Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Reiseeindrücke ans England und Farnkräutern, die ihnen, welk geworden, den eigentümlichen braunen Ton Das Reisen ist in England durch die große Zahl der Eisenbahnlinien und Reiseeindrücke ans England und Farnkräutern, die ihnen, welk geworden, den eigentümlichen braunen Ton Das Reisen ist in England durch die große Zahl der Eisenbahnlinien und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215952"/> <fw type="header" place="top"> Reiseeindrücke ans England</fw><lb/> <p xml:id="ID_599" prev="#ID_598"> und Farnkräutern, die ihnen, welk geworden, den eigentümlichen braunen Ton<lb/> geben. Für die Landwirtschaft scheinen sie völlig hoffnungslos. Daß man es<lb/> aber unterläßt, sie wieder aufzuforsten, kann ich mir nur mit dem Wunsche<lb/> erklären, den Hochlanden ihren eigentümlichen landschaftlichen Charakter zu er¬<lb/> halten. Und in der That zeigen sie, gänzlich von Wald entblößt, die ernsten,<lb/> erhabnen Konturen um so reiner. Einen schön gewachsenen Niesen sehen wir<lb/> auch lieber im Trikot auf der Bühne, als im Winterüberzieher auf der Straße.</p><lb/> <p xml:id="ID_600" next="#ID_601"> Das Reisen ist in England durch die große Zahl der Eisenbahnlinien und<lb/> durch die Fülle der verkehrenden Züge (Nachtzuge giebt es nur wenige) dem<lb/> Publikum sehr bequem gemacht. Aber auch das Publikum macht es durch<lb/> seine Findigkeit deu Gesellschaften sehr bequem, den riesenhaften Verkehr zu<lb/> bewältigen. Niemand weist mir einen Platz im Zuge an, niemand ruft mich<lb/> ab, wenn ich meinen Bestimmungsort erreicht habe, es vergehen oft Stunden,<lb/> ehe ich nach dem „Tickel" gefragt werde, und ohne die Gefälligkeit der Mit¬<lb/> reisenden würde ich, ganz besonders auf der Londoner Untergrundbahn, oft<lb/> verkehrt gefahren sein. Ich möchte an den Namen der Zwischenstationen gern<lb/> prüfen, ob ich mich auf der richtigen Strecke befinde. Aber ehe ich unter der<lb/> Masse von Seiser- und Pillenplakaten, mit denen alle Wände der Bahnhofs¬<lb/> halle bedeckt sind, deu richtigen Stationsnamen entdecken kann, ist der Zug<lb/> schon längst vorbeigebraust. Ich klagte einem ins Bad reisenden Cityman<lb/> meine Not, wurde aber belehrt, daß jedes Plakat der Eisenbahngesellschaft jähr¬<lb/> lich eine Guinee einbringe, und daß gleichwohl der Preis eines Seifenstückes<lb/> bei einem Umsatz von so und so viel Millionen Pfund — so rechnete er mit<lb/> großer Fingerfertigkeit aus — nur um den Bruchteil eiues Perus verteuert<lb/> werde. Das sind freilich Gründe, die es dein Engländer ohne weiteres ein¬<lb/> leuchtend machen, daß er auf eine notwendige Reisebcquemlichkeit zu verzichten<lb/> habe. Ich habe übrigens meine Reisegefährten im Kupee, auf dem Schiff oder<lb/> im Gasthaus durchaus nicht immer so zugeknöpft gefunden, wie sie gewöhnlich<lb/> geschildert werden. Gar mancher begann eine Unterhaltung über den schönen<lb/> Tag, und auf alle Fragen habe ich jederzeit bereitwillige und freundliche Aus¬<lb/> kunft erhalten. Mein Englisch war nicht darnach, daß sie nicht alsbald den<lb/> Fremden in mir entdeckt hätten; sie wurden aber regelmäßig noch um einen<lb/> Grad freundlicher, wenn ich mich als Deutschen zu erkennen gab. Mitunter<lb/> freilich, wenn ich in den Dialekt oder die sogenannte lovsr ig,ng-ugA6 geriet,<lb/> ging die Verständigung fast ganz in die Brüche, obwohl sie sich bemühten,<lb/> wahrscheinlich weil sie mich für schwerhörig hielten, mir die wohlklingenden<lb/> Laute der Jnselsprache recht laut und dicht in die Ohren zu schreien. Kann<lb/> man den Engländer auch nicht höflich nennen — dafür ist er zu gelassen<lb/> und nicht geschmeidig genug—, so habe ich ihn doch, und zwar in allen<lb/> Ständen artig und freundlich, in der Familie aber — leider hatte ich nur<lb/> zweimal dazu Gelegenheit wahrhaft herzlich gefunden. Angenehm fiel mir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0228]
Reiseeindrücke ans England
und Farnkräutern, die ihnen, welk geworden, den eigentümlichen braunen Ton
geben. Für die Landwirtschaft scheinen sie völlig hoffnungslos. Daß man es
aber unterläßt, sie wieder aufzuforsten, kann ich mir nur mit dem Wunsche
erklären, den Hochlanden ihren eigentümlichen landschaftlichen Charakter zu er¬
halten. Und in der That zeigen sie, gänzlich von Wald entblößt, die ernsten,
erhabnen Konturen um so reiner. Einen schön gewachsenen Niesen sehen wir
auch lieber im Trikot auf der Bühne, als im Winterüberzieher auf der Straße.
