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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Königreich Westfalen

ablenkende Nebenfragen zu stürzen. Dann wird es rascher und glänzender
wirken. Die Advokaten werden sich darnach Schulen, daß die Richter die Pro¬
zesse nicht mehr selbst einleiten, hiermit werden andre sich befassen, und viel¬
leicht haben Sie eines Tages Advokaten wie in Frankreich, die an Talent,
Ausbildung und an Ansehen wetteifern."

Weniger glücklich ging das westfälische Regiment ans dem Gebiete des
Polizeiweseus vor. Eine eigentliche Polizeigewalt hatte es in den Ländern
früher nicht gegeben; wo sie aber etwa vorhanden war, steckte sie noch ganz
in den Kinderschuhen. Durch die fortwährenden Kriegslasten war die gesamte
Lage sehr verschlechtert. Verarmung, die infolge der Zeitläufte über manchen
ganz unverschuldet kam, führte dazu, in dem einzelnen die Begriffe von Mein
und Dein zu verwirren. Was durch die Gewalt genommen worden war, sollte
auf unrechtmäßige Weise zurückerworben werden. Namentlich im Kurfürsten¬
tum Hannover mehrte sich die Zahl der Diebstühle in erschreckender Weise.
Durch Selbsthilfe sollte dem entgegengearbeitet werden. "Nächtliche Patrouillen
ans sichern Mitgliedern der Kommune" machten die Runde, suchten verdächtige
Gegenden ab und waren jederzeit bereit, bei eintretender Gefahr zum Schutze
gegen Räuber herbeizueilen. Aber hierdurch allein konnte keine Abhilfe ge¬
schehen, es war das Eingreifen des Staats erforderlich. Freilich die alten
hannoverschen Behörden hatten wenig Neigung dazu, und erst die Drohung
Napoleons, er würde einen Franzosen schicken, wenn nicht sofort ein tüchtiger
Polizeidirektor angestellt würde, brachte sie aus dem alten Schlendrian heraus.
In der Person des Amtsschreibers Meyer wurde für diesen Posten eine ge¬
eignete Persönlichkeit gefunden. Dieser erließ nicht nur eine Reihe segens¬
reicher Verordnungen, sondern verstand es auch, die Polizeigewalt so zu leiten,
daß sie von den Franzosen nicht zum Nachteil der Landeskinder ausgenutzt
werden konnte.

So wurde denn auf Napoleons Anregung das Polizeiwesen in Jeromes
Landen geordnet. Nach französischem Muster wurde Gendarmerie eingerichtet,
die sich aber schlecht bewährte und beim Volke unbeliebt war. Noch weniger
zweckentsprechend war freilich die Einrichtung einer Geheimpolizei, die nament¬
lich den geheimen Gesellschaften, die sich zur Befreiung von der Fremdherr¬
schaft gebildet hatten, nachspüren sollte. An ihrer Spitze stand ein Franzose,
der kein Wort Deutsch verstand. Die Sucht, um jeden Preis hinter die Ge¬
heimnisse der Bürger zu kommen, führte zu zahllosen Mißgriffen. Alle Briefe,
deren Adressaten irgendwie verdächtig erschienen, wurden heimlich geöffnet.
Dies wurde bald ruchbar, und die Folge war, daß der westfälischen Post keine
Schreiben von irgend welcher Bedeutung mehr anvertraut wurden. Auch aus
andern Ländern suchte man die Briefe so zu lenken, daß sie womöglich das
westfälische Gebiet umgingen. Am lästigsten aber war die Einmischung der
Polizei in die Familie, wozu die Anwendung der niedrigsten Mittel nicht ge-


Das Königreich Westfalen

ablenkende Nebenfragen zu stürzen. Dann wird es rascher und glänzender
wirken. Die Advokaten werden sich darnach Schulen, daß die Richter die Pro¬
zesse nicht mehr selbst einleiten, hiermit werden andre sich befassen, und viel¬
leicht haben Sie eines Tages Advokaten wie in Frankreich, die an Talent,
Ausbildung und an Ansehen wetteifern."

Weniger glücklich ging das westfälische Regiment ans dem Gebiete des
Polizeiweseus vor. Eine eigentliche Polizeigewalt hatte es in den Ländern
früher nicht gegeben; wo sie aber etwa vorhanden war, steckte sie noch ganz
in den Kinderschuhen. Durch die fortwährenden Kriegslasten war die gesamte
Lage sehr verschlechtert. Verarmung, die infolge der Zeitläufte über manchen
ganz unverschuldet kam, führte dazu, in dem einzelnen die Begriffe von Mein
und Dein zu verwirren. Was durch die Gewalt genommen worden war, sollte
auf unrechtmäßige Weise zurückerworben werden. Namentlich im Kurfürsten¬
tum Hannover mehrte sich die Zahl der Diebstühle in erschreckender Weise.
Durch Selbsthilfe sollte dem entgegengearbeitet werden. „Nächtliche Patrouillen
ans sichern Mitgliedern der Kommune" machten die Runde, suchten verdächtige
Gegenden ab und waren jederzeit bereit, bei eintretender Gefahr zum Schutze
gegen Räuber herbeizueilen. Aber hierdurch allein konnte keine Abhilfe ge¬
schehen, es war das Eingreifen des Staats erforderlich. Freilich die alten
hannoverschen Behörden hatten wenig Neigung dazu, und erst die Drohung
Napoleons, er würde einen Franzosen schicken, wenn nicht sofort ein tüchtiger
Polizeidirektor angestellt würde, brachte sie aus dem alten Schlendrian heraus.
In der Person des Amtsschreibers Meyer wurde für diesen Posten eine ge¬
eignete Persönlichkeit gefunden. Dieser erließ nicht nur eine Reihe segens¬
reicher Verordnungen, sondern verstand es auch, die Polizeigewalt so zu leiten,
daß sie von den Franzosen nicht zum Nachteil der Landeskinder ausgenutzt
werden konnte.

