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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Aussichten der Reichssteuern

angekündigten Sommerfrischen, Reisen u, s. w. ans die großen Anstalten und
Unternehmungen des Reichs gelenkt werden und der Ehrgeiz hier wetteifern
wird. In der großen Zeit der Niederlande schloß sich, wie wir der Darstel¬
lung Treitschkes entnehmen, in den Generalstaaten, wenn ein Beschluß der
Mehrheit über eine Geldbewilligung vorlag, selbst die am hartnäckigsten wider¬
strebende Minderheit regelmäßig "um der Eintracht willen" ausdrücklich an.
Die in Rom erscheinende radikale 'Q'klang. erklärte einmal, als ihre Partei im
Parlament nach heftigem Kampfe gegen eine Staatsausgabe unterlegen war:
Ol Äveostlamo, 86N7.ii simpa-den, ins, lÄWLg'mM msnts (ohne Sympathie, aber
in Ergebung fügen wir uns). Wo hätte sich unsre Opposition jemals zu einem
solchen Verzicht oder auch nur zum Aufgeben der Feindseligkeiten entschlossen!

Doch hat die Partei Richters in ihrer Unerbittlichkeit und Starrheit um
schon wiederholt empfindliche Einbuße und jüngst auch Spaltung und Abfall
erlitten. Wahrend der letzten Wahlbewegnng hat es nicht an Zeichen dafür
gefehlt, daß die Hingebung an die große Volksgemeinschaft im Wachsen be¬
griffen ist. Wahrhaft Rührendes wird aus den schlichtesten und bescheidensten
Kreisen berichtet. Die sozialdemokratische Frankfurter Volksstimme legt un¬
verdächtiges Zeugnis ab, indem sie, für ihren Standpunkt fast zu aufrichtig,
von der während der letzten Wahlbewegung unternommenen Agitationsreise
einiger ihrer Parteigenossen im Lande Nassau erzählt. "Unser Willkomm im
Amte Usingen -- heißt es dort -- war: Strömer, Faulenzer! Schütt em e Dippe
(Topf) Wasser übern Kopp! Geht ham, lest de Bibel! Im Dorfe Espa sprachen
wir über die Lasten der Militärvorlagc. Wir bekamen zur Antwort: Unsre
Söhne dienen mit Stolz dein Kaiser, und wenn wir noch einmal soviel Steuern
zahlen müßten, geschah es mit Freuden. Steuern zahlen ist für uns Ehrensache."
Kaum glaublich! setzt der Berichterstatter hinzu und läßt es an der Bemerkung
nicht fehlen: Hetzarbeit der Pfaffen, Unverstand der Masse!

Auch eine Antwort auf Eugen Richters Flugblatt "Steuerzahler, habt
Acht!" ist uicht ausgeblieben. Im Kreise der Bemittelten regt sich der Ehr¬
geiz, den Weigerern von Fach entgegenzutreten. Mitte Mai berichtete die
Tägliche Rundschau: Der Vorsitzende des Vereins deutscher Eisen- und Stnhl-
iudustriellen hat deu Vereinsvorstand auf den 19. d. nach Berlin eingeladen.
Ans der Tagesordnung steht der von einem Mitgliede des Vereins eingereichte
Antrag wegen Hilfeleistung der Eisenindustriellen zur Beschaffung der auf
gesetzlichem Wege etwa nicht aufzubringenden Mittel für die Militärvorlage.
Je nach dem Ausfall der Beschlüsse wird eine Generalversammlung berufen
und sowohl der Zcntralverbcmd deutscher Industriellen als auch der Verein
zur Wahrung der wirtschaftlichem Interessen von Handel und Gewerbe für die
Sache interessirt werden. In der Begründung des Antrages heißt es: "Daß
sich die Eisenindustrie, die in unserm Verein vertreten ist, hierzu sehr wohl
in der Lage befindet, unterliegt keinem Zweifel; sie kann schon vou ihrem


