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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-lMshoff und Levin Schiicking

junge Freund "das liebe kleine Pferd" ist, die beständige warme Teilnahme
a" seinem Treiben und Schreiben, die rückhaltlos offnen Mitteilungen über
die Verhältnisse auf der Meersburg, daheim und in Münster, alles bestätigt,
daß die Freundschaft eine innige war, die beide beglückte. "Lieber Levin, deine
treue Sorge und Liebe thut deinem Mütterchen sehr wohl, sie hat ja auch
nur den einen Jungen, auf den sie alles, was von Mutterliebe in ihr ist,
konzentriren muß. Gott segne dich, mein Kind, du weißt nicht, wie es mich
rührt, daß du so oft an mich gedacht und deine Freude in der meinigen ge¬
funden hast. Ich bin etwas mißtrauisch und gar nicht eitel, darum glaube
ich immer schnell vergessen zu sein." (Nüschhaus, den 15. November 1842.)
Noch deutlicher tritt der ganze Charakter dieser Verbindung in dem Briefe vom
27. Dezember 1842 hervor, wo Annette dem Freunde sagt: "Dann eine Bitte,
mein Kind: dn hast deinen Brief zerrissen, um mir das Herz nicht schwer zu
machen; meinst du, daß mir etwas schwerer auf dem Herzen liegen könnte, wie
die Angst ohne bestimmten Gegenstand, wenn du mir nicht offen mehr schreibst?
Ein Glück magst du allenfalls für dich behalten, aber deine Prüfungen will
ich teilen und mit tragen, wie es einer ehrlichen Mutter zukommt. Und nun
segne dich Gott, mein liebes, liebstes Kind, meine Gedanken sind immer bei
dir." Ergreifend ist ihre Sorge nud ihre edle Offenheit, als sich herausstellt,
daß sich Schücking in dem fürstlichen Hause nud unter mannichfach unpassenden
Umgebungen mehr und mehr isolirt fühlte. "Fürchten Sie Veränderungen, die
Ihre ohnedies delikate Lage bis zum Bedenklichen, ich wage es zu sagen: bis
zum fast Unehrenhaften steigern könnten, so bitte ich Sie um alle der treuen
Sorge und Liebe nulle", die ich Ihnen immer bewiesen, sprechen Sie es ehrlich
gegen mich ans. Für Ihren Charakter fürchte ich nichts, einem edeln Gemüt
kann diese krasse Verderbtheit nur Ekel erregen, und die Freundin und Stell¬
vertreterin Ihrer Mutter ist Ihnen hoffentlich auch zu lieb, als daß Sie uicht
immer gern mit freiem Mute an sie denken möchten. Aber Ihre Stellung
wird und muß in Moudsee sehr einsam sein, denn es würde doch gar zu
miserabel lauten: "der Maun, dem die Kinder der seligen Fürstin anvertraut
siud, ist der Pylades des Bruders, der Schwester, des Betters jener Person,
die der Fürstin den Sarg gezimmert hat," und deshalb betrübt mich Ihre
Einsamkeit. Ich rede nicht von den Liebschaften des Fürsten, d. h. in direkter
Beziehung zu Ihnen, obwohl Sie auch hierbei uicht glauben dürfen, herans-
zuwittern, waS man Ihnen und jedem, sobald ein Plan da ist, gewiß aufs
schlauste verbergen wird; aber möchten Sie der Pseudoschwager, Vetter, Neffe
des Fürsten werden? Heute lachen Sie über diese Frage, und in kurzem sind
Sie vielleicht so umsponnen -- es könnte wenigstens so kommen --, daß Sie
weder vor- noch rückwärts wissen; ich habe leider ein Haus genau gekannt,
wo es jedem so ging, der sich hineinbegab, gerade dem Besten und Arglosesten
am ersten. Lieber Levin, mein liebstes Kind, werfen Sie dieses Blatt fort?