Das Reisen ist in England durch die große Zahl der Eisenbahnlinien und
durch die Fülle der verkehrenden Züge (Nachtzuge giebt es nur wenige) dem
Publikum sehr bequem gemacht. Aber auch das Publikum macht es durch
seine Findigkeit deu Gesellschaften sehr bequem, den riesenhaften Verkehr zu
bewältigen. Niemand weist mir einen Platz im Zuge an, niemand ruft mich
ab, wenn ich meinen Bestimmungsort erreicht habe, es vergehen oft Stunden,
ehe ich nach dem „Tickel" gefragt werde, und ohne die Gefälligkeit der Mit¬
reisenden würde ich, ganz besonders auf der Londoner Untergrundbahn, oft
verkehrt gefahren sein. Ich möchte an den Namen der Zwischenstationen gern
prüfen, ob ich mich auf der richtigen Strecke befinde. Aber ehe ich unter der
Masse von Seiser- und Pillenplakaten, mit denen alle Wände der Bahnhofs¬
halle bedeckt sind, deu richtigen Stationsnamen entdecken kann, ist der Zug
schon längst vorbeigebraust. Ich klagte einem ins Bad reisenden Cityman
meine Not, wurde aber belehrt, daß jedes Plakat der Eisenbahngesellschaft jähr¬
lich eine Guinee einbringe, und daß gleichwohl der Preis eines Seifenstückes
bei einem Umsatz von so und so viel Millionen Pfund — so rechnete er mit
großer Fingerfertigkeit aus — nur um den Bruchteil eiues Perus verteuert
werde. Das sind freilich Gründe, die es dein Engländer ohne weiteres ein¬
leuchtend machen, daß er auf eine notwendige Reisebcquemlichkeit zu verzichten
habe. Ich habe übrigens meine Reisegefährten im Kupee, auf dem Schiff oder
im Gasthaus durchaus nicht immer so zugeknöpft gefunden, wie sie gewöhnlich
geschildert werden. Gar mancher begann eine Unterhaltung über den schönen
Tag, und auf alle Fragen habe ich jederzeit bereitwillige und freundliche Aus¬
kunft erhalten. Mein Englisch war nicht darnach, daß sie nicht alsbald den
Fremden in mir entdeckt hätten; sie wurden aber regelmäßig noch um einen
Grad freundlicher, wenn ich mich als Deutschen zu erkennen gab. Mitunter
freilich, wenn ich in den Dialekt oder die sogenannte lovsr ig,ng-ugA6 geriet,
ging die Verständigung fast ganz in die Brüche, obwohl sie sich bemühten,
wahrscheinlich weil sie mich für schwerhörig hielten, mir die wohlklingenden
Laute der Jnselsprache recht laut und dicht in die Ohren zu schreien. Kann
man den Engländer auch nicht höflich nennen — dafür ist er zu gelassen
und nicht geschmeidig genug—, so habe ich ihn doch, und zwar in allen
Ständen artig und freundlich, in der Familie aber — leider hatte ich nur
zweimal dazu Gelegenheit wahrhaft herzlich gefunden. Angenehm fiel mir
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