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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten

nur aus äußern Gründen vorgegeben war," ereifert. Denn sehr mit Unrecht
traut er den "Uuterrichtstyrannen" zu, daß sie von ihren Schülern verlangten,
sämtliche Thatsachen, "die in einem dreibändigen Kompendium der Weltgeschichte
stehen," am Schlüsse der Gymnasialzeit "frei und innerlich zu beherrschen."
Zu so seltsamer Ansicht geben wohl die großen Worte Anlaß, die gelegentlich
in der didaktischen Litteratur erklingen; sie sind aber nie so schlimm gemeint,
wie sie klingen. Wie es in der Praxis steht, ist z. B. aus deu Schriften
Oskar Jägers, eines unsrer bekanntesten Pädagogen, zu ersehen, auf die ich
hier einfach verweise. Namentlich auch das ergiebt sich aus ihnen, daß den
"Unterrichtstyrannen" doch mit Unrecht vorgeworfen wird, sie trieben Aller-
weltsgeschichte. Lorenz kann also glauben -- bei dem "bewährten Geschick der
deutschen Lehrerschaft," wie er selbst sagt --> daß der Begriff "epochemachende
Begebenheiten der Weltgeschichte" an den meisten Schulen mit der nötigen
Rücksicht auf die dazu eingeräumte Zeit aufgefaßt wird, daß also der Abiturient
die "Weltgeschichte von Moses bis zu Kaiser Wilhelm" nur mit sehr großen
Lücken kennt, namentlich was Schlachten, Friedensbestimmungen, Erbverbrüde-
rungen, Stammbäume u. tgi. in der außerdeutschen Geschichte betrifft. Er¬
wähnt wird ja vieles davon im Unterricht, aber es gehört nicht zum Lern¬
stoff, der ganz genau vom Lehrstoff zu scheiden ist, wenn kein arges Mi߬
verhältnis zwischen Gelehrten und Erlernten entstehen soll.^) So verlange
ich denn von einem Oberprimaner nicht viele Zahlen und Namen, wohl aber
muß er mir mit Verständnis auf Fragen antworten können , wie: Welches
sind die bleibende,, Errungenschaften der französischen Revolution? Was lehrt
uns diese Revolution in Bezug auf die Art und Weise der Durchführung von
nötigen Reformen? Weshalb unterlag Preußens Heer dem französischen 1806?
Wodurch unterscheiden sich die französische Volkserhebung 178!) und die preu¬
ßische 18As? und ähnliche.

Somit glaube ich, daß man durchaus nicht berechtigt ist, von "erlognem
Besitz" zu sprechen, und wem, in München (wie Lorenz mit Befremden her¬
vorhebt) die Stimmung vorherrschend die der Zufriedenheit mit dem Be¬
stehenden war, so weiß ich mir für meine Person das sehr wohl zu erklären.
Die künftige Historikerversammlung in Leipzig braucht sich auch gar nicht über
die Frage schlüssig zu macheu, ob sie die alte oder die neue Geschichte für den
Unterricht vorziehen soll. Alte wie neue Geschichte kann meiner Ansicht nach
ganz in der jetzt für Preußen vorgeschriebnen Weise behandelt werden, wenn
nur der andre Unterricht den in der Geschichte gehörig unterstützt und die
durchaus nötigen gruppirenden Gesamtwiederholnngeu nach leitenden Gesichts-



Ohne mich einer Anmaszung schuldig zu machen, darf ich hier wohl auf mein -- binnen
kurzem in zweiter Auflage bei Weidmann in Berlin erscheinendes -- Hilfsbuch für geschicht¬
liche Wiederholungen hinweisen, worin sich auf etwa achtzig Seilen der gesamte, sorgfältig
ausgewählte Lernstoff, für untere und obere Stufen geschieden, findet.
Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten

nur aus äußern Gründen vorgegeben war," ereifert. Denn sehr mit Unrecht
traut er den „Uuterrichtstyrannen" zu, daß sie von ihren Schülern verlangten,
sämtliche Thatsachen, „die in einem dreibändigen Kompendium der Weltgeschichte
stehen," am Schlüsse der Gymnasialzeit „frei und innerlich zu beherrschen."
Zu so seltsamer Ansicht geben wohl die großen Worte Anlaß, die gelegentlich
in der didaktischen Litteratur erklingen; sie sind aber nie so schlimm gemeint,
wie sie klingen. Wie es in der Praxis steht, ist z. B. aus deu Schriften
Oskar Jägers, eines unsrer bekanntesten Pädagogen, zu ersehen, auf die ich
hier einfach verweise. Namentlich auch das ergiebt sich aus ihnen, daß den
„Unterrichtstyrannen" doch mit Unrecht vorgeworfen wird, sie trieben Aller-
weltsgeschichte. Lorenz kann also glauben — bei dem „bewährten Geschick der
deutschen Lehrerschaft," wie er selbst sagt —> daß der Begriff „epochemachende
Begebenheiten der Weltgeschichte" an den meisten Schulen mit der nötigen
Rücksicht auf die dazu eingeräumte Zeit aufgefaßt wird, daß also der Abiturient
die „Weltgeschichte von Moses bis zu Kaiser Wilhelm" nur mit sehr großen
Lücken kennt, namentlich was Schlachten, Friedensbestimmungen, Erbverbrüde-
rungen, Stammbäume u. tgi. in der außerdeutschen Geschichte betrifft. Er¬
wähnt wird ja vieles davon im Unterricht, aber es gehört nicht zum Lern¬
stoff, der ganz genau vom Lehrstoff zu scheiden ist, wenn kein arges Mi߬
verhältnis zwischen Gelehrten und Erlernten entstehen soll.^) So verlange
ich denn von einem Oberprimaner nicht viele Zahlen und Namen, wohl aber
muß er mir mit Verständnis auf Fragen antworten können , wie: Welches
sind die bleibende,, Errungenschaften der französischen Revolution? Was lehrt
uns diese Revolution in Bezug auf die Art und Weise der Durchführung von
nötigen Reformen? Weshalb unterlag Preußens Heer dem französischen 1806?
Wodurch unterscheiden sich die französische Volkserhebung 178!) und die preu¬
ßische 18As? und ähnliche.

Somit glaube ich, daß man durchaus nicht berechtigt ist, von „erlognem
Besitz" zu sprechen, und wem, in München (wie Lorenz mit Befremden her¬
vorhebt) die Stimmung vorherrschend die der Zufriedenheit mit dem Be¬
stehenden war, so weiß ich mir für meine Person das sehr wohl zu erklären.
Die künftige Historikerversammlung in Leipzig braucht sich auch gar nicht über
die Frage schlüssig zu macheu, ob sie die alte oder die neue Geschichte für den
Unterricht vorziehen soll. Alte wie neue Geschichte kann meiner Ansicht nach
ganz in der jetzt für Preußen vorgeschriebnen Weise behandelt werden, wenn
nur der andre Unterricht den in der Geschichte gehörig unterstützt und die
durchaus nötigen gruppirenden Gesamtwiederholnngeu nach leitenden Gesichts-



Ohne mich einer Anmaszung schuldig zu machen, darf ich hier wohl auf mein — binnen
kurzem in zweiter Auflage bei Weidmann in Berlin erscheinendes — Hilfsbuch für geschicht¬
liche Wiederholungen hinweisen, worin sich auf etwa achtzig Seilen der gesamte, sorgfältig
ausgewählte Lernstoff, für untere und obere Stufen geschieden, findet.
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[0135] Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten nur aus äußern Gründen vorgegeben war," ereifert. Denn sehr mit Unrecht traut er den „Uuterrichtstyrannen" zu, daß sie von ihren Schülern verlangten, sämtliche Thatsachen, „die in einem dreibändigen Kompendium der Weltgeschichte stehen," am Schlüsse der Gymnasialzeit „frei und innerlich zu beherrschen." Zu so seltsamer Ansicht geben wohl die großen Worte Anlaß, die gelegentlich in der didaktischen Litteratur erklingen; sie sind aber nie so schlimm gemeint, wie sie klingen. Wie es in der Praxis steht, ist z. B. aus deu Schriften Oskar Jägers, eines unsrer bekanntesten Pädagogen, zu ersehen, auf die ich hier einfach verweise. Namentlich auch das ergiebt sich aus ihnen, daß den „Unterrichtstyrannen" doch mit Unrecht vorgeworfen wird, sie trieben Aller- weltsgeschichte. Lorenz kann also glauben — bei dem „bewährten Geschick der deutschen Lehrerschaft," wie er selbst sagt —> daß der Begriff „epochemachende Begebenheiten der Weltgeschichte" an den meisten Schulen mit der nötigen Rücksicht auf die dazu eingeräumte Zeit aufgefaßt wird, daß also der Abiturient die „Weltgeschichte von Moses bis zu Kaiser Wilhelm" nur mit sehr großen Lücken kennt, namentlich was Schlachten, Friedensbestimmungen, Erbverbrüde- rungen, Stammbäume u. tgi. in der außerdeutschen Geschichte betrifft. Er¬ wähnt wird ja vieles davon im Unterricht, aber es gehört nicht zum Lern¬ stoff, der ganz genau vom Lehrstoff zu scheiden ist, wenn kein arges Mi߬ verhältnis zwischen Gelehrten und Erlernten entstehen soll.^) So verlange ich denn von einem Oberprimaner nicht viele Zahlen und Namen, wohl aber muß er mir mit Verständnis auf Fragen antworten können , wie: Welches sind die bleibende,, Errungenschaften der französischen Revolution? Was lehrt uns diese Revolution in Bezug auf die Art und Weise der Durchführung von nötigen Reformen? Weshalb unterlag Preußens Heer dem französischen 1806? Wodurch unterscheiden sich die französische Volkserhebung 178!) und die preu¬ ßische 18As? und ähnliche. Somit glaube ich, daß man durchaus nicht berechtigt ist, von „erlognem Besitz" zu sprechen, und wem, in München (wie Lorenz mit Befremden her¬ vorhebt) die Stimmung vorherrschend die der Zufriedenheit mit dem Be¬ stehenden war, so weiß ich mir für meine Person das sehr wohl zu erklären. Die künftige Historikerversammlung in Leipzig braucht sich auch gar nicht über die Frage schlüssig zu macheu, ob sie die alte oder die neue Geschichte für den Unterricht vorziehen soll. Alte wie neue Geschichte kann meiner Ansicht nach ganz in der jetzt für Preußen vorgeschriebnen Weise behandelt werden, wenn nur der andre Unterricht den in der Geschichte gehörig unterstützt und die durchaus nötigen gruppirenden Gesamtwiederholnngeu nach leitenden Gesichts- Ohne mich einer Anmaszung schuldig zu machen, darf ich hier wohl auf mein — binnen kurzem in zweiter Auflage bei Weidmann in Berlin erscheinendes — Hilfsbuch für geschicht¬ liche Wiederholungen hinweisen, worin sich auf etwa achtzig Seilen der gesamte, sorgfältig ausgewählte Lernstoff, für untere und obere Stufen geschieden, findet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/135>, abgerufen am 22.07.2024.