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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Biirgerknnde in der französischen Volksschule

Polizeigerichts, es werden die Begriffe: Vergehen, Übertretung, Berufung,
Freisprechung behandelt und der Grundsatz: "Niemand kann sich selbst Recht
verschaffen." "Denket nur, wohin man sonst käme! Bei der geringsten Be¬
leidigung würde man sich schlagen, töten. Jeder findet immer, daß er Recht
hat, immer der Stärkere würde den Sieg davontragen. So konnte es nicht
gehen. Deshalb hat man in allen Gemeinschaften verständige und unterrichtete
Männer gewühlt, die über Streitigkeiten, Gewaltthätigkeiten zu Gericht sitzen,
dem Schuldigen Unrecht geben und ihn verurteilen. Ihr Urteil muß geachtet
werden, selbst dann, wenn man glaubt, daß sie sich geirrt haben; denn sonst
wäre überall nur Unordnung." Dann wird der bürgerliche Gerichtshof be¬
sprochen, dann der Sühneversuch und die Berufung, mit der Warnung, nicht
zu Prozessiren: "ein schlechter Vergleich ist besser als ein guter Prozeß" l>ÄUV3.i8
ÄvooinväöiQönt, og,ut inioux amo von xroevs).

Mit fettem Druck wird als Hauptgrundsatz hier aufgestellt: "Das Gesetz
ist für alle Bürger gleich." Aber es gebe doch Ausnahmen, nämlich die
Handelsgerichte und das Kriegsgericht. "Gleichwohl ist das Gesetz für alle
dasselbe. Und ihr könnt Wohl denken, daß die Richter einen nicht nach Willkür
verurteilen können. Denn es giebt geschriebne Gesetze, die man anwenden
muß. Also könnte der Vater Robert, wenn er Richter wäre, jenen Dieb nicht
zum Hängen verurteilen, weil ihm das Gesetz das gar nicht erlauben würde,
und weil, wenn er anders urteilte, der Kassationshof, d. h. der Gerichtshof,
der über die Aufhebung der Urteile zu verhandeln hat, seinen Beschluß ver¬
werfen würde. Die schriftlichen Gesetze beschützen uns; die einen, weil sie ver¬
bieten, was schlecht ist, und die mit verschiednen Strafen belegen, die ihnen
nicht gehorchen; die andern, weil sie die Vorschriften geben, mit denen man
die Prozesse führt. Daher giebt es viele Gesetze. Die hauptsächlichsten sind
im bürgerlichen Gesetzbuch und dem Strafgesetzbuch enthalten. Aber jeden Tag
macht man neue, teils um die alten zu verbessern, teils um die Dinge zu
ordnen, an die man früher nicht gedacht hatte. Daher ist es wichtig, daß die
Gesetze gut abgefaßt sind. Und nun wollen wir fehen, wer damit beauf¬
tragt ist."

So wird zum vierten Abschnitt übergeleitet: das Parlament, das Gesetz,
die Regierung. "Nichts also geschieht ohne Gesetze. Wer macht nun die Ge¬
setze? Jeder. Denn die Volksabstimmung (sullraM umvorsgl) ernennt die
Personen, die mit dieser Arbeit beauftragt werden. Auch ihr werdet in einigen
Jahren, wenn ihr großjährig seid, d. h. wenn ihr einundzwanzig Jahre alt
geworden seid, wählen. Ihr müßt also unbedingt wissen, wie das zugeht;
sonst wäret ihr keine rechten Bürger." Darauf wird der Vorgang der Wahl
beschrieben, die Wahlurne, der Wahlzettel, die Wahlzeit, die geheime Abstim¬
mung besprochen. Dann kommt das Abgeordnetenhaus, der Senat, die Na¬
tionalversammlung, d. h. die Vereinigung beider Körperschaften, an die Reihe.


Die Biirgerknnde in der französischen Volksschule

Polizeigerichts, es werden die Begriffe: Vergehen, Übertretung, Berufung,
Freisprechung behandelt und der Grundsatz: „Niemand kann sich selbst Recht
verschaffen." „Denket nur, wohin man sonst käme! Bei der geringsten Be¬
leidigung würde man sich schlagen, töten. Jeder findet immer, daß er Recht
hat, immer der Stärkere würde den Sieg davontragen. So konnte es nicht
gehen. Deshalb hat man in allen Gemeinschaften verständige und unterrichtete
Männer gewühlt, die über Streitigkeiten, Gewaltthätigkeiten zu Gericht sitzen,
dem Schuldigen Unrecht geben und ihn verurteilen. Ihr Urteil muß geachtet
werden, selbst dann, wenn man glaubt, daß sie sich geirrt haben; denn sonst
wäre überall nur Unordnung." Dann wird der bürgerliche Gerichtshof be¬
sprochen, dann der Sühneversuch und die Berufung, mit der Warnung, nicht
zu Prozessiren: „ein schlechter Vergleich ist besser als ein guter Prozeß" l>ÄUV3.i8
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Mit fettem Druck wird als Hauptgrundsatz hier aufgestellt: „Das Gesetz
ist für alle Bürger gleich." Aber es gebe doch Ausnahmen, nämlich die
Handelsgerichte und das Kriegsgericht. „Gleichwohl ist das Gesetz für alle
dasselbe. Und ihr könnt Wohl denken, daß die Richter einen nicht nach Willkür
verurteilen können. Denn es giebt geschriebne Gesetze, die man anwenden
muß. Also könnte der Vater Robert, wenn er Richter wäre, jenen Dieb nicht
zum Hängen verurteilen, weil ihm das Gesetz das gar nicht erlauben würde,
und weil, wenn er anders urteilte, der Kassationshof, d. h. der Gerichtshof,
der über die Aufhebung der Urteile zu verhandeln hat, seinen Beschluß ver¬
werfen würde. Die schriftlichen Gesetze beschützen uns; die einen, weil sie ver¬
bieten, was schlecht ist, und die mit verschiednen Strafen belegen, die ihnen
nicht gehorchen; die andern, weil sie die Vorschriften geben, mit denen man
die Prozesse führt. Daher giebt es viele Gesetze. Die hauptsächlichsten sind
im bürgerlichen Gesetzbuch und dem Strafgesetzbuch enthalten. Aber jeden Tag
macht man neue, teils um die alten zu verbessern, teils um die Dinge zu
ordnen, an die man früher nicht gedacht hatte. Daher ist es wichtig, daß die
Gesetze gut abgefaßt sind. Und nun wollen wir fehen, wer damit beauf¬
tragt ist."

