Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Reiseeindrücke aus England stählen. Das sollten wir nicht vergessen, wenn der weiße Flanell auch in Der englische Soldat ist schlank und rank und von leichtem, elastischem Reiseeindrücke aus England stählen. Das sollten wir nicht vergessen, wenn der weiße Flanell auch in Der englische Soldat ist schlank und rank und von leichtem, elastischem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215961"/> <fw type="header" place="top"> Reiseeindrücke aus England</fw><lb/> <p xml:id="ID_616" prev="#ID_615"> stählen. Das sollten wir nicht vergessen, wenn der weiße Flanell auch in<lb/> Deutschland jetzt seinen Siegeszug halten zu wollen droht. Meinethalben das<lb/> eine thun, das andre nicht lassen, keinesfalls aber in beiden den eigent¬<lb/> lichen Lebensinhalt suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_617" next="#ID_618"> Der englische Soldat ist schlank und rank und von leichtem, elastischem<lb/> Gange, wenn er mit seinem koketten Mützchen, das Sturmband an der Unterlippe,<lb/> das Stöckchen unterm Arm, in tadellosem Anzug durch die Straßen schlendert.<lb/> Das Vornüberneigen des Oberkörpers, das unsre Jugend heute mit aller An¬<lb/> strengung den Engländern nachahmt, haben ihm seine Drillmeister gründlich aus¬<lb/> getrieben. Das in Glasgow und Edinburg garnisonirende hochländische Regiment<lb/> hat geradezu bildschöne Leute. Und doch hat mir der erste märkische Musketier,<lb/> den ich auf der Rückreise zu sehen bekam, einen weit festern, ich möchte sagen un-<lb/> überwindlichem Eindruck gemacht. Hätte mein alter Sergeant den Anblick der<lb/> Kompagnie haben müssen, die ich im Innern des Tower, wenige Schritte von<lb/> dem Richtplatz der Anna Boleyn, Jane Gres und des Grafen Essex exerzieren<lb/> sah, das Herz wäre ihm gebrochen. Von Knieedurchdrücken, Tragart der Gewehre,<lb/> von den Idealen um Richtung, Fühlung, Abstand, wie ihnen der deutsche<lb/> Exerziermeister die Wirklichkeit zu unsern versteht, war kaum die Rede. Und<lb/> was müßte aus den adretter, nur gar zu jungen Burschen zu machen sein!<lb/> Ich fragte einen jungen Gentleman, der in Deutschland sicher den Freiwilligen¬<lb/> rock getragen hätte, ob er uicht wenigstens den Volunteers angehörte. Er<lb/> verneinte. Es kostete ihm zu viel Zeit, höchstens Clerks pflegten beizutreten,<lb/> um dann auch uur das Listenweseu und die Schreibgeschäfte zu besorgen. Auch<lb/> sonst hörte ich, daß sich die Bolnnteers mehr und mehr nnr aus Arbeitern<lb/> und Handwerkern zusammensetzten. Für den Fall innerer Verwicklungen würde<lb/> nicht der geringste Verlaß auf sie sein. Nur die in besondern Riflekorps or-<lb/> ganisirte Oxforder und wohl auch Cambridger Studentenschaft scheint eine<lb/> Ausnahme zu machen. Der Engländer ist trotzdem auf seine Armee nicht<lb/> wenig stolz, für die Offizierstellen scheint es auch nicht an Gentlemen zu fehlen,<lb/> Offiziere selbst habe ich, da sie bekanntlich nnr in Zivil ausgehen, nicht ge¬<lb/> sehen. Daß ^om ^.tkins (der Sammelname für den englischen Liniensoldat)<lb/> die Herzen der Dienstmädchen ganz ebenso gefangen hält, wie sein deutscher<lb/> Kamerad bei uns, konnte man an jedem Sonntag nachmittag beobachten.<lb/> Geradezu an die Zeiten Friedrich Wilhelms I. erinnerte es, in allen englischen<lb/> Städten Werbebürcans aufgeschlagen zu finden, vor denen auf scharlachrot und<lb/> blau kolorirten Bilderbogen die schön aufgeputzten Repräsentanten von Ihrer<lb/> Majestät Armee und Marine ausgehängt waren, darunter die Anforderungen an<lb/> Körpergröße, Vorbildung, die Beförderungsaussichten, Dienstbezüge, Handgelder<lb/> und die Prozente für die Werbeagenten. Es ist leicht zu prophezeien, daß<lb/> England mit seinen wenigen Söldnertruppen, deren Kcidres es jetzt erst, in<lb/> den Zeiten wirtschaftlichen Niederganges, mühsam zu füllen vermag, dereinst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0237]
Reiseeindrücke aus England
stählen. Das sollten wir nicht vergessen, wenn der weiße Flanell auch in
Deutschland jetzt seinen Siegeszug halten zu wollen droht. Meinethalben das
eine thun, das andre nicht lassen, keinesfalls aber in beiden den eigent¬
lichen Lebensinhalt suchen.