Annette von Droste-lMshoff und Levin Schiicking

junge Freund „das liebe kleine Pferd" ist, die beständige warme Teilnahme
a» seinem Treiben und Schreiben, die rückhaltlos offnen Mitteilungen über
die Verhältnisse auf der Meersburg, daheim und in Münster, alles bestätigt,
daß die Freundschaft eine innige war, die beide beglückte. „Lieber Levin, deine
treue Sorge und Liebe thut deinem Mütterchen sehr wohl, sie hat ja auch
nur den einen Jungen, auf den sie alles, was von Mutterliebe in ihr ist,
konzentriren muß. Gott segne dich, mein Kind, du weißt nicht, wie es mich
rührt, daß du so oft an mich gedacht und deine Freude in der meinigen ge¬
funden hast. Ich bin etwas mißtrauisch und gar nicht eitel, darum glaube
ich immer schnell vergessen zu sein." (Nüschhaus, den 15. November 1842.)
Noch deutlicher tritt der ganze Charakter dieser Verbindung in dem Briefe vom
27. Dezember 1842 hervor, wo Annette dem Freunde sagt: „Dann eine Bitte,
mein Kind: dn hast deinen Brief zerrissen, um mir das Herz nicht schwer zu
machen; meinst du, daß mir etwas schwerer auf dem Herzen liegen könnte, wie
die Angst ohne bestimmten Gegenstand, wenn du mir nicht offen mehr schreibst?
Ein Glück magst du allenfalls für dich behalten, aber deine Prüfungen will
ich teilen und mit tragen, wie es einer ehrlichen Mutter zukommt. Und nun
segne dich Gott, mein liebes, liebstes Kind, meine Gedanken sind immer bei
dir." Ergreifend ist ihre Sorge nud ihre edle Offenheit, als sich herausstellt,
daß sich Schücking in dem fürstlichen Hause nud unter mannichfach unpassenden
Umgebungen mehr und mehr isolirt fühlte. „Fürchten Sie Veränderungen, die
Ihre ohnedies delikate Lage bis zum Bedenklichen, ich wage es zu sagen: bis
zum fast Unehrenhaften steigern könnten, so bitte ich Sie um alle der treuen
Sorge und Liebe nulle», die ich Ihnen immer bewiesen, sprechen Sie es ehrlich
gegen mich ans. Für Ihren Charakter fürchte ich nichts, einem edeln Gemüt
kann diese krasse Verderbtheit nur Ekel erregen, und die Freundin und Stell¬
vertreterin Ihrer Mutter ist Ihnen hoffentlich auch zu lieb, als daß Sie uicht
immer gern mit freiem Mute an sie denken möchten. Aber Ihre Stellung
wird und muß in Moudsee sehr einsam sein, denn es würde doch gar zu
miserabel lauten: »der Maun, dem die Kinder der seligen Fürstin anvertraut
siud, ist der Pylades des Bruders, der Schwester, des Betters jener Person,
die der Fürstin den Sarg gezimmert hat,« und deshalb betrübt mich Ihre
Einsamkeit. Ich rede nicht von den Liebschaften des Fürsten, d. h. in direkter
Beziehung zu Ihnen, obwohl Sie auch hierbei uicht glauben dürfen, herans-
zuwittern, waS man Ihnen und jedem, sobald ein Plan da ist, gewiß aufs
schlauste verbergen wird; aber möchten Sie der Pseudoschwager, Vetter, Neffe
des Fürsten werden? Heute lachen Sie über diese Frage, und in kurzem sind
Sie vielleicht so umsponnen — es könnte wenigstens so kommen —, daß Sie
weder vor- noch rückwärts wissen; ich habe leider ein Haus genau gekannt,
wo es jedem so ging, der sich hineinbegab, gerade dem Besten und Arglosesten
am ersten. Lieber Levin, mein liebstes Kind, werfen Sie dieses Blatt fort?


