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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Iveder Kommunismus "och Kapitalismus -

in Deutschland keine Entartung; im Gegenteil, sie ist eine Schule physischer
Kraft und guter Ordnung, zugleich aber auch eine Verschmelzung der Stunde,
die die niedern emporhebt, indem sie den Stolz der höher" mindert. Diese
Vorteile von großem Wert konnte England auch erwerben, wenn es mit
einigen Abänderungen das preußische Wehrsystem annähme." Diese vernünf¬
tigen Gedanken sind längst wieder in dem Trubel der Parteikämpfe vergessen
worden. Wie die Sachen gegenwärtig liegen, wird Großbritannien freiwillig
die allgemeine Wehrpflicht nicht einführen, sondern sich nur durch schwere
innere oder äußere Niederlagen dazu zwingen lassen, für die aber die Vor¬
zeichen schon sämtlich vorhanden sind. Wir sind überzeugt, daß sich 016
Rug'liwä uach bittern Erfahrungen, die es sich nicht ersparen will, bald auf¬
raffen und mittels seiner "unerschöpflichen" Hilfsmittel sein Heerwesen rasch
und gründlich umgestalten wird. Aber erst damit wird es in die Reihe der
übrigen europäischen Mächte wieder mit dem Gewicht eintreten, das ihm nach
Geschichte und Bedeutung gebührt. Die allgemeine Wehrpflicht aber, die von
Deutschland ausgegangen ist, wird dann für Europa ihren Kreislauf ge¬
schlossen haben.




Weder Kommunismus noch Kapitalismus

Z-?iM as unter diesem Titel in dem Verlage der Grenzboten erschienene
Ruch hat in einer laugen Reihe von Blättern die günstigste Be¬
urteilung erfahren. Daß sich die "freisinnige" Presse, soweit
wir sie haben verfolgen können, an dieser anerkennenden Kritik
bisher nicht beteiligt hat -- nnr in einer freisinnige" Zeitung
zweiten Naiiges habe" wir eine kurze lobende Anzeige gefunden --, ist so er¬
klärlich wie betrübend. Erklärlich deswegen, weil keine andre Partei zu solcher
ängstlichen Engherzigkeit verschrumpft und für neue Ideen so unzugänglich ist
wie sie, die alle ihre schönen Namen: liberal, demokratisch, fortschrittlich, frei¬
sinnig, wie Won8 -r non luMmlo trägt. Sie verführt ein endloses Freiheits¬
geschwätz, aber wenn einer fordert: nun thut auch einmal etwas für die Frei¬
heit! thut den ersten notwendigen Schritt, der darin bestehen muß, daß ihr
den durch eure hochgepriesene moderne Entwicklung geschaffne" Sklaven ihr
Joch erleichtert! -- wenn einer so spricht, dann hören die Herren falsch und
schreien, man wolle das Mittelalter zurückführe". Sie fordern das allgemeine
gleiche Wahlrecht auch für die Landtage, aber nur in Zeiten, wo die grund¬
sätzliche" Gegner dieses Rechts im Abgeordnete"hause so stark sind, daß jeder


Iveder Kommunismus »och Kapitalismus -

in Deutschland keine Entartung; im Gegenteil, sie ist eine Schule physischer
Kraft und guter Ordnung, zugleich aber auch eine Verschmelzung der Stunde,
die die niedern emporhebt, indem sie den Stolz der höher» mindert. Diese
Vorteile von großem Wert konnte England auch erwerben, wenn es mit
einigen Abänderungen das preußische Wehrsystem annähme." Diese vernünf¬
tigen Gedanken sind längst wieder in dem Trubel der Parteikämpfe vergessen
worden. Wie die Sachen gegenwärtig liegen, wird Großbritannien freiwillig
die allgemeine Wehrpflicht nicht einführen, sondern sich nur durch schwere
innere oder äußere Niederlagen dazu zwingen lassen, für die aber die Vor¬
zeichen schon sämtlich vorhanden sind. Wir sind überzeugt, daß sich 016
Rug'liwä uach bittern Erfahrungen, die es sich nicht ersparen will, bald auf¬
raffen und mittels seiner „unerschöpflichen" Hilfsmittel sein Heerwesen rasch
und gründlich umgestalten wird. Aber erst damit wird es in die Reihe der
übrigen europäischen Mächte wieder mit dem Gewicht eintreten, das ihm nach
Geschichte und Bedeutung gebührt. Die allgemeine Wehrpflicht aber, die von
Deutschland ausgegangen ist, wird dann für Europa ihren Kreislauf ge¬
schlossen haben.




Weder Kommunismus noch Kapitalismus

Z-?iM as unter diesem Titel in dem Verlage der Grenzboten erschienene
Ruch hat in einer laugen Reihe von Blättern die günstigste Be¬
urteilung erfahren. Daß sich die „freisinnige" Presse, soweit
wir sie haben verfolgen können, an dieser anerkennenden Kritik
bisher nicht beteiligt hat — nnr in einer freisinnige» Zeitung
zweiten Naiiges habe» wir eine kurze lobende Anzeige gefunden —, ist so er¬
klärlich wie betrübend. Erklärlich deswegen, weil keine andre Partei zu solcher
ängstlichen Engherzigkeit verschrumpft und für neue Ideen so unzugänglich ist
wie sie, die alle ihre schönen Namen: liberal, demokratisch, fortschrittlich, frei¬
sinnig, wie Won8 -r non luMmlo trägt. Sie verführt ein endloses Freiheits¬
geschwätz, aber wenn einer fordert: nun thut auch einmal etwas für die Frei¬
heit! thut den ersten notwendigen Schritt, der darin bestehen muß, daß ihr
den durch eure hochgepriesene moderne Entwicklung geschaffne» Sklaven ihr
Joch erleichtert! — wenn einer so spricht, dann hören die Herren falsch und
schreien, man wolle das Mittelalter zurückführe». Sie fordern das allgemeine
gleiche Wahlrecht auch für die Landtage, aber nur in Zeiten, wo die grund¬
sätzliche» Gegner dieses Rechts im Abgeordnete»hause so stark sind, daß jeder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/171>, abgerufen am 25.07.2024.