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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Lage

egimien wir mit einem Rückblick. In Preußen haben sich vor
1866 Regierung und Volk oft darüber beklagt, daß man um
der schlechten geographischen Gestalt des Landes willen und zum
Schutze des deutschen Volkes eine übermäßig schwere Waffen¬
rüstung tragen müsse, und die Einigung Deutschlands wurde
u. a. auch darum erstrebt, weil man davon in dieser Beziehung Erleichterung
hoffte. Nach 1870 ist nun die Last der Preußen nicht leichter und die der
Süddeutschen schwerer geworden. Kein Wunder, daß diese Enttäuschung und
der nicht bloß fortdauernde, sondern zunehmende Druck Mißstimmung erzeugt,
und daß diese Mißstimmung mit jeder Militärvorlage steigt. Diese Mi߬
stimmung auf Hetzerei zurückführen und den schwer lastenden Druck leugnen,
wäre ein staatsgefährliches und unpatriotisches Beginnen. Die Redensart,
daß eine Mark auf den Kopf doch wahrlich nicht zu viel sei, wenn man da¬
mit den Kosaken abhalten könne, der an der Grenze lauere, um die letzte
Kuh zu holen, die Weiber zu schänden und die Kinder zu spießen, ist eine
Albernheit. Erstens bedeutet diese eine Mark auf den Kopf fünf Mark auf
die Familie, und hat eine Familie ohnehin nicht so viel, als sie zum Leben
braucht, daun empfindet sie es schmerzlich, wenn durch indirekte Steuern die
karge Gütermenge, die sie sich zu erwerben vermag, um den Wert von weitern
fünf Mark vermindert wird. Zweitens bildet die Militärverwaltung bloß
einen unter vielen Verwaltungszweigen, und das Sparen in den übrigen zu
Gunsten des Militärs erzeugt hie und da die unwürdigsten und unerträglichsten
Zustände. Soll diesen abgeholfen und soll dabei auch noch den Bedürfnissen
der Provinzen, Kreise und Gemeinden Rechnung getragen werden, so kann
leicht aus der fünf eine fünfzig werden. Drittens kommen zu den fünfzig bis
sechzig Millionen, um die der gewöhnliche Etat erhöht wird, viele außer-


Grenzboten III 1893 1


Zur Lage

egimien wir mit einem Rückblick. In Preußen haben sich vor
1866 Regierung und Volk oft darüber beklagt, daß man um
der schlechten geographischen Gestalt des Landes willen und zum
Schutze des deutschen Volkes eine übermäßig schwere Waffen¬
rüstung tragen müsse, und die Einigung Deutschlands wurde
u. a. auch darum erstrebt, weil man davon in dieser Beziehung Erleichterung
hoffte. Nach 1870 ist nun die Last der Preußen nicht leichter und die der
Süddeutschen schwerer geworden. Kein Wunder, daß diese Enttäuschung und
der nicht bloß fortdauernde, sondern zunehmende Druck Mißstimmung erzeugt,
und daß diese Mißstimmung mit jeder Militärvorlage steigt. Diese Mi߬
stimmung auf Hetzerei zurückführen und den schwer lastenden Druck leugnen,
wäre ein staatsgefährliches und unpatriotisches Beginnen. Die Redensart,
daß eine Mark auf den Kopf doch wahrlich nicht zu viel sei, wenn man da¬
mit den Kosaken abhalten könne, der an der Grenze lauere, um die letzte
Kuh zu holen, die Weiber zu schänden und die Kinder zu spießen, ist eine
Albernheit. Erstens bedeutet diese eine Mark auf den Kopf fünf Mark auf
die Familie, und hat eine Familie ohnehin nicht so viel, als sie zum Leben
braucht, daun empfindet sie es schmerzlich, wenn durch indirekte Steuern die
karge Gütermenge, die sie sich zu erwerben vermag, um den Wert von weitern
fünf Mark vermindert wird. Zweitens bildet die Militärverwaltung bloß
einen unter vielen Verwaltungszweigen, und das Sparen in den übrigen zu
Gunsten des Militärs erzeugt hie und da die unwürdigsten und unerträglichsten
Zustände. Soll diesen abgeholfen und soll dabei auch noch den Bedürfnissen
der Provinzen, Kreise und Gemeinden Rechnung getragen werden, so kann
leicht aus der fünf eine fünfzig werden. Drittens kommen zu den fünfzig bis
sechzig Millionen, um die der gewöhnliche Etat erhöht wird, viele außer-


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[0009] [Abbildung] Zur Lage egimien wir mit einem Rückblick. In Preußen haben sich vor 1866 Regierung und Volk oft darüber beklagt, daß man um der schlechten geographischen Gestalt des Landes willen und zum Schutze des deutschen Volkes eine übermäßig schwere Waffen¬ rüstung tragen müsse, und die Einigung Deutschlands wurde u. a. auch darum erstrebt, weil man davon in dieser Beziehung Erleichterung hoffte. Nach 1870 ist nun die Last der Preußen nicht leichter und die der Süddeutschen schwerer geworden. Kein Wunder, daß diese Enttäuschung und der nicht bloß fortdauernde, sondern zunehmende Druck Mißstimmung erzeugt, und daß diese Mißstimmung mit jeder Militärvorlage steigt. Diese Mi߬ stimmung auf Hetzerei zurückführen und den schwer lastenden Druck leugnen, wäre ein staatsgefährliches und unpatriotisches Beginnen. Die Redensart, daß eine Mark auf den Kopf doch wahrlich nicht zu viel sei, wenn man da¬ mit den Kosaken abhalten könne, der an der Grenze lauere, um die letzte Kuh zu holen, die Weiber zu schänden und die Kinder zu spießen, ist eine Albernheit. Erstens bedeutet diese eine Mark auf den Kopf fünf Mark auf die Familie, und hat eine Familie ohnehin nicht so viel, als sie zum Leben braucht, daun empfindet sie es schmerzlich, wenn durch indirekte Steuern die karge Gütermenge, die sie sich zu erwerben vermag, um den Wert von weitern fünf Mark vermindert wird. Zweitens bildet die Militärverwaltung bloß einen unter vielen Verwaltungszweigen, und das Sparen in den übrigen zu Gunsten des Militärs erzeugt hie und da die unwürdigsten und unerträglichsten Zustände. Soll diesen abgeholfen und soll dabei auch noch den Bedürfnissen der Provinzen, Kreise und Gemeinden Rechnung getragen werden, so kann leicht aus der fünf eine fünfzig werden. Drittens kommen zu den fünfzig bis sechzig Millionen, um die der gewöhnliche Etat erhöht wird, viele außer- Grenzboten III 1893 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/9>, abgerufen am 27.11.2024.