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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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der Schätze, bauen sich Kanoes und fahren mit den Goldbarren nach der Bucht
von Santa Marta. Dort erobern sie ein spanisches Schiff und fahren dann
in die Heimat zurück, Aber Amyas Verlangen, an Don Guzman Rache zu
nehmen, ist noch nicht gestillt. In dem furchtbaren Kampf zwischen der spa¬
nischen Armada und dem englischen Geschwader trifft er seinen Todfeind. Doch
an derselben Insel Lundy, von wo der Spanier die Rose von Torridge ent¬
führt hat, zerschellt sein Schiff bei furchtbarem Gewittersturm. Amyas verflucht
sein Geschick, das ihm nicht vergönnt hat, selbst der Rächer seiner Ehre zu
werden. Da fährt ein Blitzstrahl in sein Schiff, Amyas bricht zusammen, des
Augenlichts beraubt. Ayaccmora, die als Oxeuhams Tochter erkannt wird,
pflegt ihn und wird sein Weib.

Ein feinerer litterarischer Geschmack wird durch die Kette der wunder¬
lichsten Abenteuer, die Kiugsley hier aneinandergereiht hat, schwerlich befriedigt
werden. Die Absicht, zu wirken und zu spannen, tritt oft gar zu deutlich hervor.
Aber dafür entschädigt er den Leser durch die kräftige, dem sechzehnten Jahr¬
hundert angepaßte Sprache, deren Bilderreichtum und humoristische Wendungen
oft an Shakespeare erinnern, durch feine Charakterzeichnung und durch eine
Fülle geistreicher Bemerkungen, die sich freilich in einem Roman wunderlich
genug ausnehmen. So sagt er nach einer farbenreichen Schilderung des Ur¬
waldes am Orinoco: "Der Geist des Menschen ist nicht so "unendlich" im
gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie sich die Leute einbilden. Wie stark auch
der Appetit nach Wundern sein mag, so lange er ganz unbefriedigt bleibt, er
ist ebenso bald gesättigt wie jeder andre Appetit und läßt die Sinne seines
Besitzers so stumpf wie die eines Gourmands nach einem lukullische" Feste.
Nur die größten Geister, ein Humboldt, ein Bonpland, ein Schönburg können
lange da genießen, wo die Natur unerschöpflich ist und immer neue und große
Ansprüche an ihre Bewunderung stellt. Der schwindlige Zuschauer kommt an
einem Pnnkte an, wo er gern die Augen schließt und, wie die westindischen
Spanier thun, Zuflucht zu Tabak und stumpfem Brüten nimmt. Und wer
nicht nur seine Augen, sondern auch Worte gebrauchen will, was soll der thun?
Superlative sind nur ein Lallen und geben keine rechte Vorstellung von wahrer
Größe. Und doch Pflegen wir Superlativ auf Superlativ zu häufen und aus¬
zurufen: "Höchst wunderbar, höchst entzückend!" Es ist ein bemerkenswerter
Charakterzug, daß den frühern englischen und spanischen Reisenden das Talent
der Wortmcilcrei, ja selbst die Bewunderung all der herrlichen Dinge fehlte.
Die einzigen beiden Ausnahmen, die ich kenne, sind Kolumbus und Raleigh,
neben Humboldt die begabtesten Männer, die jemals den amerikanischen Boden
betreten haben; und selbst sie konnten nur schwache Andeutungen machen."

Für Raucher -- Kingsley war selbst ein starker Raucher -- mag noch
sein Loblied auf den Tabak hier angeführt werden, das er dem alten Seebären
Salvation I^w in den Mund legt: "In der Kraft dieses Krautes habe ich es


der Schätze, bauen sich Kanoes und fahren mit den Goldbarren nach der Bucht
von Santa Marta. Dort erobern sie ein spanisches Schiff und fahren dann
in die Heimat zurück, Aber Amyas Verlangen, an Don Guzman Rache zu
nehmen, ist noch nicht gestillt. In dem furchtbaren Kampf zwischen der spa¬
nischen Armada und dem englischen Geschwader trifft er seinen Todfeind. Doch
an derselben Insel Lundy, von wo der Spanier die Rose von Torridge ent¬
führt hat, zerschellt sein Schiff bei furchtbarem Gewittersturm. Amyas verflucht
sein Geschick, das ihm nicht vergönnt hat, selbst der Rächer seiner Ehre zu
werden. Da fährt ein Blitzstrahl in sein Schiff, Amyas bricht zusammen, des
Augenlichts beraubt. Ayaccmora, die als Oxeuhams Tochter erkannt wird,
pflegt ihn und wird sein Weib.

