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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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bei gleichbleibendem Edelmetallvorrat die Produktionsweise in einzelnen Zweigen
der Landwirtschaft oder Industrie derart verbessert, daß die Prvduktenmenge
stärker wächst als die Bevölkerung, so werden diese Produkte billiger, ohne
daß sich die Edelmetallmenge verringerte, und diese Art von Verbilligung be¬
deutet eine Erhöhung aller Einkommen, indem sich jeder mit derselben Geld¬
summe eine größere Menge jener Produkte verschaffen kann. Ob aber diese
Einkommenerhöhung die Lage des Volks verbessert, und in welchem Grade, das
hängt davon ab, welcher Art die Güter sind, deren Menge vermehrt wird.
Je wertvoller für den Gebrauch und je allgemeiner nötig sie sind, desto mehr
bedeutet ihre Vermehrung, die den Preis ermüßigt, eine Erhöhung des Volks¬
einkommens und eine Vermehrung des Volkswohls. Deshalb steigen das
Volkseinkommen und das Volkswohl in dem Maße, als gute Wohnung, Nah¬
rung und Kleidung billiger werden; denn auf diese drei Arten von Güter"
beschränkt sich das Einkommen von neun Zehnteln des Volks; billig, meinen
wir also, nicht durch Verteuerung der Edelmetalle, sondern bei gleichbleibendem
Edelmetallpreise billig im Vergleich zu den Luxuswaren, zu den Arbeitslöhnen,
zu den kleinen Besoldungen und Renten. Für die Grundbesitzer bedeutet die
Verbilligung der Wohnungen und Lebensmittel einen Verlust, aber nur in dem
Maße, als ihr Besitz groß und ihr Einkommen nicht Arbeitslohn, sondern
Rente ist. Der Kleinbürger, der sein Hänschen selbst bewohnt, der mit Natu¬
ralien abgelohnte ländliche Arbeiter, der Kleinbauer, der seinen Roggen selbst
aufißt, diesen allen sind die Grundstückpreise und die Kornpreise gleichgiltig.
Was aber die Grundrentner anlangt, so wird von dem Nachteil nicht ihr
Stand überhaupt betroffen -- denn die Grundstückpreise folgen den Preisen
der Produkte, und bleibt der Roggen billig, so wird mit der Zeit auch das
Bauerngut billig --, sondern nur die darunter, die ihren Grundbesitz in der
teuern Zeit gekauft haben. Wenn aber keinem das Recht bestritten wird, auf
billig gekauften Lande bei steigender Grundrente und steigendem Grundstück-
Preise reich zu werden, so hat auch keiner das Recht, den Staat und die Ge¬
setze anzuklagen, wenn er bei umgekehrter Preisbewegung arm wird. Wer die
Unglücksfälle gesetzlich ausschließen will, der muß auch die Glücksfülle aus¬
schließen, auf das Reichwerden verzichten und den Kommnnistenstaat fordern.
Das Volkswohl wird durch solches Glück und Unglück einzelner Grundbesitzer
nicht berührt.

Sind nun die hauptsächlichsten Einkommengüter seit 1873 im Preise der¬
art gefallen, daß man von einem allgemeinen Sinken der Warenpreise sprechen
könnte? Den Behauptungen der Bimetallisten widersprechen zunächst die Klagen
aller Beamtenklassen, die unter Berufung auf eine angebliche Verteuerung des
Lebensunterhalts allesamt Aufbesserung verlangen, und es würde kaum die
Mühe lohnen, jene Behauptungen ernstlich zu prüfen, wenn nicht in den letzten
beiden Jahren auch sehr angesehne Organe der öffentlichen Meinung dem Be-


bei gleichbleibendem Edelmetallvorrat die Produktionsweise in einzelnen Zweigen
der Landwirtschaft oder Industrie derart verbessert, daß die Prvduktenmenge
stärker wächst als die Bevölkerung, so werden diese Produkte billiger, ohne
daß sich die Edelmetallmenge verringerte, und diese Art von Verbilligung be¬
deutet eine Erhöhung aller Einkommen, indem sich jeder mit derselben Geld¬
summe eine größere Menge jener Produkte verschaffen kann. Ob aber diese
Einkommenerhöhung die Lage des Volks verbessert, und in welchem Grade, das
hängt davon ab, welcher Art die Güter sind, deren Menge vermehrt wird.
Je wertvoller für den Gebrauch und je allgemeiner nötig sie sind, desto mehr
bedeutet ihre Vermehrung, die den Preis ermüßigt, eine Erhöhung des Volks¬
einkommens und eine Vermehrung des Volkswohls. Deshalb steigen das
Volkseinkommen und das Volkswohl in dem Maße, als gute Wohnung, Nah¬
rung und Kleidung billiger werden; denn auf diese drei Arten von Güter»
beschränkt sich das Einkommen von neun Zehnteln des Volks; billig, meinen
wir also, nicht durch Verteuerung der Edelmetalle, sondern bei gleichbleibendem
Edelmetallpreise billig im Vergleich zu den Luxuswaren, zu den Arbeitslöhnen,
zu den kleinen Besoldungen und Renten. Für die Grundbesitzer bedeutet die
Verbilligung der Wohnungen und Lebensmittel einen Verlust, aber nur in dem
Maße, als ihr Besitz groß und ihr Einkommen nicht Arbeitslohn, sondern
Rente ist. Der Kleinbürger, der sein Hänschen selbst bewohnt, der mit Natu¬
ralien abgelohnte ländliche Arbeiter, der Kleinbauer, der seinen Roggen selbst
aufißt, diesen allen sind die Grundstückpreise und die Kornpreise gleichgiltig.
Was aber die Grundrentner anlangt, so wird von dem Nachteil nicht ihr
Stand überhaupt betroffen — denn die Grundstückpreise folgen den Preisen
der Produkte, und bleibt der Roggen billig, so wird mit der Zeit auch das
Bauerngut billig —, sondern nur die darunter, die ihren Grundbesitz in der
teuern Zeit gekauft haben. Wenn aber keinem das Recht bestritten wird, auf
billig gekauften Lande bei steigender Grundrente und steigendem Grundstück-
Preise reich zu werden, so hat auch keiner das Recht, den Staat und die Ge¬
setze anzuklagen, wenn er bei umgekehrter Preisbewegung arm wird. Wer die
Unglücksfälle gesetzlich ausschließen will, der muß auch die Glücksfülle aus¬
schließen, auf das Reichwerden verzichten und den Kommnnistenstaat fordern.
Das Volkswohl wird durch solches Glück und Unglück einzelner Grundbesitzer
nicht berührt.

Sind nun die hauptsächlichsten Einkommengüter seit 1873 im Preise der¬
art gefallen, daß man von einem allgemeinen Sinken der Warenpreise sprechen
könnte? Den Behauptungen der Bimetallisten widersprechen zunächst die Klagen
aller Beamtenklassen, die unter Berufung auf eine angebliche Verteuerung des
Lebensunterhalts allesamt Aufbesserung verlangen, und es würde kaum die
Mühe lohnen, jene Behauptungen ernstlich zu prüfen, wenn nicht in den letzten
beiden Jahren auch sehr angesehne Organe der öffentlichen Meinung dem Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/599>, abgerufen am 01.09.2024.