Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Landcirbeitevfrage

wenige und kleine Rittergüter giebt und die Grundbesitzer meistens Hof-
bauern sind.

Etwas anders, aber ebenfalls durchaus gesund, vielleicht noch gesünder
sind die Verhältnisse in Niedersachsen zwischen Weser und Elbe. Hier findet
sich eine Stufenleiter von kleinsten, kleinen und größer" Besitzern, von denen
die kleinsten um Tagelohn arbeiten, und Aussicht haben, durch Fleiß und
Sparsamkeit mit der Zeit einen größer" Besitz zu erwerben. Die Rittergüter
sind noch heute so klein, wie sie im Mittelalter als Kerne von Grundherr¬
schaften waren, und brauchen daher nur eine mäßige Zahl von Lohnarbeitern.
Ihr Bedarf wird durch die kleinen Leute der benachbarten Dörfer gedeckt.
"Freie" Arbeiter, d. h. vogelfrcie, besitzlose, giebt es nicht, überhaupt keine
besondre Arbeiterklasse, sondern nur Häusler oder Koller, die zu Zeiten um
Lohn arbeiten.

Den Bericht über die ostelbischen Lande, die klassische Gegend der länd¬
lichen Arbeiterfrage, hat Dr. Weber zu einer sehr schonen Monographie, wie
es Knapp nennt, über die Entstehung dieser Frage erweitert. Wir wollen
uns aber bei unserm kurzen Auszuge lieber an das Buch des Professors
v. d. Goltz halten, der, von Haus aus selbst Landwirt, ein Sachkenner
ersten Ranges ist und in seine umfassendere Arbeit den Hauptinhalt von
Webers Bericht mit aufgenommen hat. Professor Knapp hatte zuerst die bis
dahin wenig beachtete, ja den meisten unbekannte und manchen unglaublich
scheinende Thatsache hervorgehoben, daß es vor der Bauernbefreiung gar keinen
ländlichen Arbeiterstand gegeben hat. V. d. Goltz hat nur den ersten Teil
seines Vnches der Rechtfertigung Knapps gewidmet. In der That, sagt er,
Arbeiter, die sonst nichts gewesen wären als Arbeiter, die von Arbeitern ab¬
stammten, und Aderer Kinder wieder solche Arbeiter geworden waren, solche
Leute gab es nicht in: vorigen Jahrhundert. Wir können ans die höchst an-
iehende Darstellung der bäuerlichen und Gutsverhältnisse in der Zeit der
Hörigkeit nicht eingehe,, und müssen uns auf die Wiedergabe der Ergebnisse
der gründlichen historischen Untersuchung beschränken, die v. d. Goltz auf
S. 60 in folgenden Sätzen zusammenfaßt.

1. Die verschiednen Gruppe" der niedern ländlichen Bevölkerung: guts-
unterthänige Bauern, Kossäte", Kolonisten, Häusler, Büdner,^ Katenleute,
Dreschgärtncr, Jnstleute, Einlieger u. s. w. gehörten im achtzehnten Jahr¬
hundert sämtlich ein und derselben Gesellschaftsklasse, nämlich dem Bauern¬
stande an. Sie wurden mit dem gemeinsamen Ausdrucke "Bauern" oder
"Unterthanen" oder "Untergebne" bezeichnet; es fanden fortwährend Übertritte
und Versetzungen von einer Gruppe in die andre statt: Bauern wurden
Kossäten, Häusler, Büdner, Jnstlente u. s. w., wie umgekehrt. 2. Die auf
den Gütern notwendigen Arbeiten wurden entweder ausschließlich oder doch
zu": weit überwiegende" Teil von den dazu durch das Unterthänigkeitsver-


Die Landcirbeitevfrage

wenige und kleine Rittergüter giebt und die Grundbesitzer meistens Hof-
bauern sind.

Etwas anders, aber ebenfalls durchaus gesund, vielleicht noch gesünder
sind die Verhältnisse in Niedersachsen zwischen Weser und Elbe. Hier findet
sich eine Stufenleiter von kleinsten, kleinen und größer» Besitzern, von denen
die kleinsten um Tagelohn arbeiten, und Aussicht haben, durch Fleiß und
Sparsamkeit mit der Zeit einen größer» Besitz zu erwerben. Die Rittergüter
sind noch heute so klein, wie sie im Mittelalter als Kerne von Grundherr¬
schaften waren, und brauchen daher nur eine mäßige Zahl von Lohnarbeitern.
Ihr Bedarf wird durch die kleinen Leute der benachbarten Dörfer gedeckt.
„Freie" Arbeiter, d. h. vogelfrcie, besitzlose, giebt es nicht, überhaupt keine
besondre Arbeiterklasse, sondern nur Häusler oder Koller, die zu Zeiten um
Lohn arbeiten.