So wurde denn auf Napoleons Anregung das Polizeiwesen in Jeromes
Landen geordnet. Nach französischem Muster wurde Gendarmerie eingerichtet,
die sich aber schlecht bewährte und beim Volke unbeliebt war. Noch weniger
zweckentsprechend war freilich die Einrichtung einer Geheimpolizei, die nament¬
lich den geheimen Gesellschaften, die sich zur Befreiung von der Fremdherr¬
schaft gebildet hatten, nachspüren sollte. An ihrer Spitze stand ein Franzose,
der kein Wort Deutsch verstand. Die Sucht, um jeden Preis hinter die Ge¬
heimnisse der Bürger zu kommen, führte zu zahllosen Mißgriffen. Alle Briefe,
deren Adressaten irgendwie verdächtig erschienen, wurden heimlich geöffnet.
Dies wurde bald ruchbar, und die Folge war, daß der westfälischen Post keine
Schreiben von irgend welcher Bedeutung mehr anvertraut wurden. Auch aus
andern Ländern suchte man die Briefe so zu lenken, daß sie womöglich das
westfälische Gebiet umgingen. Am lästigsten aber war die Einmischung der
Polizei in die Familie, wozu die Anwendung der niedrigsten Mittel nicht ge-


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[0032] Das Königreich Westfalen ablenkende Nebenfragen zu stürzen. Dann wird es rascher und glänzender wirken. Die Advokaten werden sich darnach Schulen, daß die Richter die Pro¬ zesse nicht mehr selbst einleiten, hiermit werden andre sich befassen, und viel¬ leicht haben Sie eines Tages Advokaten wie in Frankreich, die an Talent, Ausbildung und an Ansehen wetteifern." Weniger glücklich ging das westfälische Regiment ans dem Gebiete des Polizeiweseus vor. Eine eigentliche Polizeigewalt hatte es in den Ländern früher nicht gegeben; wo sie aber etwa vorhanden war, steckte sie noch ganz in den Kinderschuhen. Durch die fortwährenden Kriegslasten war die gesamte Lage sehr verschlechtert. Verarmung, die infolge der Zeitläufte über manchen ganz unverschuldet kam, führte dazu, in dem einzelnen die Begriffe von Mein und Dein zu verwirren. Was durch die Gewalt genommen worden war, sollte auf unrechtmäßige Weise zurückerworben werden. Namentlich im Kurfürsten¬ tum Hannover mehrte sich die Zahl der Diebstühle in erschreckender Weise. Durch Selbsthilfe sollte dem entgegengearbeitet werden. „Nächtliche Patrouillen ans sichern Mitgliedern der Kommune" machten die Runde, suchten verdächtige Gegenden ab und waren jederzeit bereit, bei eintretender Gefahr zum Schutze gegen Räuber herbeizueilen. Aber hierdurch allein konnte keine Abhilfe ge¬ schehen, es war das Eingreifen des Staats erforderlich. Freilich die alten hannoverschen Behörden hatten wenig Neigung dazu, und erst die Drohung Napoleons, er würde einen Franzosen schicken, wenn nicht sofort ein tüchtiger Polizeidirektor angestellt würde, brachte sie aus dem alten Schlendrian heraus. In der Person des Amtsschreibers Meyer wurde für diesen Posten eine ge¬ eignete Persönlichkeit gefunden. Dieser erließ nicht nur eine Reihe segens¬ reicher Verordnungen, sondern verstand es auch, die Polizeigewalt so zu leiten, daß sie von den Franzosen nicht zum Nachteil der Landeskinder ausgenutzt werden konnte. So wurde denn auf Napoleons Anregung das Polizeiwesen in Jeromes Landen geordnet. Nach französischem Muster wurde Gendarmerie eingerichtet, die sich aber schlecht bewährte und beim Volke unbeliebt war. Noch weniger zweckentsprechend war freilich die Einrichtung einer Geheimpolizei, die nament¬ lich den geheimen Gesellschaften, die sich zur Befreiung von der Fremdherr¬ schaft gebildet hatten, nachspüren sollte. An ihrer Spitze stand ein Franzose, der kein Wort Deutsch verstand. Die Sucht, um jeden Preis hinter die Ge¬ heimnisse der Bürger zu kommen, führte zu zahllosen Mißgriffen. Alle Briefe, deren Adressaten irgendwie verdächtig erschienen, wurden heimlich geöffnet. Dies wurde bald ruchbar, und die Folge war, daß der westfälischen Post keine Schreiben von irgend welcher Bedeutung mehr anvertraut wurden. Auch aus andern Ländern suchte man die Briefe so zu lenken, daß sie womöglich das westfälische Gebiet umgingen. Am lästigsten aber war die Einmischung der Polizei in die Familie, wozu die Anwendung der niedrigsten Mittel nicht ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/32>, abgerufen am 24.07.2024.