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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Biirgerknnde in der französische" Volksschule

ist schwer einzusehen, weshalb die Schüler schon ans der untersten Stufe die
Einteilung des Volkes Israel in zehn Stamme und diese Stämme selbst ihrem
Gedächtnis einprägen, dann ausführlich die solonische und die servianische
Verfassung kennen lernen, über die Verfassung des eignen Vaterlandes aber
im Unklaren bleiben sollen.

In nachfolgendem will ich einige Mitteilungen ans einem französischen
Lehrbuche machen, um zu zeigen, wie die Franzosen den Gegenstand in ihren
Schulen behandeln.")

Die Vürgerknnde (in8trnLtion viviaus) ist in Frankreich nicht Unterrichts¬
gegenstand der soolss 86<zoncwii'<Z8, d.h. unsrer Mittelschulen (Gymnasien n.s.w.),
sondern nur der Volksschulen. Am 6. Dezember 1879 hat die französische
Kammer beschlossen, und dieser Beschluß ist dann am 28. März 1882 Gesetz
geworden: "Der Unterricht in den Volksschulen umfaßt Sitte"- und Bürger¬
lehre"; und nach einem Dekret vom 29. Januar 1890 muß jeder Schüler
des höher" Kurses (der övolss z)riinaire8 6I6mvntÄir68 ein oour" suxörivnr)
mit einem Buch über Sitten- und Bürgerlehre versehen sein. Seitdem sind
mehrere Lehrbiicher hierüber erschienen, so von Bnrdean, Laloi, Lamarche,
Compayr" u. a. Ich habe das Büchlein von Paul Berl, dem ehemaligen
Unterrichtsminister, zu meinen Mitteilungen gewählt, da es eins der verbrei-
tetsten in Frankreich ist; denn es hat seit 1882 dreiundzwanzig Auflagen er¬
lebt, ist in Paris, Lhon, Bordeaux,, Marseille, also in den größten Städten
Frankreichs eingeführt, es wird wie alle Bücher in den Volksschulen, wenigstens
in den Städten, den Schillern umsonst geliefert und wurde auf einer Aus¬
stellung von Unterrichtsmitteln in Bordeaux durch Verleihung der goldnen
Medaille ausgezeichnet.

Bemerkenswert ist die Vorschrift über die Art und Weise, wie dieser
Unterricht gegeben werden soll; es zeigt sich hierbei, wie die Franzosen in
neuerer Zeit mehr und mehr auf die pädagogische Seite des Unterrichts ihr
Augenmerk richten. Die Darstellung hat nämlich die Form eines Zwie¬
gesprächs zwischen Lehrer und Schiller: der Schiller soll zum Fragen ver¬
anlaßt, die Antworten auf die Fragen durch eignes Nachdenken aus ihm
herausgelockt werden. Doch nun zu dem Inhalt des Blichleins selbst.

Nach dem amtlichen Lehrplan vom 27. Juli 1882 soll die Bürgerlehre
folgende Gegenstände umfassen: Allgemeine Begriffe über die Einrichtungen in
Politik, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. ^-- Der Bürger, seine Pflichten und
Rechte. -- Die Schul- und die Wehrpflicht. -- Die Steuer. -- Das allgemeine
Wahlrecht. -- Die Gemeinde. -- Der Bürgermeister und der Gemeinderat.



Ich könnte anch ans die Schweiz hinweise", die auch schon seit einiger Zeit die
Bnrgerknnde als Lehrfach für die Priinürschnlen eingeführt hat. Ich nenne z. B. den lwr-
treffliche" Leitfaden vo" Nana Droz, der v"u Niggli ins Deutsche übersehe wurden ist.
Die Biirgerknnde in der französische» Volksschule

ist schwer einzusehen, weshalb die Schüler schon ans der untersten Stufe die
Einteilung des Volkes Israel in zehn Stamme und diese Stämme selbst ihrem
Gedächtnis einprägen, dann ausführlich die solonische und die servianische
Verfassung kennen lernen, über die Verfassung des eignen Vaterlandes aber
im Unklaren bleiben sollen.

In nachfolgendem will ich einige Mitteilungen ans einem französischen
Lehrbuche machen, um zu zeigen, wie die Franzosen den Gegenstand in ihren
Schulen behandeln.")

Die Vürgerknnde (in8trnLtion viviaus) ist in Frankreich nicht Unterrichts¬
gegenstand der soolss 86<zoncwii'<Z8, d.h. unsrer Mittelschulen (Gymnasien n.s.w.),
sondern nur der Volksschulen. Am 6. Dezember 1879 hat die französische
Kammer beschlossen, und dieser Beschluß ist dann am 28. März 1882 Gesetz
geworden: „Der Unterricht in den Volksschulen umfaßt Sitte»- und Bürger¬
lehre"; und nach einem Dekret vom 29. Januar 1890 muß jeder Schüler
des höher» Kurses (der övolss z)riinaire8 6I6mvntÄir68 ein oour« suxörivnr)
mit einem Buch über Sitten- und Bürgerlehre versehen sein. Seitdem sind
mehrere Lehrbiicher hierüber erschienen, so von Bnrdean, Laloi, Lamarche,
Compayr« u. a. Ich habe das Büchlein von Paul Berl, dem ehemaligen
Unterrichtsminister, zu meinen Mitteilungen gewählt, da es eins der verbrei-
tetsten in Frankreich ist; denn es hat seit 1882 dreiundzwanzig Auflagen er¬
lebt, ist in Paris, Lhon, Bordeaux,, Marseille, also in den größten Städten
Frankreichs eingeführt, es wird wie alle Bücher in den Volksschulen, wenigstens
in den Städten, den Schillern umsonst geliefert und wurde auf einer Aus¬
stellung von Unterrichtsmitteln in Bordeaux durch Verleihung der goldnen
Medaille ausgezeichnet.

