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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie

Arbeiter durch Alter oder Krankheit ganz oder teilweise am Arbeiten ver¬
hindert wird, dann wird er die Segnungen des Spargrvschens verspüren,
ohne die Bitterkeit deS Sparzwanges zu empfinden. Trotz aller staatlichen
Fürsorge ist er des Spcirens dringend bedürftig.

Es kommen auch Zeiten, wo die Patriarchen über die gesetzliche Ver¬
pflichtung hinaus und oft auch ohne diese ihren Arbeitern Zuwendungen zu
machen sich verpflichtet fühlen. Solche Zuwendungen wissen manche in eine
Form zu kleiden, aus der die persönliche Teilnahme anmutig hervorleuchtet.
Doch wenn auch der Verfasser der Opferwilligkeit einzelner die höchste An¬
erkennung zollt, so tritt er doch warm für die Unterstützungskassen ein, bei
denen den Arbeitern, mit der Pflicht der Unterhaltung, auch ein Anteil an
der Verwaltung zufällt. Die Gründe dafür liegen nicht weit: fie liegen in
der Bethätigung kameradschaftlichen Geistes, die durch die Fürsorge der Arbeit¬
geber uicht überflüssig gemacht wird. Höher jedoch als jede materielle Zu¬
wendung schlägt es der Arbeiter an, wenn der Fabrikherr dem erkrankten
Mitglied? der Fabrikgemeinschaft seine persönliche Teilnahme zuwendet: ein
Besuch bei einem erkrankten Arbeiter ehrt nicht ihn allein, sondern berührt
zugleich sämtliche Geschäftsangehörige wohlthuend. Und nun erst die wahrhaft
großartige Fürsorge für die Hinterbliebnen, von denen das Buch zu berichte"
weiß! Wie viel freudiger wird der Mann seine Pflicht thun, wie viel treuer
dem Hause anhängen, wenn er weiß, daß es den Seinen einst eine sichere
Zukunft gewährt, wenn er selbst nicht mehr für fie arbeiten kann!

Auf dein langen Wege durch die Wohlfahrtseinrichtungen in den Muster-
stätten der Patriarchen sind wir zu dem Schlußabschuitt gelangt, der der
"Erholung" gewidmet ist. In der richtigen Erwägung, daß eine wohlange¬
brachte Erholungszeit für den einzelnen das beste Mittel ist, neue Kräfte zur
Arbeit zu sammeln, und gemeinsame Erholungen ein vorzügliches Mittel, alle
in Eintracht zu verbinden, fördern die Patriarchen alle darauf gerichteten Be¬
strebungen eifrig durch Rat und That. Manche haben besondre Häuser ge¬
baut, um für alle Feste und Vereinsbeftrebnngen einen Mittelpunkt zu schaffen.
Dort finden Scherz und Ernst ihre Stätte: Pflege des Gesanges und der
Musik, Turnerei in ausgedehntem Maße, Spiel und Tanz, daneben Pflege
des Geistes durch Bibliotheken und volkswirtschaftliche Vorträge. Zweierlei
erscheint dabei für die Bestrebungen des Verfassers beherzigenswert. Erstens
bewegt sich dabei der Patriarch mitten nnter seinen Arbeitern. Der eine
schreibt: "Mehr als einmal bin ich bei Turnfestparaden als einfacher Turner
in Reih und Glied marschiert, und mein Kutscher ritt als Adjutant des Zug¬
marschalls neben uns und kommandirte mich wie die andern." Das hat
seinem Ansehn so wenig geschadet, wie einem andern, daß er je zehn seiner
Leute regelmäßig zu seinen Kegelabenden einlud. Das zweite betrifft die Mit¬
wirkung der Arbeiter bei der Leitung der Vereine und bei der Anordnung von


patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie

Arbeiter durch Alter oder Krankheit ganz oder teilweise am Arbeiten ver¬
hindert wird, dann wird er die Segnungen des Spargrvschens verspüren,
ohne die Bitterkeit deS Sparzwanges zu empfinden. Trotz aller staatlichen
Fürsorge ist er des Spcirens dringend bedürftig.

Es kommen auch Zeiten, wo die Patriarchen über die gesetzliche Ver¬
pflichtung hinaus und oft auch ohne diese ihren Arbeitern Zuwendungen zu
machen sich verpflichtet fühlen. Solche Zuwendungen wissen manche in eine
Form zu kleiden, aus der die persönliche Teilnahme anmutig hervorleuchtet.
Doch wenn auch der Verfasser der Opferwilligkeit einzelner die höchste An¬
erkennung zollt, so tritt er doch warm für die Unterstützungskassen ein, bei
denen den Arbeitern, mit der Pflicht der Unterhaltung, auch ein Anteil an
der Verwaltung zufällt. Die Gründe dafür liegen nicht weit: fie liegen in
der Bethätigung kameradschaftlichen Geistes, die durch die Fürsorge der Arbeit¬
geber uicht überflüssig gemacht wird. Höher jedoch als jede materielle Zu¬
wendung schlägt es der Arbeiter an, wenn der Fabrikherr dem erkrankten
Mitglied? der Fabrikgemeinschaft seine persönliche Teilnahme zuwendet: ein
Besuch bei einem erkrankten Arbeiter ehrt nicht ihn allein, sondern berührt
zugleich sämtliche Geschäftsangehörige wohlthuend. Und nun erst die wahrhaft
großartige Fürsorge für die Hinterbliebnen, von denen das Buch zu berichte»
weiß! Wie viel freudiger wird der Mann seine Pflicht thun, wie viel treuer
dem Hause anhängen, wenn er weiß, daß es den Seinen einst eine sichere
Zukunft gewährt, wenn er selbst nicht mehr für fie arbeiten kann!