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[0530] Annette von Droste-lMshoff und Levin Schiicking junge Freund „das liebe kleine Pferd" ist, die beständige warme Teilnahme a» seinem Treiben und Schreiben, die rückhaltlos offnen Mitteilungen über die Verhältnisse auf der Meersburg, daheim und in Münster, alles bestätigt, daß die Freundschaft eine innige war, die beide beglückte. „Lieber Levin, deine treue Sorge und Liebe thut deinem Mütterchen sehr wohl, sie hat ja auch nur den einen Jungen, auf den sie alles, was von Mutterliebe in ihr ist, konzentriren muß. Gott segne dich, mein Kind, du weißt nicht, wie es mich rührt, daß du so oft an mich gedacht und deine Freude in der meinigen ge¬ funden hast. Ich bin etwas mißtrauisch und gar nicht eitel, darum glaube ich immer schnell vergessen zu sein." (Nüschhaus, den 15. November 1842.) Noch deutlicher tritt der ganze Charakter dieser Verbindung in dem Briefe vom 27. Dezember 1842 hervor, wo Annette dem Freunde sagt: „Dann eine Bitte, mein Kind: dn hast deinen Brief zerrissen, um mir das Herz nicht schwer zu machen; meinst du, daß mir etwas schwerer auf dem Herzen liegen könnte, wie die Angst ohne bestimmten Gegenstand, wenn du mir nicht offen mehr schreibst? Ein Glück magst du allenfalls für dich behalten, aber deine Prüfungen will ich teilen und mit tragen, wie es einer ehrlichen Mutter zukommt. Und nun segne dich Gott, mein liebes, liebstes Kind, meine Gedanken sind immer bei dir." Ergreifend ist ihre Sorge nud ihre edle Offenheit, als sich herausstellt, daß sich Schücking in dem fürstlichen Hause nud unter mannichfach unpassenden Umgebungen mehr und mehr isolirt fühlte. „Fürchten Sie Veränderungen, die Ihre ohnedies delikate Lage bis zum Bedenklichen, ich wage es zu sagen: bis zum fast Unehrenhaften steigern könnten, so bitte ich Sie um alle der treuen Sorge und Liebe nulle», die ich Ihnen immer bewiesen, sprechen Sie es ehrlich gegen mich ans. Für Ihren Charakter fürchte ich nichts, einem edeln Gemüt kann diese krasse Verderbtheit nur Ekel erregen, und die Freundin und Stell¬ vertreterin Ihrer Mutter ist Ihnen hoffentlich auch zu lieb, als daß Sie uicht immer gern mit freiem Mute an sie denken möchten. Aber Ihre Stellung wird und muß in Moudsee sehr einsam sein, denn es würde doch gar zu miserabel lauten: »der Maun, dem die Kinder der seligen Fürstin anvertraut siud, ist der Pylades des Bruders, der Schwester, des Betters jener Person, die der Fürstin den Sarg gezimmert hat,« und deshalb betrübt mich Ihre Einsamkeit. Ich rede nicht von den Liebschaften des Fürsten, d. h. in direkter Beziehung zu Ihnen, obwohl Sie auch hierbei uicht glauben dürfen, herans- zuwittern, waS man Ihnen und jedem, sobald ein Plan da ist, gewiß aufs schlauste verbergen wird; aber möchten Sie der Pseudoschwager, Vetter, Neffe des Fürsten werden? Heute lachen Sie über diese Frage, und in kurzem sind Sie vielleicht so umsponnen — es könnte wenigstens so kommen —, daß Sie weder vor- noch rückwärts wissen; ich habe leider ein Haus genau gekannt, wo es jedem so ging, der sich hineinbegab, gerade dem Besten und Arglosesten am ersten. Lieber Levin, mein liebstes Kind, werfen Sie dieses Blatt fort?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/530>, abgerufen am 22.07.2024.