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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Anmerkungen zur Judenfrage

gebrochen; und so wird auch der Rassentrotz der Juden nicht eher gebrochen
sein, als bis gewisse rituelle Bräuche der Juden gefallen sind. Denn das
jüdische Ritualgcsetz schreibt Dinge vor, die den Juden ausschließen von der
Gemeinschaft aller modernen Kulturvölker, und es ist die wesentlichste Be¬
dingung zur Lösung der Judenfrage, daß diese Dinge gesetzlich verboten
werden.

Die tiefste Wirkung übt uuter diesen rituellen Gebräuchen ohne jeden
Zweifel der jüdische Taufakt aus. Es ist kein sehr angenehmer Gegenstand,
den ich hier berühre, aber wem es Ernst ist um die Sache, der wird die Er¬
örterung nicht scheuen. Man hat wohl darüber gestritten, was die Beschnei¬
dung ursprünglich für eine Bedeutung gehabt habe. Darauf brauchen wir uns
nicht einzulassen, denn heute ist sie nichts anders als ein brutales Zwangs¬
mittel, dem Volke der Juden in der Zerstreuung die Stammesgemeinschaft zu
wahren. Etwas wesentlich andres wird sie wohl nie gewesen sein, mit dem
Unterschiede freilich, daß ein solches Mittel vor dreitausend Jahren und in der
schwülen Nachbarschaft des ägyptischen Isis- und Osirisdienstcs und der phö-
nikischen Baal- und Astarteverehrung mehr am Platze war, als in der ge¬
sitteten Gesellschaft des modernen Europas. Auch die christlichen Konfessionen
haben ja gewisse Zwangsmittel, die Gemeinschaft der Gläubigen zu erhalten,
und sie folgen damit schließlich nur dem Triebe der Selbsterhaltung, der jede
Körperschaft, die durch ein rein ideales Band zusammengehalten wird, nötigt,
eine gelinde Polizei über das Gewissen ihrer Mitglieder auszuüben. So hat
die katholische Kirche die Ohrenbeichte, und schon diesen Zwang empfanden die
Deutschen mit beginnender Neuzeit als so drückend, daß sie dagegen "pro-
testirten." Aber auch die protestantische Kirche behielt die Konfirmation bei,
die man bei der moralischen Unselbständigkeit der Konfirmanden doch auch nnr
als ein gebotnes Zwangsmittel auffassen kann, das etwa dem staatlichen Unter¬
richtszwang im Charakter gleichzustellen ist. Aber die Beichte sowohl wie die
Konfirmation üben doch nur einen geistigen Zwang ans, und wer sich ihnen
in reifern Jahren entziehen will, der kann das ohne die geringste Schwierigkeit
thun; niemand, der aus einer christlichen Konfession ausscheiden will, kann
daran verhindert werden, dies so zu thun, daß nichts von der alten Gemein¬
schaft an seinem Leibe oder seiner Seele hängen bleibt. Dem Juden ist das
nicht möglich. Wie könnte er mit seinem Fühlen und Denken in der Seele
eines andern Volks aufgehen, da er das Bewußtsein nicht loswerden kann: du
trägst an deinem Leibe das Merkmal, daß dn ein Jude bist! Mau unterschütze
die moralische Hemmkraft dieses Bewußtseins ja nicht, und man lasse sich vor
allein uicht durch das alberne Geschwätz der Nadauantisemiten irre machen,
die dem Juden alle und jede moralische Regung abspreche". Mit einem Menschen
wie Ahlwardt, der jedes sittlichen Bewußtseins bar ist, muß man sich eben
nicht über die Wirkungen einer solchen Empfindung unterhalten. Bedeutend


Anmerkungen zur Judenfrage

gebrochen; und so wird auch der Rassentrotz der Juden nicht eher gebrochen
sein, als bis gewisse rituelle Bräuche der Juden gefallen sind. Denn das
jüdische Ritualgcsetz schreibt Dinge vor, die den Juden ausschließen von der
Gemeinschaft aller modernen Kulturvölker, und es ist die wesentlichste Be¬
dingung zur Lösung der Judenfrage, daß diese Dinge gesetzlich verboten
werden.

