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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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über wenige Jahre nicht zurückreichenden Kaufvertrage zur Unterlage der all¬
gemeinen Wertbcstimmung machen. Die Schädigung, die auch dann uoch für
einzelne Besitzer eintreten würde, ließe sich um Ende verschmerzen; zumal der,
der sein Grundstück in einem gewinnbringenden Betriebe selbst benutzt, würde
vorderhand keinen Verlust erleiden.

Nehmen wir also einmal an, die große Vvdeuschätzuug sei von dem gegen¬
wärtigen Reichstag, in dessen Schoße ja noch manche Lose schlummern sollen,
beschlossen; im Jahre 1900 hätte jeder Deutsche, der bis dahin eine Scholle
sei" eigen nennt, in seiner Hand den verbrieften Schein, daß sein Grundstück
einen Wert hat, für den er es, sobald es ihm beliebt, an den Staat verkaufen
kann. Ahnen denn die Anhänger der Reform nicht, daß die Überführung des
Bodens in die Hand des Staates, wovon sie den allgemeinen Aufschwung
der Dinge hoffen, in der Regel erst dann eintreten wird, wenn die gegen¬
wärtigen Besitzer zu der Überzeugung gekommen sind, aus ihrem Boden nicht
mehr so viel herauswirtschaften zu können, daß ihnen mehr als die Reine des
festgesetzten Kaufpreises verbliebe? Wenn dann die allmähliche Verstaatlichung
des Bodens Schritt für Schritt eine entsprechende Summe von privatem
Kapital löst und auf den Markt drängt, so wird das unvermeidliche Zurück-
gehn des Zinsfußes die Besitzer erst recht von der Veräußerung ihrer Grund¬
stücke zurückhalten. Wo aber blieben alsdann die Summen, die unes der An¬
sicht der Reformer die Staatskassen zu füllen bestimmt sind?

Sie glauben und versichern, daß sich die Steigerung des Bvdenwertes in
Zukunft noch schneller vollziehen werde, als in dein letzte" Jahrhundert, das
trotz ungünstiger Verhältnisse dem Grund u"d Bode" i" Deutschland einen
vierzehnfachen Wert verliehen hat. Trotz ungünstiger Verhältnisse? Wenn
sich auf den: gegenwärtigen Reichsgebiete die Bevölkerung seit dem Jahre
1816 von 24833000 Einwohnern ans 49428000 im Jahre 1890 gehoben
hat, wenn ferner von den erwerbsthätige" Einwohnern gegenwärtig 6400000
"> der Industrie und 1570000 im Handel beschäftigt sind - ein Umstand,
der für die in der Landwirtschaft thätige Bevölkerung nicht nur eine Ver¬
minderung der Konkurrenz, sondern zugleich ein kauffähiges Absatzgebiet ge¬
schaffen hat --, wem, mau schließlich erwägt, wieviel der Aufschwung der
deutsche" Industrie auch zur Erhöhung der ländlichen Grmidrente beigetragen
hat, so wird ma" das Fragezeichen, das wir hinter die Behauptung nngü"-
feiger Verhältnisse gesetzt haben, wohl als berechtigt anerkennen. Nur an
einem Pnnkte können wir sür die Gestaltung des deutscheu Bvdeuwertes eine
Ungunst erblicken, noch dazu eine, die sich künftighin eher steigern als
abschwäche" wird. Wir denken daran, daß es infolge der verbesserten Ver¬
kehrsmittel dem Auslande möglich geworden ist, mit seinen Vodenerzeugnisfen
dem deutschen Acker Konkurrenz zu machen, sodaß die Aufwärtsbewegung der
deutschen Grundrente dadurch verlangsamt werden konnte, daß sich in andern


über wenige Jahre nicht zurückreichenden Kaufvertrage zur Unterlage der all¬
gemeinen Wertbcstimmung machen. Die Schädigung, die auch dann uoch für
einzelne Besitzer eintreten würde, ließe sich um Ende verschmerzen; zumal der,
der sein Grundstück in einem gewinnbringenden Betriebe selbst benutzt, würde
vorderhand keinen Verlust erleiden.

Nehmen wir also einmal an, die große Vvdeuschätzuug sei von dem gegen¬
wärtigen Reichstag, in dessen Schoße ja noch manche Lose schlummern sollen,
beschlossen; im Jahre 1900 hätte jeder Deutsche, der bis dahin eine Scholle
sei» eigen nennt, in seiner Hand den verbrieften Schein, daß sein Grundstück
einen Wert hat, für den er es, sobald es ihm beliebt, an den Staat verkaufen
kann. Ahnen denn die Anhänger der Reform nicht, daß die Überführung des
Bodens in die Hand des Staates, wovon sie den allgemeinen Aufschwung
der Dinge hoffen, in der Regel erst dann eintreten wird, wenn die gegen¬
wärtigen Besitzer zu der Überzeugung gekommen sind, aus ihrem Boden nicht
mehr so viel herauswirtschaften zu können, daß ihnen mehr als die Reine des
festgesetzten Kaufpreises verbliebe? Wenn dann die allmähliche Verstaatlichung
des Bodens Schritt für Schritt eine entsprechende Summe von privatem
Kapital löst und auf den Markt drängt, so wird das unvermeidliche Zurück-
gehn des Zinsfußes die Besitzer erst recht von der Veräußerung ihrer Grund¬
stücke zurückhalten. Wo aber blieben alsdann die Summen, die unes der An¬
sicht der Reformer die Staatskassen zu füllen bestimmt sind?

Sie glauben und versichern, daß sich die Steigerung des Bvdenwertes in
Zukunft noch schneller vollziehen werde, als in dein letzte» Jahrhundert, das
trotz ungünstiger Verhältnisse dem Grund u»d Bode» i» Deutschland einen
vierzehnfachen Wert verliehen hat. Trotz ungünstiger Verhältnisse? Wenn
sich auf den: gegenwärtigen Reichsgebiete die Bevölkerung seit dem Jahre
1816 von 24833000 Einwohnern ans 49428000 im Jahre 1890 gehoben
hat, wenn ferner von den erwerbsthätige» Einwohnern gegenwärtig 6400000
"> der Industrie und 1570000 im Handel beschäftigt sind - ein Umstand,
der für die in der Landwirtschaft thätige Bevölkerung nicht nur eine Ver¬
minderung der Konkurrenz, sondern zugleich ein kauffähiges Absatzgebiet ge¬
schaffen hat —, wem, mau schließlich erwägt, wieviel der Aufschwung der
deutsche» Industrie auch zur Erhöhung der ländlichen Grmidrente beigetragen
hat, so wird ma» das Fragezeichen, das wir hinter die Behauptung nngü»-
feiger Verhältnisse gesetzt haben, wohl als berechtigt anerkennen. Nur an
einem Pnnkte können wir sür die Gestaltung des deutscheu Bvdeuwertes eine
Ungunst erblicken, noch dazu eine, die sich künftighin eher steigern als
abschwäche» wird. Wir denken daran, daß es infolge der verbesserten Ver¬
kehrsmittel dem Auslande möglich geworden ist, mit seinen Vodenerzeugnisfen
dem deutschen Acker Konkurrenz zu machen, sodaß die Aufwärtsbewegung der
deutschen Grundrente dadurch verlangsamt werden konnte, daß sich in andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/541>, abgerufen am 24.11.2024.