von Lebensmitteln, Waffen und andern
Kriegsvorräten gewährte. Es gehören wahrlich keine großen strategischen Kennt¬
nisse dazu, einzusehen, welchen Einfluß es auf den Lauf eines zukünftigen Krieges
haben würde/wenn sich die deutsche Flagge aus den Meeren nicht mehr sehen
lassen dürfte, und wenn einer der norditalienischen Häfen in französische Ge¬
walt fiele.

Wer sich genau und möglichst zuverlässig über die Wehrkräfte zur See
und insbesondre über die Größe, Bewaffnung, Panzerung, Schnelligkeit und
Besatznngsstärke jedes Kriegsschiffes der Erde unterrichten will, der nehme den
Almanach der Kriegsflotten (Wien, Gerolds Verlag, 1892) zur Hand. Trotz
der (oft übertriebnen) Geheimniskrämerei mancher Marinebehörden findet man


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[0569] Mehr Kreuzer! Woran liegt es. daß sich Deutschlands Männer, trotz einer ziemlich ver¬ breiteten oberflächlichen Flottenschwärmerei als! Überbleibsel ans der achtund- vierziger Zeit, so wenig ernsthaft mit den Flottensragen beschäftigen? Wie es scheint, hauptsächlich an dem durch die letzten Kriege bestärkten Vorurteil, daß die Entscheidung eines Feldzuges allein beim Landheere liege. Ju zweiter Reihe scheint der Umstand mitzuwirken, daß Deutschland in frühern Zeiten, mit der einzigen Ausnahme des alten Hansebundes, niemals zur See mächtig gewesen ist. Aber man sollte doch meinen, das Studium der Geschichte müßte jeden dahin bringen, die Wichtigkeit der Seeherrschaft einzusehen. Wem sonst als ihren Flotten verdankten die alten Griechen, die Phönizier und die Kar¬ thager die größten Erfolge? Selbst im Nömerreiche spielten Flottenkämpfe oft die wichtigste Rolle. Wie reich an thatkräftigen Handeln ist die Geschichte des kühnsten Seemannsvolkes, des normannischen! Venedig und Genna, Por¬ tugal und Spanien wurden durch ihre Kriegsflotten und ihren Seehandel zur höchsten Blüte gehoben ; als ihnen der Dreizack Neptuns entrissen wurde, ging ihre Macht schnell verloren. Hollands und Englands Seeherrschaft erdrückte die Hanse. Das großartigste Beispiel aber liefert Holland. Welche über¬ raschenden, fast unglaublichen Erfolge hat diese kleine niederdeutsche Landschaft Mr See gehabt! Die Befreiung vom spanischen Joch führten hauptsächlich die wetterfesten Seelünder, die Meergeusen aus. Dann verbreiteten sich dieselben Seeleute schnell über alle Meere der Erde und brachten Spaniens Weltreich zum Wanken, indem sie dem spanischen Seehandel überall schweren Schaden zufügten und selbst große und leistungsfähige Länder eroberten. Schließlich "ahmen Niederlands Admiräle, die größten Seehelden aller Zeiten, siegreich den Kampf mit den Flotten Englands, Frankreichs und Spaniens auf. Selbst England vermag nicht so großartige Thaten zur See aufzuweisen. Aber auch Englands Seeherrschaft hat Napoleon in seinem Siegeslaufe aufgehalten. Von der Ohnmacht Deutschlands gegen das kleine Dänemark im Jahre 1848 habe ich schon gesprochen; in dem letzten französischen Kriege wurde es Frankreich "ur dnrch seine Seemacht möglich, den Krieg auf dem Lande in die Lange zu ziehen, weil sie ihm die freie Zufuhr von Lebensmitteln, Waffen und andern Kriegsvorräten gewährte. Es gehören wahrlich keine großen strategischen Kennt¬ nisse dazu, einzusehen, welchen Einfluß es auf den Lauf eines zukünftigen Krieges haben würde/wenn sich die deutsche Flagge aus den Meeren nicht mehr sehen lassen dürfte, und wenn einer der norditalienischen Häfen in französische Ge¬ walt fiele. Wer sich genau und möglichst zuverlässig über die Wehrkräfte zur See und insbesondre über die Größe, Bewaffnung, Panzerung, Schnelligkeit und Besatznngsstärke jedes Kriegsschiffes der Erde unterrichten will, der nehme den Almanach der Kriegsflotten (Wien, Gerolds Verlag, 1892) zur Hand. Trotz der (oft übertriebnen) Geheimniskrämerei mancher Marinebehörden findet man Grenzboten IV 1893 7l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/569>, abgerufen am 22.07.2024.