Der englische Soldat ist schlank und rank und von leichtem, elastischem
Gange, wenn er mit seinem koketten Mützchen, das Sturmband an der Unterlippe,
das Stöckchen unterm Arm, in tadellosem Anzug durch die Straßen schlendert.
Das Vornüberneigen des Oberkörpers, das unsre Jugend heute mit aller An¬
strengung den Engländern nachahmt, haben ihm seine Drillmeister gründlich aus¬
getrieben. Das in Glasgow und Edinburg garnisonirende hochländische Regiment
hat geradezu bildschöne Leute. Und doch hat mir der erste märkische Musketier,
den ich auf der Rückreise zu sehen bekam, einen weit festern, ich möchte sagen un-
überwindlichem Eindruck gemacht. Hätte mein alter Sergeant den Anblick der
Kompagnie haben müssen, die ich im Innern des Tower, wenige Schritte von
dem Richtplatz der Anna Boleyn, Jane Gres und des Grafen Essex exerzieren
sah, das Herz wäre ihm gebrochen. Von Knieedurchdrücken, Tragart der Gewehre,
von den Idealen um Richtung, Fühlung, Abstand, wie ihnen der deutsche
Exerziermeister die Wirklichkeit zu unsern versteht, war kaum die Rede. Und
was müßte aus den adretter, nur gar zu jungen Burschen zu machen sein!
Ich fragte einen jungen Gentleman, der in Deutschland sicher den Freiwilligen¬
rock getragen hätte, ob er uicht wenigstens den Volunteers angehörte. Er
verneinte. Es kostete ihm zu viel Zeit, höchstens Clerks pflegten beizutreten,
um dann auch uur das Listenweseu und die Schreibgeschäfte zu besorgen. Auch
sonst hörte ich, daß sich die Bolnnteers mehr und mehr nnr aus Arbeitern
und Handwerkern zusammensetzten. Für den Fall innerer Verwicklungen würde
nicht der geringste Verlaß auf sie sein. Nur die in besondern Riflekorps or-
ganisirte Oxforder und wohl auch Cambridger Studentenschaft scheint eine
Ausnahme zu machen. Der Engländer ist trotzdem auf seine Armee nicht
wenig stolz, für die Offizierstellen scheint es auch nicht an Gentlemen zu fehlen,
Offiziere selbst habe ich, da sie bekanntlich nnr in Zivil ausgehen, nicht ge¬
sehen. Daß ^om ^.tkins (der Sammelname für den englischen Liniensoldat)
die Herzen der Dienstmädchen ganz ebenso gefangen hält, wie sein deutscher
Kamerad bei uns, konnte man an jedem Sonntag nachmittag beobachten.
Geradezu an die Zeiten Friedrich Wilhelms I. erinnerte es, in allen englischen
Städten Werbebürcans aufgeschlagen zu finden, vor denen auf scharlachrot und
blau kolorirten Bilderbogen die schön aufgeputzten Repräsentanten von Ihrer
Majestät Armee und Marine ausgehängt waren, darunter die Anforderungen an
Körpergröße, Vorbildung, die Beförderungsaussichten, Dienstbezüge, Handgelder
und die Prozente für die Werbeagenten. Es ist leicht zu prophezeien, daß
England mit seinen wenigen Söldnertruppen, deren Kcidres es jetzt erst, in
den Zeiten wirtschaftlichen Niederganges, mühsam zu füllen vermag, dereinst
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |