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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und das Mittelnieer

nedig erinnert werden und geistig rege albanische Kolonien im Süden und
Sizilien beherbergen, geben sich merkwürdigerweise den Anschein, als glaubten sie
ebenfalls daran. Sie möchten zu gerne die Schutzmacht der interessanten
Albcinesen spielen, die leider zum Teil die fanatischsten Muselmänner sind.

Wohin wir sehen in der ganzen Breite des Mittelmeeres, von Gibraltar
bis Batna, haben sich politische Probleme neben einander entwickelt und be¬
wegen sich politische Bestrebungen einander entgegen, die alle in erster Linie
die Mächte angehen, die vom Nordrande des Mittelmeeres aus Einfluß und
Boden auf den gegenüberliegenden asiatischen und afrikanischen Gestaden zu
gewinnen suchen. Es kann nicht anders sein, als daß die Bestrebungen, die
auf so engem Raume so nahe bei einander liegenden Zielen zulaufen, sich drängen
und kreuzen. Das Netz dieser Fäden ist an manchen Stellen schon so dicht
gewoben, daß es unentwirrbar scheint, besonders seitdem noch die Welthandels-
linien Europa-Indien quer durchlaufen. Angelegenheiten, die nur das Mittel¬
meer berühren, wie die tunesische, die kretische, die syrische, die macedonische,
werde" mit der Rivalität von Mächten wie Frankreich, Italien, Spanien,
Rußland, der Türkei, Osterreich verwickelt und greifen damit über die hohe
Gebirgsschranke des Mittelmeeres hinüber. Weltherrschastsfragen wie die des
Bosporus, Ägyptens und des Suezkanals, Marokkos und der Gibraltarstraße
setzen die Beherrscher der größten politischen Räume der Gegenwart, wie
Rußland, England, Frankreich in der Richtung auf das Mittelmeer in Be¬
wegung. Endlich giebt es gar kein Problem der großen Politik auf unsrer
östlichen Halbkugel mehr, das nicht irgend eine enge Beziehung zum Mittel¬
meer hätte. Sowohl die alten mitteleuropäischen als die orientalischen Pro¬
bleme sind südwärts gewandert.

Von allen Großmächten Europas ist nun Deutschland die einzige am
Mittelmeer territorial unbeteiligte. Das giebt ihm, obgleich Italien im Drei¬
bunde steht, eine ganz eigne, freie Stellung. Sein Mittelmeer ist die Ostsee,
deren ganze geschichtliche Wirkung allerdings an das Mittelmeer Südeuropas
erinnert. Überlassen wir unsern Dichtern und Künstlern die Klage, daß uns
nicht die Sonne so hell scheint und der Himmel so blau über uns steht, und
das Heimweh nach den Ländern der Lorbeern und Hesperidenfrüchte. Wer
politisch denken kann, wird sich nur freuen, daß sein Land nur mittelbare
Interessen in einem so stürmeschwangern Gebiete zu vertreten hat. Für Deutsch¬
land ist das Mittelmeer samt dem Suezkanal die große Straße aus dem Atlan¬
tischen in den Indischen Ozean, an deren Offenhaltung es ebenso sehr inter-
esstrt ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Holland oder in Zukunft
Japan. Für seine Handelsflotte ist es ein Schiffahrtsgebiet von wachsender
Bedeutung, aber im Vergleich mit der Ost- und Nordsee untergeordnet; für
seine Industrie ein wichtiges Absatzgebiet, dessen Aufnahmefähigkeit aber nicht
überschätzt werden darf, da die einseitige Produktion der Mittelmeerländer nur


Deutschland und das Mittelnieer

nedig erinnert werden und geistig rege albanische Kolonien im Süden und
Sizilien beherbergen, geben sich merkwürdigerweise den Anschein, als glaubten sie
ebenfalls daran. Sie möchten zu gerne die Schutzmacht der interessanten
Albcinesen spielen, die leider zum Teil die fanatischsten Muselmänner sind.

Wohin wir sehen in der ganzen Breite des Mittelmeeres, von Gibraltar
bis Batna, haben sich politische Probleme neben einander entwickelt und be¬
wegen sich politische Bestrebungen einander entgegen, die alle in erster Linie
die Mächte angehen, die vom Nordrande des Mittelmeeres aus Einfluß und
Boden auf den gegenüberliegenden asiatischen und afrikanischen Gestaden zu
gewinnen suchen. Es kann nicht anders sein, als daß die Bestrebungen, die
auf so engem Raume so nahe bei einander liegenden Zielen zulaufen, sich drängen
und kreuzen. Das Netz dieser Fäden ist an manchen Stellen schon so dicht
gewoben, daß es unentwirrbar scheint, besonders seitdem noch die Welthandels-
linien Europa-Indien quer durchlaufen. Angelegenheiten, die nur das Mittel¬
meer berühren, wie die tunesische, die kretische, die syrische, die macedonische,
werde» mit der Rivalität von Mächten wie Frankreich, Italien, Spanien,
Rußland, der Türkei, Osterreich verwickelt und greifen damit über die hohe
Gebirgsschranke des Mittelmeeres hinüber. Weltherrschastsfragen wie die des
Bosporus, Ägyptens und des Suezkanals, Marokkos und der Gibraltarstraße
setzen die Beherrscher der größten politischen Räume der Gegenwart, wie
Rußland, England, Frankreich in der Richtung auf das Mittelmeer in Be¬
wegung. Endlich giebt es gar kein Problem der großen Politik auf unsrer
östlichen Halbkugel mehr, das nicht irgend eine enge Beziehung zum Mittel¬
meer hätte. Sowohl die alten mitteleuropäischen als die orientalischen Pro¬
bleme sind südwärts gewandert.

Von allen Großmächten Europas ist nun Deutschland die einzige am
Mittelmeer territorial unbeteiligte. Das giebt ihm, obgleich Italien im Drei¬
bunde steht, eine ganz eigne, freie Stellung. Sein Mittelmeer ist die Ostsee,
deren ganze geschichtliche Wirkung allerdings an das Mittelmeer Südeuropas
erinnert. Überlassen wir unsern Dichtern und Künstlern die Klage, daß uns
nicht die Sonne so hell scheint und der Himmel so blau über uns steht, und
das Heimweh nach den Ländern der Lorbeern und Hesperidenfrüchte. Wer
politisch denken kann, wird sich nur freuen, daß sein Land nur mittelbare
Interessen in einem so stürmeschwangern Gebiete zu vertreten hat. Für Deutsch¬
land ist das Mittelmeer samt dem Suezkanal die große Straße aus dem Atlan¬
tischen in den Indischen Ozean, an deren Offenhaltung es ebenso sehr inter-
esstrt ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Holland oder in Zukunft
Japan. Für seine Handelsflotte ist es ein Schiffahrtsgebiet von wachsender
Bedeutung, aber im Vergleich mit der Ost- und Nordsee untergeordnet; für
seine Industrie ein wichtiges Absatzgebiet, dessen Aufnahmefähigkeit aber nicht
überschätzt werden darf, da die einseitige Produktion der Mittelmeerländer nur


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/211>, abgerufen am 22.07.2024.