Auf dein langen Wege durch die Wohlfahrtseinrichtungen in den Muster-
stätten der Patriarchen sind wir zu dem Schlußabschuitt gelangt, der der
„Erholung" gewidmet ist. In der richtigen Erwägung, daß eine wohlange¬
brachte Erholungszeit für den einzelnen das beste Mittel ist, neue Kräfte zur
Arbeit zu sammeln, und gemeinsame Erholungen ein vorzügliches Mittel, alle
in Eintracht zu verbinden, fördern die Patriarchen alle darauf gerichteten Be¬
strebungen eifrig durch Rat und That. Manche haben besondre Häuser ge¬
baut, um für alle Feste und Vereinsbeftrebnngen einen Mittelpunkt zu schaffen.
Dort finden Scherz und Ernst ihre Stätte: Pflege des Gesanges und der
Musik, Turnerei in ausgedehntem Maße, Spiel und Tanz, daneben Pflege
des Geistes durch Bibliotheken und volkswirtschaftliche Vorträge. Zweierlei
erscheint dabei für die Bestrebungen des Verfassers beherzigenswert. Erstens
bewegt sich dabei der Patriarch mitten nnter seinen Arbeitern. Der eine
schreibt: „Mehr als einmal bin ich bei Turnfestparaden als einfacher Turner
in Reih und Glied marschiert, und mein Kutscher ritt als Adjutant des Zug¬
marschalls neben uns und kommandirte mich wie die andern." Das hat
seinem Ansehn so wenig geschadet, wie einem andern, daß er je zehn seiner
Leute regelmäßig zu seinen Kegelabenden einlud. Das zweite betrifft die Mit¬
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[0063] patriarchalische Beziehungen in der Großindustrie Arbeiter durch Alter oder Krankheit ganz oder teilweise am Arbeiten ver¬ hindert wird, dann wird er die Segnungen des Spargrvschens verspüren, ohne die Bitterkeit deS Sparzwanges zu empfinden. Trotz aller staatlichen Fürsorge ist er des Spcirens dringend bedürftig. Es kommen auch Zeiten, wo die Patriarchen über die gesetzliche Ver¬ pflichtung hinaus und oft auch ohne diese ihren Arbeitern Zuwendungen zu machen sich verpflichtet fühlen. Solche Zuwendungen wissen manche in eine Form zu kleiden, aus der die persönliche Teilnahme anmutig hervorleuchtet. Doch wenn auch der Verfasser der Opferwilligkeit einzelner die höchste An¬ erkennung zollt, so tritt er doch warm für die Unterstützungskassen ein, bei denen den Arbeitern, mit der Pflicht der Unterhaltung, auch ein Anteil an der Verwaltung zufällt. Die Gründe dafür liegen nicht weit: fie liegen in der Bethätigung kameradschaftlichen Geistes, die durch die Fürsorge der Arbeit¬ geber uicht überflüssig gemacht wird. Höher jedoch als jede materielle Zu¬ wendung schlägt es der Arbeiter an, wenn der Fabrikherr dem erkrankten Mitglied? der Fabrikgemeinschaft seine persönliche Teilnahme zuwendet: ein Besuch bei einem erkrankten Arbeiter ehrt nicht ihn allein, sondern berührt zugleich sämtliche Geschäftsangehörige wohlthuend. Und nun erst die wahrhaft großartige Fürsorge für die Hinterbliebnen, von denen das Buch zu berichte» weiß! Wie viel freudiger wird der Mann seine Pflicht thun, wie viel treuer dem Hause anhängen, wenn er weiß, daß es den Seinen einst eine sichere Zukunft gewährt, wenn er selbst nicht mehr für fie arbeiten kann! Auf dein langen Wege durch die Wohlfahrtseinrichtungen in den Muster- stätten der Patriarchen sind wir zu dem Schlußabschuitt gelangt, der der „Erholung" gewidmet ist. In der richtigen Erwägung, daß eine wohlange¬ brachte Erholungszeit für den einzelnen das beste Mittel ist, neue Kräfte zur Arbeit zu sammeln, und gemeinsame Erholungen ein vorzügliches Mittel, alle in Eintracht zu verbinden, fördern die Patriarchen alle darauf gerichteten Be¬ strebungen eifrig durch Rat und That. Manche haben besondre Häuser ge¬ baut, um für alle Feste und Vereinsbeftrebnngen einen Mittelpunkt zu schaffen. Dort finden Scherz und Ernst ihre Stätte: Pflege des Gesanges und der Musik, Turnerei in ausgedehntem Maße, Spiel und Tanz, daneben Pflege des Geistes durch Bibliotheken und volkswirtschaftliche Vorträge. Zweierlei erscheint dabei für die Bestrebungen des Verfassers beherzigenswert. Erstens bewegt sich dabei der Patriarch mitten nnter seinen Arbeitern. Der eine schreibt: „Mehr als einmal bin ich bei Turnfestparaden als einfacher Turner in Reih und Glied marschiert, und mein Kutscher ritt als Adjutant des Zug¬ marschalls neben uns und kommandirte mich wie die andern." Das hat seinem Ansehn so wenig geschadet, wie einem andern, daß er je zehn seiner Leute regelmäßig zu seinen Kegelabenden einlud. Das zweite betrifft die Mit¬ wirkung der Arbeiter bei der Leitung der Vereine und bei der Anordnung von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/63>, abgerufen am 23.11.2024.