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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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vertreten wie im Bildnis, weil der Besteller oft mir wenig imstande ist, die
Fähigkeit des Künstlers, den er wählt, zu beurteilen.

Auch beim Sittenbild liegt das Schwergewicht im Glaspalast, da die
Sezessionisten viel zu wenig Interesse am Gegenständlichen in der Malerei
haben. Nicht vielen gelingt es, damit so frisch und flott zu erscheinen wie
Joseph Brandt und Wierusz-Kvwalski in ihren bekannten Pferde- und Figuren-
biidern. Jedes Bild ist ein einheitliches Kunstwerk, lebendig bis in die äußersten
Ecken. Brandes großes Gemälde "Ein Gebet" dürfte die Formatgrenze, die
sich der Künstler stecken darf, schon überschritten haben. Flott ist auch Jwa-
nowitsch mit seinen Dalmatinern in der Schenke. In bekannter Weise sein¬
farbig und feintönig sind die kleinen Bilder von Harburger; zwei Männer
beim Bier oder im Gespräch. Ein kleines Bild von Rudolph Gubben ist sehr
fein im Licht: ein Mädchen sitzt im Zwielicht lesend am Fenster, von der an¬
dern Seite wird sie durch die Kerze einer Laterne beschienen. Ednard Kämpsfer
hat seine Meisterschaft mit der Farbe zu modelliren in zwei kleinen Bildern
bethätigt, die seine Kinder im Atelier darstellen. Dieffenbacher erzählt wieder
ein Trauerspiel aus den Bergen: um einem Regentage mit düsterer Luft ver¬
stößt ein Bauer seine Tochter, die eine Liebschaft gehabt hat. "sensationell"
im Gegenstand ist das große Bild von Falkenberg: Hypnose eines jungen Mäd¬
chens im Laboratorium eines medizinischen Instituts. Bvkelmcmns Bilder:
"In einer Kirche aus Fuhr" und "Bewirtung der Abgebrannten" sind ein
Zeugnis dafür, daß es selbst für einen Künstler von Talent verderblich ist, in
einer absterbenden Richtung zu beharren. Viel besser ist Bokelmann in einem
kleinen Bildchen "Allein," das sich darauf beschränkt, einen Zimmerwinkel im
Licht eines Seitenfensters darzustellen. Eine gute, bildmäßige Wirkung hat
Bernewitz von Lvefen in seiner Geigennmcherwerkstatt zu Mittenwald erreicht.
Das Vollendetste im Genrebild hat Firle geschaffen: drei zusammenhängende
Gemälde, die die Bitten des Vaterunsers "Unser täglich Brot gieb uns heute,"
"Dem Wille geschehe" und "Vergieb uns unsre Schuld" an Beispielen vor¬
führen. Da ist Freiheit der malerischen Behandlung, wie sie die Sezessionisten
verlangen, verbunden mit gewissenhafter Durchbildung und mit Durchgeistigung
und tiefer seelischer und künstlerischer Erfassung der Aufgabe. Das einzige,
was bei diesen schönen Bildern nicht ganz befriedigt, ist, daß das dunklere
Mittelbild dnrch die beiden Hellem Seitenbilder etwas gedrückt wird.

Auch das Farbenbild gehört zu jenen Gattungen, die bei den Sezessionisten
fehlen und im Glaspalast gut vertreten siud. Mit eleganten Farben reich aus¬
geführte Rokokobildchen malen Franz und Marie Sinn; sie bringen auch ein
angenehmes humoristisches Element hinein. In ähnlicher Weise fein sind die
kleinen Bilder von Niczkh mit Figuren ans der Empirezeit. Das kleine Bild
von Kreling, das ein Rvtotoinneres mit drei jungen Damen darstellt, ist etwas
zu unruhig in der Farbe. Ein herrliches Rot finden wir in dem schönen


vertreten wie im Bildnis, weil der Besteller oft mir wenig imstande ist, die
Fähigkeit des Künstlers, den er wählt, zu beurteilen.

Auch beim Sittenbild liegt das Schwergewicht im Glaspalast, da die
Sezessionisten viel zu wenig Interesse am Gegenständlichen in der Malerei
haben. Nicht vielen gelingt es, damit so frisch und flott zu erscheinen wie
Joseph Brandt und Wierusz-Kvwalski in ihren bekannten Pferde- und Figuren-
biidern. Jedes Bild ist ein einheitliches Kunstwerk, lebendig bis in die äußersten
Ecken. Brandes großes Gemälde „Ein Gebet" dürfte die Formatgrenze, die
sich der Künstler stecken darf, schon überschritten haben. Flott ist auch Jwa-
nowitsch mit seinen Dalmatinern in der Schenke. In bekannter Weise sein¬
farbig und feintönig sind die kleinen Bilder von Harburger; zwei Männer
beim Bier oder im Gespräch. Ein kleines Bild von Rudolph Gubben ist sehr
fein im Licht: ein Mädchen sitzt im Zwielicht lesend am Fenster, von der an¬
dern Seite wird sie durch die Kerze einer Laterne beschienen. Ednard Kämpsfer
hat seine Meisterschaft mit der Farbe zu modelliren in zwei kleinen Bildern
bethätigt, die seine Kinder im Atelier darstellen. Dieffenbacher erzählt wieder
ein Trauerspiel aus den Bergen: um einem Regentage mit düsterer Luft ver¬
stößt ein Bauer seine Tochter, die eine Liebschaft gehabt hat. „sensationell"
im Gegenstand ist das große Bild von Falkenberg: Hypnose eines jungen Mäd¬
chens im Laboratorium eines medizinischen Instituts. Bvkelmcmns Bilder:
„In einer Kirche aus Fuhr" und „Bewirtung der Abgebrannten" sind ein
Zeugnis dafür, daß es selbst für einen Künstler von Talent verderblich ist, in
einer absterbenden Richtung zu beharren. Viel besser ist Bokelmann in einem
kleinen Bildchen „Allein," das sich darauf beschränkt, einen Zimmerwinkel im
Licht eines Seitenfensters darzustellen. Eine gute, bildmäßige Wirkung hat
Bernewitz von Lvefen in seiner Geigennmcherwerkstatt zu Mittenwald erreicht.
Das Vollendetste im Genrebild hat Firle geschaffen: drei zusammenhängende
Gemälde, die die Bitten des Vaterunsers „Unser täglich Brot gieb uns heute,"
„Dem Wille geschehe" und „Vergieb uns unsre Schuld" an Beispielen vor¬
führen. Da ist Freiheit der malerischen Behandlung, wie sie die Sezessionisten
verlangen, verbunden mit gewissenhafter Durchbildung und mit Durchgeistigung
und tiefer seelischer und künstlerischer Erfassung der Aufgabe. Das einzige,
was bei diesen schönen Bildern nicht ganz befriedigt, ist, daß das dunklere
Mittelbild dnrch die beiden Hellem Seitenbilder etwas gedrückt wird.

