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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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O mein Sohn, schloß die Mutter ihre Erzählung. Warum habt ihr uns
das gethan? Ihr habt uns alle schwer gekränkt, nicht am wenigsten jenen Mnun.
Der hätte wahrlich ein andres Los verdient.

Ach Mutter, sagte Franz, rede nicht davon. Ich sage mir ja die Wahrheit
herber, als du es vermagst. Wir sind hümusgegaugeu in die Welt ohne Über¬
legung. Aber wer hätte das denken können? Es ist alles so gut geworden, und
doch konnte es auch so anders werden! Wie sehr sind wir betrogen worden! Der
Manu, von dem du einen Brief empfingst, und der, wie du sagst, so brav und
menschlich zu reden wußte, war unser schlimmster Feind. Möge Gott ihn richten.

Laß ihn, sagte die Mutter begütigend. Ihr seid selbst schuld daran, daß ihr
in solche Gesellschaft gekommen seid. Ich habe mir nun folgendes gedacht. Du
stellst dich morgen deiner Behörde und erwartest deine Strafe. Ich denke, der
völlig wird gnädig sein. Man hat mir versprochen, ein gutes Wort für dich ein¬
zulegen, wenn du freiwillig zurückkämest. Das Mädchen bleibt einstweilen hier.
Ihr sollt nun wieder ansaugen, eurer Pflichten zu gedenke".

Lucie hatte alles gehört, jedes Wort, und jedes Wort hatte sie wie ein
Pfeil getroffen. Ging diese Erzählung sie wirklich an, diese ruhige Geschichte, in
der sich alles so wohl fügte und so versöhnend ausklnug? Einen Augenblick wichen
die finster" Wolken von ihrem Herze", alle Unruhe und Not schien von ihr ab-
zufallen, und Frieden wollte in ihre Brust ziehen. So war also das, was sie
heimatlos gemacht hatte, ausgestrichen und getilgt? So konnte sie also noch einmal
zurück in ein friedliches Leben? Oder stand doch noch etwas zwischen ihr und
dem Glück?

Da sah sie es aus dein Mondschein, dessen bleiches Licht flimmernd über dem
Hofe lag, hervorkommen, es floß dahin wie ein Nebel und rann hiu und her,
immer dichter wurde es, und immer näher wallte es heran. Mit weitgeöffneten
Augen blickte sie auf den Schatte", der laugsam auf sie zuschwamm. Und das
Nebelbild nahm Gestalt an. El" Haupt bildete sich, und der Körper eines alten
Mannes trat hervor. Seine Augen ruhten mit tückischem, bösartigem Blick ans ihr.
Sie ließ die Latte, die ihre Hand umfaßt hielt, los, ihr Arm fiel schlaff nieder,
und ihre Knie wichen.

Lucie, Lucie! erklang die Stimme des Geliebte", eine Stimme voll Glück
und Hoffnung.

Da hob sie die Faust gegen die Nein'lgestalt, und mit einem Schrei stürzte
si ,^- , ^
("chint; folgt) e zu Boden. "




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die deutscheu Gewerkschaften,

Die Anzahl der in den deutsche" Ge-
wertfchaftsvrganisationen vereinigten Mitglieder wird für das Jahr 1892 von
Regien, dem Führer der Bewegung, auf 244 934 in 57 Hauptverbäudeu und 3959
^weigvereincn berechnet. Die Mitgliederzahl erreicht mithin noch nicht den vierten
Teil der in Unionen vereinigten englischen Arbeiter, die nach der amtlichen


O mein Sohn, schloß die Mutter ihre Erzählung. Warum habt ihr uns
das gethan? Ihr habt uns alle schwer gekränkt, nicht am wenigsten jenen Mnun.
Der hätte wahrlich ein andres Los verdient.

Ach Mutter, sagte Franz, rede nicht davon. Ich sage mir ja die Wahrheit
herber, als du es vermagst. Wir sind hümusgegaugeu in die Welt ohne Über¬
legung. Aber wer hätte das denken können? Es ist alles so gut geworden, und
doch konnte es auch so anders werden! Wie sehr sind wir betrogen worden! Der
Manu, von dem du einen Brief empfingst, und der, wie du sagst, so brav und
menschlich zu reden wußte, war unser schlimmster Feind. Möge Gott ihn richten.

Laß ihn, sagte die Mutter begütigend. Ihr seid selbst schuld daran, daß ihr
in solche Gesellschaft gekommen seid. Ich habe mir nun folgendes gedacht. Du
stellst dich morgen deiner Behörde und erwartest deine Strafe. Ich denke, der
völlig wird gnädig sein. Man hat mir versprochen, ein gutes Wort für dich ein¬
zulegen, wenn du freiwillig zurückkämest. Das Mädchen bleibt einstweilen hier.
Ihr sollt nun wieder ansaugen, eurer Pflichten zu gedenke».

Lucie hatte alles gehört, jedes Wort, und jedes Wort hatte sie wie ein
Pfeil getroffen. Ging diese Erzählung sie wirklich an, diese ruhige Geschichte, in
der sich alles so wohl fügte und so versöhnend ausklnug? Einen Augenblick wichen
die finster» Wolken von ihrem Herze», alle Unruhe und Not schien von ihr ab-
zufallen, und Frieden wollte in ihre Brust ziehen. So war also das, was sie
heimatlos gemacht hatte, ausgestrichen und getilgt? So konnte sie also noch einmal
zurück in ein friedliches Leben? Oder stand doch noch etwas zwischen ihr und
dem Glück?

Da sah sie es aus dein Mondschein, dessen bleiches Licht flimmernd über dem
Hofe lag, hervorkommen, es floß dahin wie ein Nebel und rann hiu und her,
immer dichter wurde es, und immer näher wallte es heran. Mit weitgeöffneten
Augen blickte sie auf den Schatte», der laugsam auf sie zuschwamm. Und das
Nebelbild nahm Gestalt an. El» Haupt bildete sich, und der Körper eines alten
Mannes trat hervor. Seine Augen ruhten mit tückischem, bösartigem Blick ans ihr.
Sie ließ die Latte, die ihre Hand umfaßt hielt, los, ihr Arm fiel schlaff nieder,
und ihre Knie wichen.

Lucie, Lucie! erklang die Stimme des Geliebte», eine Stimme voll Glück
und Hoffnung.

Da hob sie die Faust gegen die Nein'lgestalt, und mit einem Schrei stürzte
si ,^- , ^
(«chint; folgt) e zu Boden. "




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die deutscheu Gewerkschaften,

Die Anzahl der in den deutsche» Ge-
wertfchaftsvrganisationen vereinigten Mitglieder wird für das Jahr 1892 von
Regien, dem Führer der Bewegung, auf 244 934 in 57 Hauptverbäudeu und 3959
^weigvereincn berechnet. Die Mitgliederzahl erreicht mithin noch nicht den vierten
Teil der in Unionen vereinigten englischen Arbeiter, die nach der amtlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/550>, abgerufen am 22.07.2024.