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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Mnstlerelend

dings viel für die Kunst leisten, ohne Brutanstalten für Künstlerproletariat zu
unterhalten. Er kaun jedem Gelegenheit gewähren, sich Fertigkeiten im Zeichnen
anzueignen, die in jedem Berufe nützen können, und darüber hinaus die An¬
fangsbegriffe der Malerei. Dazu bedarf es keiner großen Künstler, nur tüch¬
tiger, solid gebildeter Schulmeister. Er kann aber auch hervorragende Maler
auszeichnen durch Verleihung des so geschätzten Profeffortitels, Überlassung
von Arbeitsrüumen, nötigenfalls durch Besoldung. Die mögen dann nach
freien Belieben Schüler aufnehmen oder nicht, d. h. Schüler im alten Sinne,
also Lehrlinge, die alles das praktisch zu lernen haben, was in guten Zeiten
als das Grunderfordernis der .Kunst betrachtet wurde, das Handwerk. Schlimm
genug, daß das Farbenreiber durch die Industrie entbehrlich gemacht worden
ist, und viele Maler gar nicht wissen, was sie eigentlich aus der "Tube" auf
die Palette drücken, und wie sich der eine Stoff zum audern, mit dem er ge¬
mischt wird, wie zu den Binde- und Trockenmittelu, wie zur Atmosphäre u. s. w.
verhalten wird. Zeigt sich der Lehrling anstellig, so wird er zum Gehilfen
des Meisters werden, im andern Falle wird er weggeschickt werden, noch jung
genug, zu etwas anderm zu greifen, noch nicht vom Künstlerdünkel angesteckt.
Nicht immer wird sich das Mittel bewähren, doch haben wir schon oft die
Probe gesehen, wie bald junge Burschen, die in der Kunst einen lustigen Zeit¬
vertreib vermutet hatten, durch die Lehrzeit bei einem verständigen .Künstler
ernüchtert wurden. Und wer sich nicht raten lassen will, der mag seinen Weg
selbst suchen. Verfehlt er das Ziel, so kann er mindestens nicht, wie es jetzt
so oft geschieht, den Staat dafür verantwortlich machen, daß er die beste Zugend¬
zeit auf der Schulbank verbracht habe, um -- ein Pfuscher und Hungerleider
zu werden.

Wie aber würde es dann um die wissenschaftliche Bildung stehen? Bei
einem tüchtigen Meister würden Lehrling und Gehilfe in den Gesprächen bei
der Arbeit und über die Arbeit vieles leichter und mehr für die Dauer lernen
als aus Vorlesungen, und wer überhaupt Bildungstrieb hat, dem stehen gegen¬
wärtig die Mittel zu deren Befriedigung in überreicher Fülle zu Gebote.
Übrigens vernimmt man oft die Klage, daß gerade in dieser Beziehung die
akademische Jugend von heute tief unter frühern Generationen stehe. Früher
vereinigten sich Schülergruppen, um in den Abendstunden den Laokoon oder
Vasari mit einander zu lesen: das soll jetzt sehr selten vorkommen, weil manche
Herren Professoren keine Gelegenheit vorübergehen lassen sollen, ihnen zu zeigen,
wie sehr sie selbst Vernunft und Wissenschaft verachten.

Vor allem wird unsre Zeit wieder Vertrauen zu der eignen Kraft des
Talents gewinnen müssen. Die wohlgemeinten Bemühungen, ihm jedes Hindernis
aus dem Wege zu räumen, es zu päppeln und zu gängeln, schießen auf diesen
wie auf vielen Gebieten weit übers Ziel hinaus. Es geht einmal nicht an,
daß jeder "studirt," die sogenannten höhern Berufsklassen sind, wohin man


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dings viel für die Kunst leisten, ohne Brutanstalten für Künstlerproletariat zu
unterhalten. Er kaun jedem Gelegenheit gewähren, sich Fertigkeiten im Zeichnen
anzueignen, die in jedem Berufe nützen können, und darüber hinaus die An¬
fangsbegriffe der Malerei. Dazu bedarf es keiner großen Künstler, nur tüch¬
tiger, solid gebildeter Schulmeister. Er kann aber auch hervorragende Maler
auszeichnen durch Verleihung des so geschätzten Profeffortitels, Überlassung
von Arbeitsrüumen, nötigenfalls durch Besoldung. Die mögen dann nach
freien Belieben Schüler aufnehmen oder nicht, d. h. Schüler im alten Sinne,
also Lehrlinge, die alles das praktisch zu lernen haben, was in guten Zeiten
als das Grunderfordernis der .Kunst betrachtet wurde, das Handwerk. Schlimm
genug, daß das Farbenreiber durch die Industrie entbehrlich gemacht worden
ist, und viele Maler gar nicht wissen, was sie eigentlich aus der „Tube" auf
die Palette drücken, und wie sich der eine Stoff zum audern, mit dem er ge¬
mischt wird, wie zu den Binde- und Trockenmittelu, wie zur Atmosphäre u. s. w.
verhalten wird. Zeigt sich der Lehrling anstellig, so wird er zum Gehilfen
des Meisters werden, im andern Falle wird er weggeschickt werden, noch jung
genug, zu etwas anderm zu greifen, noch nicht vom Künstlerdünkel angesteckt.
Nicht immer wird sich das Mittel bewähren, doch haben wir schon oft die
Probe gesehen, wie bald junge Burschen, die in der Kunst einen lustigen Zeit¬
vertreib vermutet hatten, durch die Lehrzeit bei einem verständigen .Künstler
ernüchtert wurden. Und wer sich nicht raten lassen will, der mag seinen Weg
selbst suchen. Verfehlt er das Ziel, so kann er mindestens nicht, wie es jetzt
so oft geschieht, den Staat dafür verantwortlich machen, daß er die beste Zugend¬
zeit auf der Schulbank verbracht habe, um — ein Pfuscher und Hungerleider
zu werden.

