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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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weder Rominuuismus noch Kapitalismus

Volke dus Verhältnis zwischen ihn, als Ganzem und dem Boden zu verschleiern,
so ist doch jener gesunde Jnstikt, der jeden einzelnen nach Grundbesitz verlange"
läßt, noch nicht ausgerottet worden. Das rittcrschaftliche Mecklenburg, Pommern
und andre ostelbische Gegenden Preußens entvölkern sich darum, weil dort
dem Sohne des kleinen Mannes die Möglichkeit abgeschnitten ist, ein Gütchen
zu erwerben. Der reiche Kaufmann hält sich nicht eher für geborgen, als bis
er einen Teil seines Vermögens in Grundbesitz angelegt hat. Dem hervor¬
ragenden Künstler schwebt die eigne Villa als Lebensziel vor, und der Börsen¬
jobber schwingt sich zum Grandseigueur empor, indem er die Grundlage aller
irdischen Herrlichkeit, Land und Leute kauft; Land und Leute, sagen wir, denn
mag auch die Sklaverei auf dem Papier zehnmal abgeschafft sein -- wer das
Land hat, der hat in einem übervölkerten Lande auch die Leute zu eigen. Und
sehen wir ein wenig nach, was so ein großer Herr braucht zur Entfaltung
seiner Persönlichkeit! Nicht ein Schloß, sondern mehrere Schlösser, die er
nach seinem Geschmack einrichten und mit Kunstwerken schmücken läßt; Gärten
und Parks; Rinderherden und Ställe voll edler Pferde, Wirtschaftshöfe und
Fasanerien, Scharen von Arbeitern, die allmorgentlich teils auf seiue Acker
ziehe", teils in seine Brennereien und Zuckerfabriken, um dort bei dreißig
Grad Hitze, abwechselnd von früh um sechs bis abends um sechs und von
abends sechs Uhr bis morgens sechs Uhr, mit einstündiger Pause, sonst ohne
Atem zu schöpfen für ihn zu schaffe"; Parkwege, auf denen er stundenlang
spazieren fahren und seinen Besuchern, nach rechts und links hinweisend, sagen
kann: das alles gehört mir; Wald-und Wiesengründe, in denen er, ans flüch¬
tigem Neuiier dahinjagend, den Hirsch, das Wildschwein erlegen, den Fuchs
Hetzen kauu, ohne daß irgend jemand ihm Halt gebieten dürfte. Wir wollen
nicht fragen, ob wirklich der Geist jedes großen Herrn so riesengroß, und der
Geist jedes Ackerhäuslers so zwergenklein sei, daß dadurch der gewaltige Größen-
unterschied ihrer Herrschafts- und Thätigkeitsgebiete gerechtfertigt wäre. Denn
wir sind keine Kommunisten; wir halten die ungleiche Verteilung der Glücks¬
güter, und daß sie eben mehr nach Glück als nach Verdienst und Fähigkeit
verteilt werden, für gut und notwendig, und wir erwarten als gläubige Christe"
die Herstellung der Gerechtigkeit im Je"seits. Aber eüies müssen wir frage":
wenn so ein gewaltiges Herrschaftsgebiet z"in vollen Menschenleben gehört,
ist dann ein Geschöpf, das nicht einen Zollbreit eignes Gebiet besitzt, über¬
haupt noch ein Mensch? Ist ein Geschöpf, dem während seiner Arbeitszeit ein
fünf Kubikfuß großes Eckche" in einer Fabrik und für seine Ruhe ein Hunde-
loch zur Verfügung steht, solange er nicht von der Willkür des Besitzers aus
einem der beiden Löcher oder aus beiden hinausgeworfen wird, ist so ein
Geschöpf noch ein Mensch?