Bemerkenswert ist die Vorschrift über die Art und Weise, wie dieser
Unterricht gegeben werden soll; es zeigt sich hierbei, wie die Franzosen in
neuerer Zeit mehr und mehr auf die pädagogische Seite des Unterrichts ihr
Augenmerk richten. Die Darstellung hat nämlich die Form eines Zwie¬
gesprächs zwischen Lehrer und Schiller: der Schiller soll zum Fragen ver¬
anlaßt, die Antworten auf die Fragen durch eignes Nachdenken aus ihm
herausgelockt werden. Doch nun zu dem Inhalt des Blichleins selbst.

Nach dem amtlichen Lehrplan vom 27. Juli 1882 soll die Bürgerlehre
folgende Gegenstände umfassen: Allgemeine Begriffe über die Einrichtungen in
Politik, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. ^— Der Bürger, seine Pflichten und
Rechte. — Die Schul- und die Wehrpflicht. — Die Steuer. — Das allgemeine
Wahlrecht. — Die Gemeinde. — Der Bürgermeister und der Gemeinderat.



Ich könnte anch ans die Schweiz hinweise», die auch schon seit einiger Zeit die
Bnrgerknnde als Lehrfach für die Priinürschnlen eingeführt hat. Ich nenne z. B. den lwr-
treffliche» Leitfaden vo» Nana Droz, der v»u Niggli ins Deutsche übersehe wurden ist.
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[0254] Die Biirgerknnde in der französische» Volksschule ist schwer einzusehen, weshalb die Schüler schon ans der untersten Stufe die Einteilung des Volkes Israel in zehn Stamme und diese Stämme selbst ihrem Gedächtnis einprägen, dann ausführlich die solonische und die servianische Verfassung kennen lernen, über die Verfassung des eignen Vaterlandes aber im Unklaren bleiben sollen. In nachfolgendem will ich einige Mitteilungen ans einem französischen Lehrbuche machen, um zu zeigen, wie die Franzosen den Gegenstand in ihren Schulen behandeln.") Die Vürgerknnde (in8trnLtion viviaus) ist in Frankreich nicht Unterrichts¬ gegenstand der soolss 86<zoncwii'<Z8, d.h. unsrer Mittelschulen (Gymnasien n.s.w.), sondern nur der Volksschulen. Am 6. Dezember 1879 hat die französische Kammer beschlossen, und dieser Beschluß ist dann am 28. März 1882 Gesetz geworden: „Der Unterricht in den Volksschulen umfaßt Sitte»- und Bürger¬ lehre"; und nach einem Dekret vom 29. Januar 1890 muß jeder Schüler des höher» Kurses (der övolss z)riinaire8 6I6mvntÄir68 ein oour« suxörivnr) mit einem Buch über Sitten- und Bürgerlehre versehen sein. Seitdem sind mehrere Lehrbiicher hierüber erschienen, so von Bnrdean, Laloi, Lamarche, Compayr« u. a. Ich habe das Büchlein von Paul Berl, dem ehemaligen Unterrichtsminister, zu meinen Mitteilungen gewählt, da es eins der verbrei- tetsten in Frankreich ist; denn es hat seit 1882 dreiundzwanzig Auflagen er¬ lebt, ist in Paris, Lhon, Bordeaux,, Marseille, also in den größten Städten Frankreichs eingeführt, es wird wie alle Bücher in den Volksschulen, wenigstens in den Städten, den Schillern umsonst geliefert und wurde auf einer Aus¬ stellung von Unterrichtsmitteln in Bordeaux durch Verleihung der goldnen Medaille ausgezeichnet. Bemerkenswert ist die Vorschrift über die Art und Weise, wie dieser Unterricht gegeben werden soll; es zeigt sich hierbei, wie die Franzosen in neuerer Zeit mehr und mehr auf die pädagogische Seite des Unterrichts ihr Augenmerk richten. Die Darstellung hat nämlich die Form eines Zwie¬ gesprächs zwischen Lehrer und Schiller: der Schiller soll zum Fragen ver¬ anlaßt, die Antworten auf die Fragen durch eignes Nachdenken aus ihm herausgelockt werden. Doch nun zu dem Inhalt des Blichleins selbst. Nach dem amtlichen Lehrplan vom 27. Juli 1882 soll die Bürgerlehre folgende Gegenstände umfassen: Allgemeine Begriffe über die Einrichtungen in Politik, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. ^— Der Bürger, seine Pflichten und Rechte. — Die Schul- und die Wehrpflicht. — Die Steuer. — Das allgemeine Wahlrecht. — Die Gemeinde. — Der Bürgermeister und der Gemeinderat. Ich könnte anch ans die Schweiz hinweise», die auch schon seit einiger Zeit die Bnrgerknnde als Lehrfach für die Priinürschnlen eingeführt hat. Ich nenne z. B. den lwr- treffliche» Leitfaden vo» Nana Droz, der v»u Niggli ins Deutsche übersehe wurden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/254>, abgerufen am 24.08.2024.