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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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sich genau nach den Regeln des Kaufgeschäfts richtet. Bei einer kursmüßig
gehcmdelten Ware ist aber eine solche Entschädigung nichts andres, als die
Zahlung eines Spielgewinnes.

Es ist Wiener auch nicht entgangen, daß mau in neuerer Zeit erkannt
habe, wie gewisse auf Täuschung gerichtete Geschäfte, deren Anfechtung man
bisher unter den Gesichtspunkt der Simulation gebracht habe, richtiger nur
aus dem Gesichtspunkt eiuer Umgehung des Gesetzes anzufechten seien. Aber
auch diese Lehre ist bei ihm nicht bis zur praktischem Anschauung gediehen.
Er kann sich nicht in sie hineindenken. Und deshalb weist er sie für den vor¬
liegenden Fall aus nichtssagenden Gründen von sich ab. Es ist nicht richtig,
wenn Wiener sagt, daß ein "ernstlich abgeschlossener Kaufvertrag" und ein
Spielgeschäft unvereinbare Gegensätze seien. In der Form eines Kaufvertrags
(der juristisch ernstlich gemeint ist) kann ein Rechtsgeschäft abgeschlossen werden,
das im wirtschaftlichen Sinne nichts andres als ein Spielgeschäft ist, und
ans das deshalb auch die Gerichte, wenn sie die Gesetze ihrem Sinne und
Geiste nach anwenden wollen, die für das Spielgeschäft geltenden Regeln an¬
zuwenden haben. Daß dies Wiener verkennt, beruht auf einem, freilich in
der Juristenwelt weit verbreiteten Mangel des Sinnes für die Realität der
Dinge.

Wiener selbst schlägt ein andres Mittel zur Unterdrückung der "böswilligen
Ausschreitungen" des Börsenverkehrs vor. Es soll ein Strafgesetz nach Art
des Wuchergesetzes erlassen werden, wonach der, der die Unerfahrenheit oder
den Leichtsinn eines andern wissentlich und in gewinnsüchtiger Absicht durch
Börsengeschäfte ausnutzt, mit Strafe belegt werden soll. Der Nachweis dieser
Voraussetzungen soll dann auch die zivilrechtliche Uugiltigkcit des Rechts¬
geschäfts nach sich ziehen. Außerdem soll ein besonders leichtfertiger Geschäfts¬
betrieb bei Börsenmännern eine ehrengerichtliche Ahndung zur Folge haben.
Es ist eine seltsame Erscheinung, daß Wiener, der sich als ein Gegner der
Mißbräuche des Börsenspiels bekennt, das natürlichste und einfachste Mittel
zu deren Unterdrückung eifrig bekämpft, dagegen ein viel energischeres Mittel
vorschlägt, das nur deu einen Fehler hat, daß es schwerlich zur Wirksamkeit
kommen wird. Zunächst ist es sehr zweifelhaft, ob jemals ein solches Gesetz
bei uns erlassen werden würde. Zwar soll in der Börsenenqnetekommissio"
ein derartiger Vorschlag angeregt worden sein, und im österreichischen Abgeord¬
netenhause hat man darnach auch schon einen solchen Vorschlag formulirt. Ob
er aber Gesetz werden wird? Ich meinerseits würde einem solchen Gesetze nicht
das Wort reden. Es ist überhaupt ein Fehler, mit strafrechtlichen Vorschriften
da vvrzugehn, wo schon zivilrechtlicher Schutz ausreicht. Würde aber ein
solches Gesetz erlassen, so würde es doch wenig helfen, zunächst deshalb, weil
schon seinem Wortlaute nach die große Mehrzahl der verderblichen Fälle des
Börsenspiels nicht darunter fallen würde. Es würde aber auch nicht einmal


sich genau nach den Regeln des Kaufgeschäfts richtet. Bei einer kursmüßig
gehcmdelten Ware ist aber eine solche Entschädigung nichts andres, als die
Zahlung eines Spielgewinnes.

Es ist Wiener auch nicht entgangen, daß mau in neuerer Zeit erkannt
habe, wie gewisse auf Täuschung gerichtete Geschäfte, deren Anfechtung man
bisher unter den Gesichtspunkt der Simulation gebracht habe, richtiger nur
aus dem Gesichtspunkt eiuer Umgehung des Gesetzes anzufechten seien. Aber
auch diese Lehre ist bei ihm nicht bis zur praktischem Anschauung gediehen.
Er kann sich nicht in sie hineindenken. Und deshalb weist er sie für den vor¬
liegenden Fall aus nichtssagenden Gründen von sich ab. Es ist nicht richtig,
wenn Wiener sagt, daß ein „ernstlich abgeschlossener Kaufvertrag" und ein
Spielgeschäft unvereinbare Gegensätze seien. In der Form eines Kaufvertrags
(der juristisch ernstlich gemeint ist) kann ein Rechtsgeschäft abgeschlossen werden,
das im wirtschaftlichen Sinne nichts andres als ein Spielgeschäft ist, und
ans das deshalb auch die Gerichte, wenn sie die Gesetze ihrem Sinne und
Geiste nach anwenden wollen, die für das Spielgeschäft geltenden Regeln an¬
zuwenden haben. Daß dies Wiener verkennt, beruht auf einem, freilich in
der Juristenwelt weit verbreiteten Mangel des Sinnes für die Realität der
Dinge.

Wiener selbst schlägt ein andres Mittel zur Unterdrückung der „böswilligen
Ausschreitungen" des Börsenverkehrs vor. Es soll ein Strafgesetz nach Art
des Wuchergesetzes erlassen werden, wonach der, der die Unerfahrenheit oder
den Leichtsinn eines andern wissentlich und in gewinnsüchtiger Absicht durch
Börsengeschäfte ausnutzt, mit Strafe belegt werden soll. Der Nachweis dieser
Voraussetzungen soll dann auch die zivilrechtliche Uugiltigkcit des Rechts¬
geschäfts nach sich ziehen. Außerdem soll ein besonders leichtfertiger Geschäfts¬
betrieb bei Börsenmännern eine ehrengerichtliche Ahndung zur Folge haben.
Es ist eine seltsame Erscheinung, daß Wiener, der sich als ein Gegner der
Mißbräuche des Börsenspiels bekennt, das natürlichste und einfachste Mittel
zu deren Unterdrückung eifrig bekämpft, dagegen ein viel energischeres Mittel
vorschlägt, das nur deu einen Fehler hat, daß es schwerlich zur Wirksamkeit
kommen wird. Zunächst ist es sehr zweifelhaft, ob jemals ein solches Gesetz
bei uns erlassen werden würde. Zwar soll in der Börsenenqnetekommissio»
ein derartiger Vorschlag angeregt worden sein, und im österreichischen Abgeord¬
netenhause hat man darnach auch schon einen solchen Vorschlag formulirt. Ob
er aber Gesetz werden wird? Ich meinerseits würde einem solchen Gesetze nicht
das Wort reden. Es ist überhaupt ein Fehler, mit strafrechtlichen Vorschriften
da vvrzugehn, wo schon zivilrechtlicher Schutz ausreicht. Würde aber ein
solches Gesetz erlassen, so würde es doch wenig helfen, zunächst deshalb, weil
schon seinem Wortlaute nach die große Mehrzahl der verderblichen Fälle des
Börsenspiels nicht darunter fallen würde. Es würde aber auch nicht einmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/74>, abgerufen am 27.07.2024.