Die tiefste Wirkung übt uuter diesen rituellen Gebräuchen ohne jeden
Zweifel der jüdische Taufakt aus. Es ist kein sehr angenehmer Gegenstand,
den ich hier berühre, aber wem es Ernst ist um die Sache, der wird die Er¬
örterung nicht scheuen. Man hat wohl darüber gestritten, was die Beschnei¬
dung ursprünglich für eine Bedeutung gehabt habe. Darauf brauchen wir uns
nicht einzulassen, denn heute ist sie nichts anders als ein brutales Zwangs¬
mittel, dem Volke der Juden in der Zerstreuung die Stammesgemeinschaft zu
wahren. Etwas wesentlich andres wird sie wohl nie gewesen sein, mit dem
Unterschiede freilich, daß ein solches Mittel vor dreitausend Jahren und in der
schwülen Nachbarschaft des ägyptischen Isis- und Osirisdienstcs und der phö-
nikischen Baal- und Astarteverehrung mehr am Platze war, als in der ge¬
sitteten Gesellschaft des modernen Europas. Auch die christlichen Konfessionen
haben ja gewisse Zwangsmittel, die Gemeinschaft der Gläubigen zu erhalten,
und sie folgen damit schließlich nur dem Triebe der Selbsterhaltung, der jede
Körperschaft, die durch ein rein ideales Band zusammengehalten wird, nötigt,
eine gelinde Polizei über das Gewissen ihrer Mitglieder auszuüben. So hat
die katholische Kirche die Ohrenbeichte, und schon diesen Zwang empfanden die
Deutschen mit beginnender Neuzeit als so drückend, daß sie dagegen „pro-
testirten." Aber auch die protestantische Kirche behielt die Konfirmation bei,
die man bei der moralischen Unselbständigkeit der Konfirmanden doch auch nnr
als ein gebotnes Zwangsmittel auffassen kann, das etwa dem staatlichen Unter¬
richtszwang im Charakter gleichzustellen ist. Aber die Beichte sowohl wie die
Konfirmation üben doch nur einen geistigen Zwang ans, und wer sich ihnen
in reifern Jahren entziehen will, der kann das ohne die geringste Schwierigkeit
thun; niemand, der aus einer christlichen Konfession ausscheiden will, kann
daran verhindert werden, dies so zu thun, daß nichts von der alten Gemein¬
schaft an seinem Leibe oder seiner Seele hängen bleibt. Dem Juden ist das
nicht möglich. Wie könnte er mit seinem Fühlen und Denken in der Seele
eines andern Volks aufgehen, da er das Bewußtsein nicht loswerden kann: du
trägst an deinem Leibe das Merkmal, daß dn ein Jude bist! Mau unterschütze
die moralische Hemmkraft dieses Bewußtseins ja nicht, und man lasse sich vor
allein uicht durch das alberne Geschwätz der Nadauantisemiten irre machen,
die dem Juden alle und jede moralische Regung abspreche«. Mit einem Menschen
wie Ahlwardt, der jedes sittlichen Bewußtseins bar ist, muß man sich eben
nicht über die Wirkungen einer solchen Empfindung unterhalten. Bedeutend


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[0592] Anmerkungen zur Judenfrage gebrochen; und so wird auch der Rassentrotz der Juden nicht eher gebrochen sein, als bis gewisse rituelle Bräuche der Juden gefallen sind. Denn das jüdische Ritualgcsetz schreibt Dinge vor, die den Juden ausschließen von der Gemeinschaft aller modernen Kulturvölker, und es ist die wesentlichste Be¬ dingung zur Lösung der Judenfrage, daß diese Dinge gesetzlich verboten werden. Die tiefste Wirkung übt uuter diesen rituellen Gebräuchen ohne jeden Zweifel der jüdische Taufakt aus. Es ist kein sehr angenehmer Gegenstand, den ich hier berühre, aber wem es Ernst ist um die Sache, der wird die Er¬ örterung nicht scheuen. Man hat wohl darüber gestritten, was die Beschnei¬ dung ursprünglich für eine Bedeutung gehabt habe. Darauf brauchen wir uns nicht einzulassen, denn heute ist sie nichts anders als ein brutales Zwangs¬ mittel, dem Volke der Juden in der Zerstreuung die Stammesgemeinschaft zu wahren. Etwas wesentlich andres wird sie wohl nie gewesen sein, mit dem Unterschiede freilich, daß ein solches Mittel vor dreitausend Jahren und in der schwülen Nachbarschaft des ägyptischen Isis- und Osirisdienstcs und der phö- nikischen Baal- und Astarteverehrung mehr am Platze war, als in der ge¬ sitteten Gesellschaft des modernen Europas. Auch die christlichen Konfessionen haben ja gewisse Zwangsmittel, die Gemeinschaft der Gläubigen zu erhalten, und sie folgen damit schließlich nur dem Triebe der Selbsterhaltung, der jede Körperschaft, die durch ein rein ideales Band zusammengehalten wird, nötigt, eine gelinde Polizei über das Gewissen ihrer Mitglieder auszuüben. So hat die katholische Kirche die Ohrenbeichte, und schon diesen Zwang empfanden die Deutschen mit beginnender Neuzeit als so drückend, daß sie dagegen „pro- testirten." Aber auch die protestantische Kirche behielt die Konfirmation bei, die man bei der moralischen Unselbständigkeit der Konfirmanden doch auch nnr als ein gebotnes Zwangsmittel auffassen kann, das etwa dem staatlichen Unter¬ richtszwang im Charakter gleichzustellen ist. Aber die Beichte sowohl wie die Konfirmation üben doch nur einen geistigen Zwang ans, und wer sich ihnen in reifern Jahren entziehen will, der kann das ohne die geringste Schwierigkeit thun; niemand, der aus einer christlichen Konfession ausscheiden will, kann daran verhindert werden, dies so zu thun, daß nichts von der alten Gemein¬ schaft an seinem Leibe oder seiner Seele hängen bleibt. Dem Juden ist das nicht möglich. Wie könnte er mit seinem Fühlen und Denken in der Seele eines andern Volks aufgehen, da er das Bewußtsein nicht loswerden kann: du trägst an deinem Leibe das Merkmal, daß dn ein Jude bist! Mau unterschütze die moralische Hemmkraft dieses Bewußtseins ja nicht, und man lasse sich vor allein uicht durch das alberne Geschwätz der Nadauantisemiten irre machen, die dem Juden alle und jede moralische Regung abspreche«. Mit einem Menschen wie Ahlwardt, der jedes sittlichen Bewußtseins bar ist, muß man sich eben nicht über die Wirkungen einer solchen Empfindung unterhalten. Bedeutend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/592>, abgerufen am 24.11.2024.