Es kann nicht oft genng wiederholt werden, daß ein Volk unglücklich wird,
sobald die Zahl seiner Jndnstriebevölternng größer wird als die der ländlichen.


weder Rominuuismus noch Kapitalismus

Volke dus Verhältnis zwischen ihn, als Ganzem und dem Boden zu verschleiern,
so ist doch jener gesunde Jnstikt, der jeden einzelnen nach Grundbesitz verlange»
läßt, noch nicht ausgerottet worden. Das rittcrschaftliche Mecklenburg, Pommern
und andre ostelbische Gegenden Preußens entvölkern sich darum, weil dort
dem Sohne des kleinen Mannes die Möglichkeit abgeschnitten ist, ein Gütchen
zu erwerben. Der reiche Kaufmann hält sich nicht eher für geborgen, als bis
er einen Teil seines Vermögens in Grundbesitz angelegt hat. Dem hervor¬
ragenden Künstler schwebt die eigne Villa als Lebensziel vor, und der Börsen¬
jobber schwingt sich zum Grandseigueur empor, indem er die Grundlage aller
irdischen Herrlichkeit, Land und Leute kauft; Land und Leute, sagen wir, denn
mag auch die Sklaverei auf dem Papier zehnmal abgeschafft sein — wer das
Land hat, der hat in einem übervölkerten Lande auch die Leute zu eigen. Und
sehen wir ein wenig nach, was so ein großer Herr braucht zur Entfaltung
seiner Persönlichkeit! Nicht ein Schloß, sondern mehrere Schlösser, die er
nach seinem Geschmack einrichten und mit Kunstwerken schmücken läßt; Gärten
und Parks; Rinderherden und Ställe voll edler Pferde, Wirtschaftshöfe und
Fasanerien, Scharen von Arbeitern, die allmorgentlich teils auf seiue Acker
ziehe», teils in seine Brennereien und Zuckerfabriken, um dort bei dreißig
Grad Hitze, abwechselnd von früh um sechs bis abends um sechs und von
abends sechs Uhr bis morgens sechs Uhr, mit einstündiger Pause, sonst ohne
Atem zu schöpfen für ihn zu schaffe»; Parkwege, auf denen er stundenlang
spazieren fahren und seinen Besuchern, nach rechts und links hinweisend, sagen
kann: das alles gehört mir; Wald-und Wiesengründe, in denen er, ans flüch¬
tigem Neuiier dahinjagend, den Hirsch, das Wildschwein erlegen, den Fuchs
Hetzen kauu, ohne daß irgend jemand ihm Halt gebieten dürfte. Wir wollen
nicht fragen, ob wirklich der Geist jedes großen Herrn so riesengroß, und der
Geist jedes Ackerhäuslers so zwergenklein sei, daß dadurch der gewaltige Größen-
unterschied ihrer Herrschafts- und Thätigkeitsgebiete gerechtfertigt wäre. Denn
wir sind keine Kommunisten; wir halten die ungleiche Verteilung der Glücks¬
güter, und daß sie eben mehr nach Glück als nach Verdienst und Fähigkeit
verteilt werden, für gut und notwendig, und wir erwarten als gläubige Christe»
die Herstellung der Gerechtigkeit im Je»seits. Aber eüies müssen wir frage»:
wenn so ein gewaltiges Herrschaftsgebiet z»in vollen Menschenleben gehört,
ist dann ein Geschöpf, das nicht einen Zollbreit eignes Gebiet besitzt, über¬
haupt noch ein Mensch? Ist ein Geschöpf, dem während seiner Arbeitszeit ein
fünf Kubikfuß großes Eckche» in einer Fabrik und für seine Ruhe ein Hunde-
loch zur Verfügung steht, solange er nicht von der Willkür des Besitzers aus
einem der beiden Löcher oder aus beiden hinausgeworfen wird, ist so ein
Geschöpf noch ein Mensch?

Es kann nicht oft genng wiederholt werden, daß ein Volk unglücklich wird,
sobald die Zahl seiner Jndnstriebevölternng größer wird als die der ländlichen.


