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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Landarbeiterfrage

schaftlicher, sozialer und politischer Beziehung nach sich zieht, haben wir oft
genug erwogein V, d. Goltz behandelt diese Wirkungen im dritten Abschnitt
seiner Schrift sehr ausführlich und mit warmem Herzen; seine Betrachtungen
über das Heimatgefühl, über den Wert des eignen Grundbesitzes und über das
Glück des Landlebens erinnern vielfach an das, was wir oft in diesen Blättern
gesagt haben. Es kann sich also nur noch um Vorschläge zur Heilung handeln.
Gegen Beschränkung der Freizügigkeit würde Dr. Weber grundsätzlich nichts
einzuwenden haben, aber er hält sie für unausführbar, u. ni. darum, weil man
die Leute nicht zwingen könne, an demselben Orte zu bleiben, wenn man ihnen
nicht verbürgen kann, daß sie dort zeitlebens ihren Unterhalt finden werden.
Etwas ähnliches habe man ja in Mecklenburg versucht; es sei da den Guts¬
herren vorgeschrieben worden, was sie ihren Arbeitern zu gewähren hätten.
"Ich glaube aber, vor die Wahl gestellt, sich einen derartigen Eingriff ge¬
fallen zu lassen oder den gegenwärtigen Freizügigkeitsznstand aufrecht zu er¬
halten, würde der überwiegende Teil der Landwirte doch das letztere wühlen!"
So ists! Hörigkeit wäre den Herren schon recht, wenn nur deren Korrelat
nicht wäre, die Verpflichtung oder richtiger gesagt die Notwendigkeit, den
Hörigen, den Sklaven, samt Weib und Kindern jahraus jahrein zu beherbergen,
zu füttern und zu kleiden, gleichviel ob man Arbeit für ihn hat oder nicht!
Wir sagen: oder vielmehr die Notwendigkeit, weil ein Höriger, den man im
Winter verhungern läßt, im nächsten Frühjahr nicht mehr vorhanden ist, und
einer, den man bloß hungern läßt, dann, wenn man ihn braucht, nichts mehr
lange, auch keinen tauglichen Nachwuchs zeugt. Der Landrat von Werber lHalle)
sprach für Naturallohn und gegen nackten Geldlohn; in solchem könne die Land¬
wirtschaft niemals mit der Industrie konkurriren, weil diese "die Arbeiter ü> Wut
xrix nimmt, wenn sie sie braucht, und sie auf die Straße wirft, wenn sie sie
nicht mehr braucht," die Landwirtschaft aber so nicht handeln könne. Herr
von Werber übersieht, daß es der Großgrundbesitzer des Ostens in Beziehung
auf den zweiten Punkt ganz ebenso macht, daß er bei solchem Verfahren den
nackten Geldlohn vorteilhafter findet, und daß eben darin der Hauptsache nach
das besteht, was man die ländliche Arbeiterfrage nennt. Das Heuerlingswesen
in den Osten zu verpflanzen, hält Knapp für unmöglich, weil, wie er (S. 16
des Berichts) sehr bezeichnend sagt, der Heuerling eine Seele habe; wir glauben
auch, daß die Großgrundbesitzer des Ostens Wesen, die eine Seele haben, nicht
brauchen können. I)r. Weber bestritt das freilich und wies auf die Pächter
des Grafen Holstein in Holstein hin (die Grenzboten haben im Jahre 1892,
zweites Vierteljahr S. 526 die Zustände auf dem Gute dieses echten Edel¬
mannes kurz geschildert), die, abgesehen von dem sozialen Abstände zwischen
ihnen und dem Brodherrn, ganz ähnlich lebten, wie die westfälischen Heuer-
lingc. Allein diese Ausnahme bestätigt nur die Regel. Die dortigen Ein¬
richtungen ruhen ganz allein auf der edeln Persönlichkeit des Grafen, nicht


