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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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kommt es, daß die Arbeiter, mag auch der einzelne durch Sparen sein und
seiner Kinder Los verbessern, doch im ganzen dadurch ihre Lage verschlimmern,
indem ihr Sparkapital jenes Bleigewicht vergrößert.

Die dritte Frage endlich, ob das Geldkapital durch Sparen entstehe, haben
wir in unserm Buche so gründlich untersucht, daß wir uns hier auf eine kurze
Wiederholung des Ergebnisses beschränken können. Die großen Vermögen sind
teils durch Okkupation, teils durch Raub, teils durch kühne Unternehmungen,
teils durch Spekulation, teils durch Unterwerfung und Ausbeutung großer
Scharen von Menschen gebildet worden. Sparsamkeit wirkt bei der Schaffung
der Grundlage, z.B. eines bescheidnen kaufmännischen Vermögens, manchmal
mit, ist aber niemals das, was die so oder anders entstandnen Vermögen
später lawinenartig anschwellen läßt. Sieht man auf die Gesamtmaffe des
vorhandnen Geldkapitals, so mögen die europäischen Sparkasfenkapitalieu, die
aus den Ersparnissen von über hundert Millionen kleiner Leute bestehen, immer¬
hin einige Dutzend Milliarden betragen, bilden jedoch nur einen kleinen Teil
des Gesamtkapitals, das größtenteils einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von
Reichen gehört und nicht durch Sparen entstanden ist.

Die Diskussion über den Gegenstand bleibt vorzugsweise darum so un¬
fruchtbar und ergebnislos, weil die dabei vorkommenden Worte nicht immer
in demselben Sinne gebraucht werden. Wir geben deshalb noch einmal kurz
an, welchen Sinn wir mit jedem einzelnen verbinden. Vermögen ist die Ge¬
samtheit aller Güter; Einkommen ist die Gesamtheit aller Gebrauchsgüter, die
eine Person oder ein Volk im Laufe eines Jahres bezieht oder beziehen könnte,
wenn sie wollte, d. h. wenn sie ihr ganzes Geldeinkommen verbrauchte. Inso¬
fern gewisse Vermögensstücke, wie Äcker, Gebäude, Maschinen, Werkzeuge, Roh¬
stoffe, zur Produktion verwandt werden, nennen wir sie Kapital. Insofern
man für Geld jederzeit solche Kapitälstücke bekommen kann, wird Geld, das
in dieser Weise verwandt werden soll, ebenfalls Kapital genannt. Ob sich
dieses Kapital in den Händen vieler kleinen Besitzer, oder nur weniger großen,
oder eiuer Gemeinschaft befindet, macht an sich für die Produktion keinen
Unterschied; was die Sozialisten vernichten wollen, ist nicht das Kapital,
sondern der Privatbesitz am Kapital. Ob die Produktion durch diese Wand¬
lung unbehilflicher werden und ob infolge dessen mit der Zeit das Kapital
selbst eine Verminderung erleiden würde, das ist eine Frage, die nur von der
Erfahrung beantwortet werden könnte. Außer dem oben angeführten hat das
Wort Geldkapital noch einen andern Sinn. Man versteht darunter die Ge¬
samtheit der Besitztitel eines Menschen, eines Volkes, der Gesellschaft, die teils
in Wertpapieren, teils in Bargeld bestehen. Bargeld ist Anweisung auf Güter,
die Wertpapiere aber sind nichts andres als Ansprüche auf das Vermögen
andrer, wodurch diese andern gezwungen werden, dem Inhaber des Titels all¬
jährlich einen Teil ihres Einkommens abzutreten. Die Wertpapiere haben nur


kommt es, daß die Arbeiter, mag auch der einzelne durch Sparen sein und
seiner Kinder Los verbessern, doch im ganzen dadurch ihre Lage verschlimmern,
indem ihr Sparkapital jenes Bleigewicht vergrößert.

Die dritte Frage endlich, ob das Geldkapital durch Sparen entstehe, haben
wir in unserm Buche so gründlich untersucht, daß wir uns hier auf eine kurze
Wiederholung des Ergebnisses beschränken können. Die großen Vermögen sind
teils durch Okkupation, teils durch Raub, teils durch kühne Unternehmungen,
teils durch Spekulation, teils durch Unterwerfung und Ausbeutung großer
Scharen von Menschen gebildet worden. Sparsamkeit wirkt bei der Schaffung
der Grundlage, z.B. eines bescheidnen kaufmännischen Vermögens, manchmal
mit, ist aber niemals das, was die so oder anders entstandnen Vermögen
später lawinenartig anschwellen läßt. Sieht man auf die Gesamtmaffe des
vorhandnen Geldkapitals, so mögen die europäischen Sparkasfenkapitalieu, die
aus den Ersparnissen von über hundert Millionen kleiner Leute bestehen, immer¬
hin einige Dutzend Milliarden betragen, bilden jedoch nur einen kleinen Teil
des Gesamtkapitals, das größtenteils einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von
Reichen gehört und nicht durch Sparen entstanden ist.

Die Diskussion über den Gegenstand bleibt vorzugsweise darum so un¬
fruchtbar und ergebnislos, weil die dabei vorkommenden Worte nicht immer
in demselben Sinne gebraucht werden. Wir geben deshalb noch einmal kurz
an, welchen Sinn wir mit jedem einzelnen verbinden. Vermögen ist die Ge¬
samtheit aller Güter; Einkommen ist die Gesamtheit aller Gebrauchsgüter, die
eine Person oder ein Volk im Laufe eines Jahres bezieht oder beziehen könnte,
wenn sie wollte, d. h. wenn sie ihr ganzes Geldeinkommen verbrauchte. Inso¬
fern gewisse Vermögensstücke, wie Äcker, Gebäude, Maschinen, Werkzeuge, Roh¬
stoffe, zur Produktion verwandt werden, nennen wir sie Kapital. Insofern
man für Geld jederzeit solche Kapitälstücke bekommen kann, wird Geld, das
in dieser Weise verwandt werden soll, ebenfalls Kapital genannt. Ob sich
dieses Kapital in den Händen vieler kleinen Besitzer, oder nur weniger großen,
oder eiuer Gemeinschaft befindet, macht an sich für die Produktion keinen
Unterschied; was die Sozialisten vernichten wollen, ist nicht das Kapital,
sondern der Privatbesitz am Kapital. Ob die Produktion durch diese Wand¬
lung unbehilflicher werden und ob infolge dessen mit der Zeit das Kapital
selbst eine Verminderung erleiden würde, das ist eine Frage, die nur von der
Erfahrung beantwortet werden könnte. Außer dem oben angeführten hat das
Wort Geldkapital noch einen andern Sinn. Man versteht darunter die Ge¬
samtheit der Besitztitel eines Menschen, eines Volkes, der Gesellschaft, die teils
in Wertpapieren, teils in Bargeld bestehen. Bargeld ist Anweisung auf Güter,
die Wertpapiere aber sind nichts andres als Ansprüche auf das Vermögen
andrer, wodurch diese andern gezwungen werden, dem Inhaber des Titels all¬
jährlich einen Teil ihres Einkommens abzutreten. Die Wertpapiere haben nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/220>, abgerufen am 22.07.2024.