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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Veto Ludwigs gesammelte Schriften

diesen beiden Bünden dient ein zwei Bogen umfassender, eingehender "Vor¬
bericht" Adolf Sterns, der namentlich eine scharfsinnige Beurteilung der
"Shakespearestudien" enthält. Mit warmen Worten charakterisirt und be¬
gründet der Herausgeber die Bedeutung dieser "durch schlichte Größe, gewal¬
tigen Wahrheitsdrang und Reinheit der künstlerischen Absichten" in gleicher
Weise ausgezeichneten kritischen Aufsätze, denen der kranke Dichter seine letzten,
kostbaren Jahre geopfert hat, aber er verschließt seine Augen auch nicht vor
der bittern Wahrheit, daß Ludwig eben durch diese Arbeiten, die doch auf
Kosten seines eignen Gestaltungstriebes entstanden sind, immer mehr einer
krankhaften, grüblerischen Reflexionssucht anheimfiel, die ihn selbst verhängnis¬
voll isolirte. Die "Shakespearestudien," so hoch auch ihr Wert für das Ver¬
ständnis des großen Briten, für die Reinigung und Klärung unsrer modernen
Knnstanschaunngen sein mag, so sehr sie auch die Einsicht in das Wesen
des Dramas und jedes echten dramatischen Künstlers fördern mögen,
wurden doch für Ludwigs Geist zu einer Art von schleichender Schwind¬
sucht, die schließlich neben der ewig nagenden Krankheit des Körpers die
urwüchsige Kraft seines Geistes allmählich brach. In dieser Erkenntnis
scheidet sich Sterns Auffassung von der seines Vorgängers Heydrich, der in
den "Shakespearestudien," deren mächtiger Zauber ihn als treue", miterlebenden
Freund völlig gefangen genommen hatte, die "letzte, kühn aufstrebende Periode
des Dichters" sah und sie Pries als "den direktesten und förderndsten Weg
zum Ziel," den Ludwig eingeschlagen habe.

Über die "Shakespearestudien" selbst wie über die übrigen ästhetischen
Arbeiten Ludwigs ein ausführliches Urteil zu fällen, ist hier nicht der Ort.
Ich würde auch nicht den Mut dazu haben; sondern ich kann nnr bezeugen,
daß mich beim Lesen dieser beiden letzten Bände oft ein Schauer der Ehrfurcht
vor der Schärfe und Tiefe des Ludwigschen Geistes ergriffen hat.

Blicken wir noch einmal auf die stattliche sechsbändige Ausgabe als
Ganzes zurück, so müssen wir gestehen: sie ist ein stolzes Werk deutschen
Geistes und deutscher Pietät, für das den beiden Herausgebern wie dem opfer¬
willigen Verleger vollster und aufrichtigster Dank gebührt. Ist auch zur Zeit
die Hoffnung nur gering, daß die Anschauung, aus der heraus dieses litte¬
rarische Denkmal errichtet worden ist, in den sogenannten "weitern" Kreisen
herrschend werde, so kann doch die Tiefe und Fülle einer so starken, rein
deutschen Künstlernatur, wie es Ludwig war, zuletzt nicht ohne Wirkung
bleiben. Die Ausgabe samt der Biographie läßt Gestalt und Wesen des
Dichters zum erstenmale ganz und nach allen Richtungen deutlich erkennen,,
und ich zweifle nicht, daß die Werke Otto Ludwigs, wenn sie erst mehr ge¬
lesen würden, bald allgemeine Bewunderung erwecken würden. Mit der neuen
Sammlung ist wenigstens die Möglichkeit dazu gegeben. Für immer aber
werden die schönen Worte gelten, die Ludwig seinem treuen Freunde Eduard


Grenzboten IV 189ö 24
Veto Ludwigs gesammelte Schriften

diesen beiden Bünden dient ein zwei Bogen umfassender, eingehender „Vor¬
bericht" Adolf Sterns, der namentlich eine scharfsinnige Beurteilung der
„Shakespearestudien" enthält. Mit warmen Worten charakterisirt und be¬
gründet der Herausgeber die Bedeutung dieser „durch schlichte Größe, gewal¬
tigen Wahrheitsdrang und Reinheit der künstlerischen Absichten" in gleicher
Weise ausgezeichneten kritischen Aufsätze, denen der kranke Dichter seine letzten,
kostbaren Jahre geopfert hat, aber er verschließt seine Augen auch nicht vor
der bittern Wahrheit, daß Ludwig eben durch diese Arbeiten, die doch auf
Kosten seines eignen Gestaltungstriebes entstanden sind, immer mehr einer
krankhaften, grüblerischen Reflexionssucht anheimfiel, die ihn selbst verhängnis¬
voll isolirte. Die „Shakespearestudien," so hoch auch ihr Wert für das Ver¬
ständnis des großen Briten, für die Reinigung und Klärung unsrer modernen
Knnstanschaunngen sein mag, so sehr sie auch die Einsicht in das Wesen
des Dramas und jedes echten dramatischen Künstlers fördern mögen,
wurden doch für Ludwigs Geist zu einer Art von schleichender Schwind¬
sucht, die schließlich neben der ewig nagenden Krankheit des Körpers die
urwüchsige Kraft seines Geistes allmählich brach. In dieser Erkenntnis
scheidet sich Sterns Auffassung von der seines Vorgängers Heydrich, der in
den „Shakespearestudien," deren mächtiger Zauber ihn als treue», miterlebenden
Freund völlig gefangen genommen hatte, die „letzte, kühn aufstrebende Periode
des Dichters" sah und sie Pries als „den direktesten und förderndsten Weg
zum Ziel," den Ludwig eingeschlagen habe.

Über die „Shakespearestudien" selbst wie über die übrigen ästhetischen
Arbeiten Ludwigs ein ausführliches Urteil zu fällen, ist hier nicht der Ort.
Ich würde auch nicht den Mut dazu haben; sondern ich kann nnr bezeugen,
daß mich beim Lesen dieser beiden letzten Bände oft ein Schauer der Ehrfurcht
vor der Schärfe und Tiefe des Ludwigschen Geistes ergriffen hat.

Blicken wir noch einmal auf die stattliche sechsbändige Ausgabe als
Ganzes zurück, so müssen wir gestehen: sie ist ein stolzes Werk deutschen
Geistes und deutscher Pietät, für das den beiden Herausgebern wie dem opfer¬
willigen Verleger vollster und aufrichtigster Dank gebührt. Ist auch zur Zeit
die Hoffnung nur gering, daß die Anschauung, aus der heraus dieses litte¬
rarische Denkmal errichtet worden ist, in den sogenannten „weitern" Kreisen
herrschend werde, so kann doch die Tiefe und Fülle einer so starken, rein
deutschen Künstlernatur, wie es Ludwig war, zuletzt nicht ohne Wirkung
bleiben. Die Ausgabe samt der Biographie läßt Gestalt und Wesen des
Dichters zum erstenmale ganz und nach allen Richtungen deutlich erkennen,,
und ich zweifle nicht, daß die Werke Otto Ludwigs, wenn sie erst mehr ge¬
lesen würden, bald allgemeine Bewunderung erwecken würden. Mit der neuen
Sammlung ist wenigstens die Möglichkeit dazu gegeben. Für immer aber
werden die schönen Worte gelten, die Ludwig seinem treuen Freunde Eduard


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/193>, abgerufen am 22.07.2024.