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[0178] weder Rominuuismus noch Kapitalismus Volke dus Verhältnis zwischen ihn, als Ganzem und dem Boden zu verschleiern, so ist doch jener gesunde Jnstikt, der jeden einzelnen nach Grundbesitz verlange» läßt, noch nicht ausgerottet worden. Das rittcrschaftliche Mecklenburg, Pommern und andre ostelbische Gegenden Preußens entvölkern sich darum, weil dort dem Sohne des kleinen Mannes die Möglichkeit abgeschnitten ist, ein Gütchen zu erwerben. Der reiche Kaufmann hält sich nicht eher für geborgen, als bis er einen Teil seines Vermögens in Grundbesitz angelegt hat. Dem hervor¬ ragenden Künstler schwebt die eigne Villa als Lebensziel vor, und der Börsen¬ jobber schwingt sich zum Grandseigueur empor, indem er die Grundlage aller irdischen Herrlichkeit, Land und Leute kauft; Land und Leute, sagen wir, denn mag auch die Sklaverei auf dem Papier zehnmal abgeschafft sein — wer das Land hat, der hat in einem übervölkerten Lande auch die Leute zu eigen. Und sehen wir ein wenig nach, was so ein großer Herr braucht zur Entfaltung seiner Persönlichkeit! Nicht ein Schloß, sondern mehrere Schlösser, die er nach seinem Geschmack einrichten und mit Kunstwerken schmücken läßt; Gärten und Parks; Rinderherden und Ställe voll edler Pferde, Wirtschaftshöfe und Fasanerien, Scharen von Arbeitern, die allmorgentlich teils auf seiue Acker ziehe», teils in seine Brennereien und Zuckerfabriken, um dort bei dreißig Grad Hitze, abwechselnd von früh um sechs bis abends um sechs und von abends sechs Uhr bis morgens sechs Uhr, mit einstündiger Pause, sonst ohne Atem zu schöpfen für ihn zu schaffe»; Parkwege, auf denen er stundenlang spazieren fahren und seinen Besuchern, nach rechts und links hinweisend, sagen kann: das alles gehört mir; Wald-und Wiesengründe, in denen er, ans flüch¬ tigem Neuiier dahinjagend, den Hirsch, das Wildschwein erlegen, den Fuchs Hetzen kauu, ohne daß irgend jemand ihm Halt gebieten dürfte. Wir wollen nicht fragen, ob wirklich der Geist jedes großen Herrn so riesengroß, und der Geist jedes Ackerhäuslers so zwergenklein sei, daß dadurch der gewaltige Größen- unterschied ihrer Herrschafts- und Thätigkeitsgebiete gerechtfertigt wäre. Denn wir sind keine Kommunisten; wir halten die ungleiche Verteilung der Glücks¬ güter, und daß sie eben mehr nach Glück als nach Verdienst und Fähigkeit verteilt werden, für gut und notwendig, und wir erwarten als gläubige Christe» die Herstellung der Gerechtigkeit im Je»seits. Aber eüies müssen wir frage»: wenn so ein gewaltiges Herrschaftsgebiet z»in vollen Menschenleben gehört, ist dann ein Geschöpf, das nicht einen Zollbreit eignes Gebiet besitzt, über¬ haupt noch ein Mensch? Ist ein Geschöpf, dem während seiner Arbeitszeit ein fünf Kubikfuß großes Eckche» in einer Fabrik und für seine Ruhe ein Hunde- loch zur Verfügung steht, solange er nicht von der Willkür des Besitzers aus einem der beiden Löcher oder aus beiden hinausgeworfen wird, ist so ein Geschöpf noch ein Mensch? Es kann nicht oft genng wiederholt werden, daß ein Volk unglücklich wird, sobald die Zahl seiner Jndnstriebevölternng größer wird als die der ländlichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/178>, abgerufen am 04.07.2024.