Den Bericht über die ostelbischen Lande, die klassische Gegend der länd¬
lichen Arbeiterfrage, hat Dr. Weber zu einer sehr schonen Monographie, wie
es Knapp nennt, über die Entstehung dieser Frage erweitert. Wir wollen
uns aber bei unserm kurzen Auszuge lieber an das Buch des Professors
v. d. Goltz halten, der, von Haus aus selbst Landwirt, ein Sachkenner
ersten Ranges ist und in seine umfassendere Arbeit den Hauptinhalt von
Webers Bericht mit aufgenommen hat. Professor Knapp hatte zuerst die bis
dahin wenig beachtete, ja den meisten unbekannte und manchen unglaublich
scheinende Thatsache hervorgehoben, daß es vor der Bauernbefreiung gar keinen
ländlichen Arbeiterstand gegeben hat. V. d. Goltz hat nur den ersten Teil
seines Vnches der Rechtfertigung Knapps gewidmet. In der That, sagt er,
Arbeiter, die sonst nichts gewesen wären als Arbeiter, die von Arbeitern ab¬
stammten, und Aderer Kinder wieder solche Arbeiter geworden waren, solche
Leute gab es nicht in: vorigen Jahrhundert. Wir können ans die höchst an-
iehende Darstellung der bäuerlichen und Gutsverhältnisse in der Zeit der
Hörigkeit nicht eingehe,, und müssen uns auf die Wiedergabe der Ergebnisse
der gründlichen historischen Untersuchung beschränken, die v. d. Goltz auf
S. 60 in folgenden Sätzen zusammenfaßt.