So wird zum vierten Abschnitt übergeleitet: das Parlament, das Gesetz,
die Regierung. „Nichts also geschieht ohne Gesetze. Wer macht nun die Ge¬
setze? Jeder. Denn die Volksabstimmung (sullraM umvorsgl) ernennt die
Personen, die mit dieser Arbeit beauftragt werden. Auch ihr werdet in einigen
Jahren, wenn ihr großjährig seid, d. h. wenn ihr einundzwanzig Jahre alt
geworden seid, wählen. Ihr müßt also unbedingt wissen, wie das zugeht;
sonst wäret ihr keine rechten Bürger." Darauf wird der Vorgang der Wahl
beschrieben, die Wahlurne, der Wahlzettel, die Wahlzeit, die geheime Abstim¬
mung besprochen. Dann kommt das Abgeordnetenhaus, der Senat, die Na¬
tionalversammlung, d. h. die Vereinigung beider Körperschaften, an die Reihe.


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[0259] Die Biirgerknnde in der französischen Volksschule Polizeigerichts, es werden die Begriffe: Vergehen, Übertretung, Berufung, Freisprechung behandelt und der Grundsatz: „Niemand kann sich selbst Recht verschaffen." „Denket nur, wohin man sonst käme! Bei der geringsten Be¬ leidigung würde man sich schlagen, töten. Jeder findet immer, daß er Recht hat, immer der Stärkere würde den Sieg davontragen. So konnte es nicht gehen. Deshalb hat man in allen Gemeinschaften verständige und unterrichtete Männer gewühlt, die über Streitigkeiten, Gewaltthätigkeiten zu Gericht sitzen, dem Schuldigen Unrecht geben und ihn verurteilen. Ihr Urteil muß geachtet werden, selbst dann, wenn man glaubt, daß sie sich geirrt haben; denn sonst wäre überall nur Unordnung." Dann wird der bürgerliche Gerichtshof be¬ sprochen, dann der Sühneversuch und die Berufung, mit der Warnung, nicht zu Prozessiren: „ein schlechter Vergleich ist besser als ein guter Prozeß" l>ÄUV3.i8 ÄvooinväöiQönt, og,ut inioux amo von xroevs). Mit fettem Druck wird als Hauptgrundsatz hier aufgestellt: „Das Gesetz ist für alle Bürger gleich." Aber es gebe doch Ausnahmen, nämlich die Handelsgerichte und das Kriegsgericht. „Gleichwohl ist das Gesetz für alle dasselbe. Und ihr könnt Wohl denken, daß die Richter einen nicht nach Willkür verurteilen können. Denn es giebt geschriebne Gesetze, die man anwenden muß. Also könnte der Vater Robert, wenn er Richter wäre, jenen Dieb nicht zum Hängen verurteilen, weil ihm das Gesetz das gar nicht erlauben würde, und weil, wenn er anders urteilte, der Kassationshof, d. h. der Gerichtshof, der über die Aufhebung der Urteile zu verhandeln hat, seinen Beschluß ver¬ werfen würde. Die schriftlichen Gesetze beschützen uns; die einen, weil sie ver¬ bieten, was schlecht ist, und die mit verschiednen Strafen belegen, die ihnen nicht gehorchen; die andern, weil sie die Vorschriften geben, mit denen man die Prozesse führt. Daher giebt es viele Gesetze. Die hauptsächlichsten sind im bürgerlichen Gesetzbuch und dem Strafgesetzbuch enthalten. Aber jeden Tag macht man neue, teils um die alten zu verbessern, teils um die Dinge zu ordnen, an die man früher nicht gedacht hatte. Daher ist es wichtig, daß die Gesetze gut abgefaßt sind. Und nun wollen wir fehen, wer damit beauf¬ tragt ist." So wird zum vierten Abschnitt übergeleitet: das Parlament, das Gesetz, die Regierung. „Nichts also geschieht ohne Gesetze. Wer macht nun die Ge¬ setze? Jeder. Denn die Volksabstimmung (sullraM umvorsgl) ernennt die Personen, die mit dieser Arbeit beauftragt werden. Auch ihr werdet in einigen Jahren, wenn ihr großjährig seid, d. h. wenn ihr einundzwanzig Jahre alt geworden seid, wählen. Ihr müßt also unbedingt wissen, wie das zugeht; sonst wäret ihr keine rechten Bürger." Darauf wird der Vorgang der Wahl beschrieben, die Wahlurne, der Wahlzettel, die Wahlzeit, die geheime Abstim¬ mung besprochen. Dann kommt das Abgeordnetenhaus, der Senat, die Na¬ tionalversammlung, d. h. die Vereinigung beider Körperschaften, an die Reihe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/259>, abgerufen am 25.08.2024.