Die Aussichten der Reichssteuern

angekündigten Sommerfrischen, Reisen u, s. w. ans die großen Anstalten und
Unternehmungen des Reichs gelenkt werden und der Ehrgeiz hier wetteifern
wird. In der großen Zeit der Niederlande schloß sich, wie wir der Darstel¬
lung Treitschkes entnehmen, in den Generalstaaten, wenn ein Beschluß der
Mehrheit über eine Geldbewilligung vorlag, selbst die am hartnäckigsten wider¬
strebende Minderheit regelmäßig „um der Eintracht willen" ausdrücklich an.
Die in Rom erscheinende radikale 'Q'klang. erklärte einmal, als ihre Partei im
Parlament nach heftigem Kampfe gegen eine Staatsausgabe unterlegen war:
Ol Äveostlamo, 86N7.ii simpa-den, ins, lÄWLg'mM msnts (ohne Sympathie, aber
in Ergebung fügen wir uns). Wo hätte sich unsre Opposition jemals zu einem
solchen Verzicht oder auch nur zum Aufgeben der Feindseligkeiten entschlossen!

Doch hat die Partei Richters in ihrer Unerbittlichkeit und Starrheit um
schon wiederholt empfindliche Einbuße und jüngst auch Spaltung und Abfall
erlitten. Wahrend der letzten Wahlbewegnng hat es nicht an Zeichen dafür
gefehlt, daß die Hingebung an die große Volksgemeinschaft im Wachsen be¬
griffen ist. Wahrhaft Rührendes wird aus den schlichtesten und bescheidensten
Kreisen berichtet. Die sozialdemokratische Frankfurter Volksstimme legt un¬
verdächtiges Zeugnis ab, indem sie, für ihren Standpunkt fast zu aufrichtig,
von der während der letzten Wahlbewegung unternommenen Agitationsreise
einiger ihrer Parteigenossen im Lande Nassau erzählt. „Unser Willkomm im
Amte Usingen — heißt es dort — war: Strömer, Faulenzer! Schütt em e Dippe
(Topf) Wasser übern Kopp! Geht ham, lest de Bibel! Im Dorfe Espa sprachen
wir über die Lasten der Militärvorlagc. Wir bekamen zur Antwort: Unsre
Söhne dienen mit Stolz dein Kaiser, und wenn wir noch einmal soviel Steuern
zahlen müßten, geschah es mit Freuden. Steuern zahlen ist für uns Ehrensache."
Kaum glaublich! setzt der Berichterstatter hinzu und läßt es an der Bemerkung
nicht fehlen: Hetzarbeit der Pfaffen, Unverstand der Masse!

Auch eine Antwort auf Eugen Richters Flugblatt „Steuerzahler, habt
Acht!" ist uicht ausgeblieben. Im Kreise der Bemittelten regt sich der Ehr¬
geiz, den Weigerern von Fach entgegenzutreten. Mitte Mai berichtete die
Tägliche Rundschau: Der Vorsitzende des Vereins deutscher Eisen- und Stnhl-
iudustriellen hat deu Vereinsvorstand auf den 19. d. nach Berlin eingeladen.
Ans der Tagesordnung steht der von einem Mitgliede des Vereins eingereichte
Antrag wegen Hilfeleistung der Eisenindustriellen zur Beschaffung der auf
gesetzlichem Wege etwa nicht aufzubringenden Mittel für die Militärvorlage.
Je nach dem Ausfall der Beschlüsse wird eine Generalversammlung berufen
und sowohl der Zcntralverbcmd deutscher Industriellen als auch der Verein
zur Wahrung der wirtschaftlichem Interessen von Handel und Gewerbe für die
Sache interessirt werden. In der Begründung des Antrages heißt es: „Daß
sich die Eisenindustrie, die in unserm Verein vertreten ist, hierzu sehr wohl
in der Lage befindet, unterliegt keinem Zweifel; sie kann schon vou ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/352>, abgerufen am 22.07.2024.