Wie aber würde es dann um die wissenschaftliche Bildung stehen? Bei
einem tüchtigen Meister würden Lehrling und Gehilfe in den Gesprächen bei
der Arbeit und über die Arbeit vieles leichter und mehr für die Dauer lernen
als aus Vorlesungen, und wer überhaupt Bildungstrieb hat, dem stehen gegen¬
wärtig die Mittel zu deren Befriedigung in überreicher Fülle zu Gebote.
Übrigens vernimmt man oft die Klage, daß gerade in dieser Beziehung die
akademische Jugend von heute tief unter frühern Generationen stehe. Früher
vereinigten sich Schülergruppen, um in den Abendstunden den Laokoon oder
Vasari mit einander zu lesen: das soll jetzt sehr selten vorkommen, weil manche
Herren Professoren keine Gelegenheit vorübergehen lassen sollen, ihnen zu zeigen,
wie sehr sie selbst Vernunft und Wissenschaft verachten.

Vor allem wird unsre Zeit wieder Vertrauen zu der eignen Kraft des
Talents gewinnen müssen. Die wohlgemeinten Bemühungen, ihm jedes Hindernis
aus dem Wege zu räumen, es zu päppeln und zu gängeln, schießen auf diesen
wie auf vielen Gebieten weit übers Ziel hinaus. Es geht einmal nicht an,
daß jeder „studirt," die sogenannten höhern Berufsklassen sind, wohin man


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[0486] Das Mnstlerelend dings viel für die Kunst leisten, ohne Brutanstalten für Künstlerproletariat zu unterhalten. Er kaun jedem Gelegenheit gewähren, sich Fertigkeiten im Zeichnen anzueignen, die in jedem Berufe nützen können, und darüber hinaus die An¬ fangsbegriffe der Malerei. Dazu bedarf es keiner großen Künstler, nur tüch¬ tiger, solid gebildeter Schulmeister. Er kann aber auch hervorragende Maler auszeichnen durch Verleihung des so geschätzten Profeffortitels, Überlassung von Arbeitsrüumen, nötigenfalls durch Besoldung. Die mögen dann nach freien Belieben Schüler aufnehmen oder nicht, d. h. Schüler im alten Sinne, also Lehrlinge, die alles das praktisch zu lernen haben, was in guten Zeiten als das Grunderfordernis der .Kunst betrachtet wurde, das Handwerk. Schlimm genug, daß das Farbenreiber durch die Industrie entbehrlich gemacht worden ist, und viele Maler gar nicht wissen, was sie eigentlich aus der „Tube" auf die Palette drücken, und wie sich der eine Stoff zum audern, mit dem er ge¬ mischt wird, wie zu den Binde- und Trockenmittelu, wie zur Atmosphäre u. s. w. verhalten wird. Zeigt sich der Lehrling anstellig, so wird er zum Gehilfen des Meisters werden, im andern Falle wird er weggeschickt werden, noch jung genug, zu etwas anderm zu greifen, noch nicht vom Künstlerdünkel angesteckt. Nicht immer wird sich das Mittel bewähren, doch haben wir schon oft die Probe gesehen, wie bald junge Burschen, die in der Kunst einen lustigen Zeit¬ vertreib vermutet hatten, durch die Lehrzeit bei einem verständigen .Künstler ernüchtert wurden. Und wer sich nicht raten lassen will, der mag seinen Weg selbst suchen. Verfehlt er das Ziel, so kann er mindestens nicht, wie es jetzt so oft geschieht, den Staat dafür verantwortlich machen, daß er die beste Zugend¬ zeit auf der Schulbank verbracht habe, um — ein Pfuscher und Hungerleider zu werden. Wie aber würde es dann um die wissenschaftliche Bildung stehen? Bei einem tüchtigen Meister würden Lehrling und Gehilfe in den Gesprächen bei der Arbeit und über die Arbeit vieles leichter und mehr für die Dauer lernen als aus Vorlesungen, und wer überhaupt Bildungstrieb hat, dem stehen gegen¬ wärtig die Mittel zu deren Befriedigung in überreicher Fülle zu Gebote. Übrigens vernimmt man oft die Klage, daß gerade in dieser Beziehung die akademische Jugend von heute tief unter frühern Generationen stehe. Früher vereinigten sich Schülergruppen, um in den Abendstunden den Laokoon oder Vasari mit einander zu lesen: das soll jetzt sehr selten vorkommen, weil manche Herren Professoren keine Gelegenheit vorübergehen lassen sollen, ihnen zu zeigen, wie sehr sie selbst Vernunft und Wissenschaft verachten. Vor allem wird unsre Zeit wieder Vertrauen zu der eignen Kraft des Talents gewinnen müssen. Die wohlgemeinten Bemühungen, ihm jedes Hindernis aus dem Wege zu räumen, es zu päppeln und zu gängeln, schießen auf diesen wie auf vielen Gebieten weit übers Ziel hinaus. Es geht einmal nicht an, daß jeder „studirt," die sogenannten höhern Berufsklassen sind, wohin man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/486>, abgerufen am 22.07.2024.