1. Die verschiednen Gruppe» der niedern ländlichen Bevölkerung: guts-
unterthänige Bauern, Kossäte», Kolonisten, Häusler, Büdner,^ Katenleute,
Dreschgärtncr, Jnstleute, Einlieger u. s. w. gehörten im achtzehnten Jahr¬
hundert sämtlich ein und derselben Gesellschaftsklasse, nämlich dem Bauern¬
stande an. Sie wurden mit dem gemeinsamen Ausdrucke „Bauern" oder
„Unterthanen" oder „Untergebne" bezeichnet; es fanden fortwährend Übertritte
und Versetzungen von einer Gruppe in die andre statt: Bauern wurden
Kossäten, Häusler, Büdner, Jnstlente u. s. w., wie umgekehrt. 2. Die auf
den Gütern notwendigen Arbeiten wurden entweder ausschließlich oder doch
zu»: weit überwiegende» Teil von den dazu durch das Unterthänigkeitsver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216083"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Landcirbeitevfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1175" prev="#ID_1174"> wenige und kleine Rittergüter giebt und die Grundbesitzer meistens Hof-<lb/>
bauern sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176"> Etwas anders, aber ebenfalls durchaus gesund, vielleicht noch gesünder<lb/>
sind die Verhältnisse in Niedersachsen zwischen Weser und Elbe. Hier findet<lb/>
sich eine Stufenleiter von kleinsten, kleinen und größer» Besitzern, von denen<lb/>
die kleinsten um Tagelohn arbeiten, und Aussicht haben, durch Fleiß und<lb/>
Sparsamkeit mit der Zeit einen größer» Besitz zu erwerben. Die Rittergüter<lb/>
sind noch heute so klein, wie sie im Mittelalter als Kerne von Grundherr¬<lb/>
schaften waren, und brauchen daher nur eine mäßige Zahl von Lohnarbeitern.<lb/>
Ihr Bedarf wird durch die kleinen Leute der benachbarten Dörfer gedeckt.<lb/>
&#x201E;Freie" Arbeiter, d. h. vogelfrcie, besitzlose, giebt es nicht, überhaupt keine<lb/>
besondre Arbeiterklasse, sondern nur Häusler oder Koller, die zu Zeiten um<lb/>
Lohn arbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1177"> Den Bericht über die ostelbischen Lande, die klassische Gegend der länd¬<lb/>
lichen Arbeiterfrage, hat Dr. Weber zu einer sehr schonen Monographie, wie<lb/>
es Knapp nennt, über die Entstehung dieser Frage erweitert. Wir wollen<lb/>
uns aber bei unserm kurzen Auszuge lieber an das Buch des Professors<lb/>
v. d. Goltz halten, der, von Haus aus selbst Landwirt, ein Sachkenner<lb/>
ersten Ranges ist und in seine umfassendere Arbeit den Hauptinhalt von<lb/>
Webers Bericht mit aufgenommen hat. Professor Knapp hatte zuerst die bis<lb/>
dahin wenig beachtete, ja den meisten unbekannte und manchen unglaublich<lb/>
scheinende Thatsache hervorgehoben, daß es vor der Bauernbefreiung gar keinen<lb/>
ländlichen Arbeiterstand gegeben hat. V. d. Goltz hat nur den ersten Teil<lb/>
seines Vnches der Rechtfertigung Knapps gewidmet. In der That, sagt er,<lb/>
Arbeiter, die sonst nichts gewesen wären als Arbeiter, die von Arbeitern ab¬<lb/>
stammten, und Aderer Kinder wieder solche Arbeiter geworden waren, solche<lb/>
Leute gab es nicht in: vorigen Jahrhundert. Wir können ans die höchst an-<lb/>
iehende Darstellung der bäuerlichen und Gutsverhältnisse in der Zeit der<lb/>
Hörigkeit nicht eingehe,, und müssen uns auf die Wiedergabe der Ergebnisse<lb/>
der gründlichen historischen Untersuchung beschränken, die v. d. Goltz auf<lb/>
S. 60 in folgenden Sätzen zusammenfaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1178" next="#ID_1179"> 1. Die verschiednen Gruppe» der niedern ländlichen Bevölkerung: guts-<lb/>
unterthänige Bauern, Kossäte», Kolonisten, Häusler, Büdner,^ Katenleute,<lb/>
Dreschgärtncr, Jnstleute, Einlieger u. s. w. gehörten im achtzehnten Jahr¬<lb/>
hundert sämtlich ein und derselben Gesellschaftsklasse, nämlich dem Bauern¬<lb/>
stande an. Sie wurden mit dem gemeinsamen Ausdrucke &#x201E;Bauern" oder<lb/>
&#x201E;Unterthanen" oder &#x201E;Untergebne" bezeichnet; es fanden fortwährend Übertritte<lb/>
und Versetzungen von einer Gruppe in die andre statt: Bauern wurden<lb/>
Kossäten, Häusler, Büdner, Jnstlente u. s. w., wie umgekehrt. 2. Die auf<lb/>
den Gütern notwendigen Arbeiten wurden entweder ausschließlich oder doch<lb/>
zu»: weit überwiegende» Teil von den dazu durch das Unterthänigkeitsver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Die Landcirbeitevfrage wenige und kleine Rittergüter giebt und die Grundbesitzer meistens Hof- bauern sind. Etwas anders, aber ebenfalls durchaus gesund, vielleicht noch gesünder sind die Verhältnisse in Niedersachsen zwischen Weser und Elbe. Hier findet sich eine Stufenleiter von kleinsten, kleinen und größer» Besitzern, von denen die kleinsten um Tagelohn arbeiten, und Aussicht haben, durch Fleiß und Sparsamkeit mit der Zeit einen größer» Besitz zu erwerben. Die Rittergüter sind noch heute so klein, wie sie im Mittelalter als Kerne von Grundherr¬ schaften waren, und brauchen daher nur eine mäßige Zahl von Lohnarbeitern. Ihr Bedarf wird durch die kleinen Leute der benachbarten Dörfer gedeckt. „Freie" Arbeiter, d. h. vogelfrcie, besitzlose, giebt es nicht, überhaupt keine besondre Arbeiterklasse, sondern nur Häusler oder Koller, die zu Zeiten um Lohn arbeiten. Den Bericht über die ostelbischen Lande, die klassische Gegend der länd¬ lichen Arbeiterfrage, hat Dr. Weber zu einer sehr schonen Monographie, wie es Knapp nennt, über die Entstehung dieser Frage erweitert. Wir wollen uns aber bei unserm kurzen Auszuge lieber an das Buch des Professors v. d. Goltz halten, der, von Haus aus selbst Landwirt, ein Sachkenner ersten Ranges ist und in seine umfassendere Arbeit den Hauptinhalt von Webers Bericht mit aufgenommen hat. Professor Knapp hatte zuerst die bis dahin wenig beachtete, ja den meisten unbekannte und manchen unglaublich scheinende Thatsache hervorgehoben, daß es vor der Bauernbefreiung gar keinen ländlichen Arbeiterstand gegeben hat. V. d. Goltz hat nur den ersten Teil seines Vnches der Rechtfertigung Knapps gewidmet. In der That, sagt er, Arbeiter, die sonst nichts gewesen wären als Arbeiter, die von Arbeitern ab¬ stammten, und Aderer Kinder wieder solche Arbeiter geworden waren, solche Leute gab es nicht in: vorigen Jahrhundert. Wir können ans die höchst an- iehende Darstellung der bäuerlichen und Gutsverhältnisse in der Zeit der Hörigkeit nicht eingehe,, und müssen uns auf die Wiedergabe der Ergebnisse der gründlichen historischen Untersuchung beschränken, die v. d. Goltz auf S. 60 in folgenden Sätzen zusammenfaßt. 1. Die verschiednen Gruppe» der niedern ländlichen Bevölkerung: guts- unterthänige Bauern, Kossäte», Kolonisten, Häusler, Büdner,^ Katenleute, Dreschgärtncr, Jnstleute, Einlieger u. s. w. gehörten im achtzehnten Jahr¬ hundert sämtlich ein und derselben Gesellschaftsklasse, nämlich dem Bauern¬ stande an. Sie wurden mit dem gemeinsamen Ausdrucke „Bauern" oder „Unterthanen" oder „Untergebne" bezeichnet; es fanden fortwährend Übertritte und Versetzungen von einer Gruppe in die andre statt: Bauern wurden Kossäten, Häusler, Büdner, Jnstlente u. s. w., wie umgekehrt. 2. Die auf den Gütern notwendigen Arbeiten wurden entweder ausschließlich oder doch zu»: weit überwiegende» Teil von den dazu durch das Unterthänigkeitsver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/359>, abgerufen am 22.07.2024.