Auch das Farbenbild gehört zu jenen Gattungen, die bei den Sezessionisten
fehlen und im Glaspalast gut vertreten siud. Mit eleganten Farben reich aus¬
geführte Rokokobildchen malen Franz und Marie Sinn; sie bringen auch ein
angenehmes humoristisches Element hinein. In ähnlicher Weise fein sind die
kleinen Bilder von Niczkh mit Figuren ans der Empirezeit. Das kleine Bild
von Kreling, das ein Rvtotoinneres mit drei jungen Damen darstellt, ist etwas
zu unruhig in der Farbe. Ein herrliches Rot finden wir in dem schönen


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[0043] vertreten wie im Bildnis, weil der Besteller oft mir wenig imstande ist, die Fähigkeit des Künstlers, den er wählt, zu beurteilen. Auch beim Sittenbild liegt das Schwergewicht im Glaspalast, da die Sezessionisten viel zu wenig Interesse am Gegenständlichen in der Malerei haben. Nicht vielen gelingt es, damit so frisch und flott zu erscheinen wie Joseph Brandt und Wierusz-Kvwalski in ihren bekannten Pferde- und Figuren- biidern. Jedes Bild ist ein einheitliches Kunstwerk, lebendig bis in die äußersten Ecken. Brandes großes Gemälde „Ein Gebet" dürfte die Formatgrenze, die sich der Künstler stecken darf, schon überschritten haben. Flott ist auch Jwa- nowitsch mit seinen Dalmatinern in der Schenke. In bekannter Weise sein¬ farbig und feintönig sind die kleinen Bilder von Harburger; zwei Männer beim Bier oder im Gespräch. Ein kleines Bild von Rudolph Gubben ist sehr fein im Licht: ein Mädchen sitzt im Zwielicht lesend am Fenster, von der an¬ dern Seite wird sie durch die Kerze einer Laterne beschienen. Ednard Kämpsfer hat seine Meisterschaft mit der Farbe zu modelliren in zwei kleinen Bildern bethätigt, die seine Kinder im Atelier darstellen. Dieffenbacher erzählt wieder ein Trauerspiel aus den Bergen: um einem Regentage mit düsterer Luft ver¬ stößt ein Bauer seine Tochter, die eine Liebschaft gehabt hat. „sensationell" im Gegenstand ist das große Bild von Falkenberg: Hypnose eines jungen Mäd¬ chens im Laboratorium eines medizinischen Instituts. Bvkelmcmns Bilder: „In einer Kirche aus Fuhr" und „Bewirtung der Abgebrannten" sind ein Zeugnis dafür, daß es selbst für einen Künstler von Talent verderblich ist, in einer absterbenden Richtung zu beharren. Viel besser ist Bokelmann in einem kleinen Bildchen „Allein," das sich darauf beschränkt, einen Zimmerwinkel im Licht eines Seitenfensters darzustellen. Eine gute, bildmäßige Wirkung hat Bernewitz von Lvefen in seiner Geigennmcherwerkstatt zu Mittenwald erreicht. Das Vollendetste im Genrebild hat Firle geschaffen: drei zusammenhängende Gemälde, die die Bitten des Vaterunsers „Unser täglich Brot gieb uns heute," „Dem Wille geschehe" und „Vergieb uns unsre Schuld" an Beispielen vor¬ führen. Da ist Freiheit der malerischen Behandlung, wie sie die Sezessionisten verlangen, verbunden mit gewissenhafter Durchbildung und mit Durchgeistigung und tiefer seelischer und künstlerischer Erfassung der Aufgabe. Das einzige, was bei diesen schönen Bildern nicht ganz befriedigt, ist, daß das dunklere Mittelbild dnrch die beiden Hellem Seitenbilder etwas gedrückt wird. Auch das Farbenbild gehört zu jenen Gattungen, die bei den Sezessionisten fehlen und im Glaspalast gut vertreten siud. Mit eleganten Farben reich aus¬ geführte Rokokobildchen malen Franz und Marie Sinn; sie bringen auch ein angenehmes humoristisches Element hinein. In ähnlicher Weise fein sind die kleinen Bilder von Niczkh mit Figuren ans der Empirezeit. Das kleine Bild von Kreling, das ein Rvtotoinneres mit drei jungen Damen darstellt, ist etwas zu unruhig in der Farbe. Ein herrliches Rot finden wir in dem schönen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/43>, abgerufen am 24.08.2024.