Ein feinerer litterarischer Geschmack wird durch die Kette der wunder¬
lichsten Abenteuer, die Kiugsley hier aneinandergereiht hat, schwerlich befriedigt
werden. Die Absicht, zu wirken und zu spannen, tritt oft gar zu deutlich hervor.
Aber dafür entschädigt er den Leser durch die kräftige, dem sechzehnten Jahr¬
hundert angepaßte Sprache, deren Bilderreichtum und humoristische Wendungen
oft an Shakespeare erinnern, durch feine Charakterzeichnung und durch eine
Fülle geistreicher Bemerkungen, die sich freilich in einem Roman wunderlich
genug ausnehmen. So sagt er nach einer farbenreichen Schilderung des Ur¬
waldes am Orinoco: „Der Geist des Menschen ist nicht so »unendlich« im
gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie sich die Leute einbilden. Wie stark auch
der Appetit nach Wundern sein mag, so lange er ganz unbefriedigt bleibt, er
ist ebenso bald gesättigt wie jeder andre Appetit und läßt die Sinne seines
Besitzers so stumpf wie die eines Gourmands nach einem lukullische« Feste.
Nur die größten Geister, ein Humboldt, ein Bonpland, ein Schönburg können
lange da genießen, wo die Natur unerschöpflich ist und immer neue und große
Ansprüche an ihre Bewunderung stellt. Der schwindlige Zuschauer kommt an
einem Pnnkte an, wo er gern die Augen schließt und, wie die westindischen
Spanier thun, Zuflucht zu Tabak und stumpfem Brüten nimmt. Und wer
nicht nur seine Augen, sondern auch Worte gebrauchen will, was soll der thun?
Superlative sind nur ein Lallen und geben keine rechte Vorstellung von wahrer
Größe. Und doch Pflegen wir Superlativ auf Superlativ zu häufen und aus¬
zurufen: »Höchst wunderbar, höchst entzückend!« Es ist ein bemerkenswerter
Charakterzug, daß den frühern englischen und spanischen Reisenden das Talent
der Wortmcilcrei, ja selbst die Bewunderung all der herrlichen Dinge fehlte.
Die einzigen beiden Ausnahmen, die ich kenne, sind Kolumbus und Raleigh,
neben Humboldt die begabtesten Männer, die jemals den amerikanischen Boden
betreten haben; und selbst sie konnten nur schwache Andeutungen machen."

Für Raucher — Kingsley war selbst ein starker Raucher — mag noch
sein Loblied auf den Tabak hier angeführt werden, das er dem alten Seebären
Salvation I^w in den Mund legt: „In der Kraft dieses Krautes habe ich es


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[0526] der Schätze, bauen sich Kanoes und fahren mit den Goldbarren nach der Bucht von Santa Marta. Dort erobern sie ein spanisches Schiff und fahren dann in die Heimat zurück, Aber Amyas Verlangen, an Don Guzman Rache zu nehmen, ist noch nicht gestillt. In dem furchtbaren Kampf zwischen der spa¬ nischen Armada und dem englischen Geschwader trifft er seinen Todfeind. Doch an derselben Insel Lundy, von wo der Spanier die Rose von Torridge ent¬ führt hat, zerschellt sein Schiff bei furchtbarem Gewittersturm. Amyas verflucht sein Geschick, das ihm nicht vergönnt hat, selbst der Rächer seiner Ehre zu werden. Da fährt ein Blitzstrahl in sein Schiff, Amyas bricht zusammen, des Augenlichts beraubt. Ayaccmora, die als Oxeuhams Tochter erkannt wird, pflegt ihn und wird sein Weib. Ein feinerer litterarischer Geschmack wird durch die Kette der wunder¬ lichsten Abenteuer, die Kiugsley hier aneinandergereiht hat, schwerlich befriedigt werden. Die Absicht, zu wirken und zu spannen, tritt oft gar zu deutlich hervor. Aber dafür entschädigt er den Leser durch die kräftige, dem sechzehnten Jahr¬ hundert angepaßte Sprache, deren Bilderreichtum und humoristische Wendungen oft an Shakespeare erinnern, durch feine Charakterzeichnung und durch eine Fülle geistreicher Bemerkungen, die sich freilich in einem Roman wunderlich genug ausnehmen. So sagt er nach einer farbenreichen Schilderung des Ur¬ waldes am Orinoco: „Der Geist des Menschen ist nicht so »unendlich« im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wie sich die Leute einbilden. Wie stark auch der Appetit nach Wundern sein mag, so lange er ganz unbefriedigt bleibt, er ist ebenso bald gesättigt wie jeder andre Appetit und läßt die Sinne seines Besitzers so stumpf wie die eines Gourmands nach einem lukullische« Feste. Nur die größten Geister, ein Humboldt, ein Bonpland, ein Schönburg können lange da genießen, wo die Natur unerschöpflich ist und immer neue und große Ansprüche an ihre Bewunderung stellt. Der schwindlige Zuschauer kommt an einem Pnnkte an, wo er gern die Augen schließt und, wie die westindischen Spanier thun, Zuflucht zu Tabak und stumpfem Brüten nimmt. Und wer nicht nur seine Augen, sondern auch Worte gebrauchen will, was soll der thun? Superlative sind nur ein Lallen und geben keine rechte Vorstellung von wahrer Größe. Und doch Pflegen wir Superlativ auf Superlativ zu häufen und aus¬ zurufen: »Höchst wunderbar, höchst entzückend!« Es ist ein bemerkenswerter Charakterzug, daß den frühern englischen und spanischen Reisenden das Talent der Wortmcilcrei, ja selbst die Bewunderung all der herrlichen Dinge fehlte. Die einzigen beiden Ausnahmen, die ich kenne, sind Kolumbus und Raleigh, neben Humboldt die begabtesten Männer, die jemals den amerikanischen Boden betreten haben; und selbst sie konnten nur schwache Andeutungen machen." Für Raucher — Kingsley war selbst ein starker Raucher — mag noch sein Loblied auf den Tabak hier angeführt werden, das er dem alten Seebären Salvation I^w in den Mund legt: „In der Kraft dieses Krautes habe ich es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/526>, abgerufen am 28.07.2024.