Die Landarbeiterfrage

schaftlicher, sozialer und politischer Beziehung nach sich zieht, haben wir oft
genug erwogein V, d. Goltz behandelt diese Wirkungen im dritten Abschnitt
seiner Schrift sehr ausführlich und mit warmem Herzen; seine Betrachtungen
über das Heimatgefühl, über den Wert des eignen Grundbesitzes und über das
Glück des Landlebens erinnern vielfach an das, was wir oft in diesen Blättern
gesagt haben. Es kann sich also nur noch um Vorschläge zur Heilung handeln.
Gegen Beschränkung der Freizügigkeit würde Dr. Weber grundsätzlich nichts
einzuwenden haben, aber er hält sie für unausführbar, u. ni. darum, weil man
die Leute nicht zwingen könne, an demselben Orte zu bleiben, wenn man ihnen
nicht verbürgen kann, daß sie dort zeitlebens ihren Unterhalt finden werden.
Etwas ähnliches habe man ja in Mecklenburg versucht; es sei da den Guts¬
herren vorgeschrieben worden, was sie ihren Arbeitern zu gewähren hätten.
„Ich glaube aber, vor die Wahl gestellt, sich einen derartigen Eingriff ge¬
fallen zu lassen oder den gegenwärtigen Freizügigkeitsznstand aufrecht zu er¬
halten, würde der überwiegende Teil der Landwirte doch das letztere wühlen!"
So ists! Hörigkeit wäre den Herren schon recht, wenn nur deren Korrelat
nicht wäre, die Verpflichtung oder richtiger gesagt die Notwendigkeit, den
Hörigen, den Sklaven, samt Weib und Kindern jahraus jahrein zu beherbergen,
zu füttern und zu kleiden, gleichviel ob man Arbeit für ihn hat oder nicht!
Wir sagen: oder vielmehr die Notwendigkeit, weil ein Höriger, den man im
Winter verhungern läßt, im nächsten Frühjahr nicht mehr vorhanden ist, und
einer, den man bloß hungern läßt, dann, wenn man ihn braucht, nichts mehr
lange, auch keinen tauglichen Nachwuchs zeugt. Der Landrat von Werber lHalle)
sprach für Naturallohn und gegen nackten Geldlohn; in solchem könne die Land¬
wirtschaft niemals mit der Industrie konkurriren, weil diese „die Arbeiter ü> Wut
xrix nimmt, wenn sie sie braucht, und sie auf die Straße wirft, wenn sie sie
nicht mehr braucht," die Landwirtschaft aber so nicht handeln könne. Herr
von Werber übersieht, daß es der Großgrundbesitzer des Ostens in Beziehung
auf den zweiten Punkt ganz ebenso macht, daß er bei solchem Verfahren den
nackten Geldlohn vorteilhafter findet, und daß eben darin der Hauptsache nach
das besteht, was man die ländliche Arbeiterfrage nennt. Das Heuerlingswesen
in den Osten zu verpflanzen, hält Knapp für unmöglich, weil, wie er (S. 16
des Berichts) sehr bezeichnend sagt, der Heuerling eine Seele habe; wir glauben
auch, daß die Großgrundbesitzer des Ostens Wesen, die eine Seele haben, nicht
brauchen können. I)r. Weber bestritt das freilich und wies auf die Pächter
des Grafen Holstein in Holstein hin (die Grenzboten haben im Jahre 1892,
zweites Vierteljahr S. 526 die Zustände auf dem Gute dieses echten Edel¬
mannes kurz geschildert), die, abgesehen von dem sozialen Abstände zwischen
ihnen und dem Brodherrn, ganz ähnlich lebten, wie die westfälischen Heuer-
lingc. Allein diese Ausnahme bestätigt nur die Regel. Die dortigen Ein¬
richtungen ruhen ganz allein auf der edeln Persönlichkeit des Grafen, nicht


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[0367] Die Landarbeiterfrage schaftlicher, sozialer und politischer Beziehung nach sich zieht, haben wir oft genug erwogein V, d. Goltz behandelt diese Wirkungen im dritten Abschnitt seiner Schrift sehr ausführlich und mit warmem Herzen; seine Betrachtungen über das Heimatgefühl, über den Wert des eignen Grundbesitzes und über das Glück des Landlebens erinnern vielfach an das, was wir oft in diesen Blättern gesagt haben. Es kann sich also nur noch um Vorschläge zur Heilung handeln. Gegen Beschränkung der Freizügigkeit würde Dr. Weber grundsätzlich nichts einzuwenden haben, aber er hält sie für unausführbar, u. ni. darum, weil man die Leute nicht zwingen könne, an demselben Orte zu bleiben, wenn man ihnen nicht verbürgen kann, daß sie dort zeitlebens ihren Unterhalt finden werden. Etwas ähnliches habe man ja in Mecklenburg versucht; es sei da den Guts¬ herren vorgeschrieben worden, was sie ihren Arbeitern zu gewähren hätten. „Ich glaube aber, vor die Wahl gestellt, sich einen derartigen Eingriff ge¬ fallen zu lassen oder den gegenwärtigen Freizügigkeitsznstand aufrecht zu er¬ halten, würde der überwiegende Teil der Landwirte doch das letztere wühlen!" So ists! Hörigkeit wäre den Herren schon recht, wenn nur deren Korrelat nicht wäre, die Verpflichtung oder richtiger gesagt die Notwendigkeit, den Hörigen, den Sklaven, samt Weib und Kindern jahraus jahrein zu beherbergen, zu füttern und zu kleiden, gleichviel ob man Arbeit für ihn hat oder nicht! Wir sagen: oder vielmehr die Notwendigkeit, weil ein Höriger, den man im Winter verhungern läßt, im nächsten Frühjahr nicht mehr vorhanden ist, und einer, den man bloß hungern läßt, dann, wenn man ihn braucht, nichts mehr lange, auch keinen tauglichen Nachwuchs zeugt. Der Landrat von Werber lHalle) sprach für Naturallohn und gegen nackten Geldlohn; in solchem könne die Land¬ wirtschaft niemals mit der Industrie konkurriren, weil diese „die Arbeiter ü> Wut xrix nimmt, wenn sie sie braucht, und sie auf die Straße wirft, wenn sie sie nicht mehr braucht," die Landwirtschaft aber so nicht handeln könne. Herr von Werber übersieht, daß es der Großgrundbesitzer des Ostens in Beziehung auf den zweiten Punkt ganz ebenso macht, daß er bei solchem Verfahren den nackten Geldlohn vorteilhafter findet, und daß eben darin der Hauptsache nach das besteht, was man die ländliche Arbeiterfrage nennt. Das Heuerlingswesen in den Osten zu verpflanzen, hält Knapp für unmöglich, weil, wie er (S. 16 des Berichts) sehr bezeichnend sagt, der Heuerling eine Seele habe; wir glauben auch, daß die Großgrundbesitzer des Ostens Wesen, die eine Seele haben, nicht brauchen können. I)r. Weber bestritt das freilich und wies auf die Pächter des Grafen Holstein in Holstein hin (die Grenzboten haben im Jahre 1892, zweites Vierteljahr S. 526 die Zustände auf dem Gute dieses echten Edel¬ mannes kurz geschildert), die, abgesehen von dem sozialen Abstände zwischen ihnen und dem Brodherrn, ganz ähnlich lebten, wie die westfälischen Heuer- lingc. Allein diese Ausnahme bestätigt nur die Regel. Die dortigen Ein¬ richtungen ruhen ganz allein auf der edeln Persönlichkeit des Grafen, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/367>, abgerufen am 22.07.2024.