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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Die ätherische Volksmoral im Drama

A. E. Über die Menschen im allgemeinen füllt; es eröffnet sich keine Aussicht
in dem Buche, daß hienieden etwas Kluges daraus werden könnte, und an
Vollendung im Jenseits ist nicht zu denken, da es weder einen Gott noch ein
Jenseits giebt. Wenn A, E. trotzdem nicht Pessimist wird, so ist das nur
eine seiner energischen Natur entspringende Inkonsequenz. Von sich selbst sagt
er: "Die Kanaillen ^die Naturteufelchen, so in den Hemdenknöpfchen, in Tinten¬
fässern und Brillen, in den Schleimhäuten der Nase und in den Naturtrieben
sitzen) haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk
gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte." Erst von diesem Stand¬
punkt aus versteht man richtig, was er über und gegen die erotische Komik
sagt. Er erzählt, wie er sich über die ekelhaften Zoten einer Herrengesellschaft
geärgert habe, und bemerkt dann: "Gewiß enthält das Geschlechtsleben des
Menschen reichen Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle
für Lachen und Witz verpöncn zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine,
das Wachtstubcnmäßige an? Habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer zu
finden. Höchsten ethischen Zwecken, Gefühlen gegenüber füllt auf das Sexuelle
das Schlaglicht des Tierischen, ja Mechanischen. Man hat über diesen Kon¬
trast gelacht, so lange die Welt steht, auch das reinste Weib. Gut, dann
lacht! Sucht es aber nicht, macht nicht Jagd nach solchen Beziehungen, meint
nicht, es sei schon witzig, anzudeuten, daß euch der Geschlechtsprozeß und seine
Lust bekannt sei; das ist ja Kot! Das heißt ja, sich freuen, Tier zu sein!"
Die Regel fürs Verhalten, die Bischer aufstellt, ist richtig; aber die in der
letzten Zeile gegebne Begründung führt zum Manichüismus und Pessimismus.
Darin besteht ja eben der Kontrast, daß im Menschen der Geist und das Tier
mit einander verbunden sind, und wenn ich über diesen Kontrast nicht lachen
darf, dann darf ich überhaupt nicht lachen, weder über das Erotische, noch
über einen, der zur Unzeit niest, sondern ich muß mit den Asketen darüber
weinen, daß mein erhabner Geist an ein Tier gefesselt ist. Und wenn ich mich
der Lust nicht freuen darf, die aus der tierischen, d. h. aus der leiblichen Natur
entspringt, dann darf ich mich auch der Nachtruhe nicht freuen, sondern muß
auf einem Brette schlafen und mir womöglich spitze Steine und Glasscherben
unterlegen; dann darf ich mich auch einer guten Mahlzeit und des Rebensaftes
nicht erfreuen, fondern muß mich wie Alfons von Liguori mit verschimmelten
Brote und verfaultem Fleische nähren und den Zustand der Ekstatischen er¬
streben, die nichts mehr genießen als in der täglichen Kommunion die Hostie.
In der That ärgert sich A. E. auch über die Table d'hüte, wo die Leute
zwei Stunden lang nichts thun als "fressen"; eine Kuh -- meint er -- fresse
anständiger als dieses Volk. Alles, was er über die Heiligkeit der Ehe und
die Erhabenheit des Zeugungsaktes sagt, kann an der Thatsache nichts ändern,
daß er nur durch Inkonsequenz der Verurteilung alles Natürlichen, auch des
Zcugungsaktes, zu entgehen vermag. Demgemäß sind ihm auch Shakespeares


Die ätherische Volksmoral im Drama

A. E. Über die Menschen im allgemeinen füllt; es eröffnet sich keine Aussicht
in dem Buche, daß hienieden etwas Kluges daraus werden könnte, und an
Vollendung im Jenseits ist nicht zu denken, da es weder einen Gott noch ein
Jenseits giebt. Wenn A, E. trotzdem nicht Pessimist wird, so ist das nur
eine seiner energischen Natur entspringende Inkonsequenz. Von sich selbst sagt
er: „Die Kanaillen ^die Naturteufelchen, so in den Hemdenknöpfchen, in Tinten¬
fässern und Brillen, in den Schleimhäuten der Nase und in den Naturtrieben
sitzen) haben mich doch nicht untergekriegt, ich habe nie am obern Stockwerk
gezweifelt und treulich daran gebaut, was ich konnte." Erst von diesem Stand¬
punkt aus versteht man richtig, was er über und gegen die erotische Komik
sagt. Er erzählt, wie er sich über die ekelhaften Zoten einer Herrengesellschaft
geärgert habe, und bemerkt dann: „Gewiß enthält das Geschlechtsleben des
Menschen reichen Stoff des Komischen. Es wäre abgeschmackt, diese Quelle
für Lachen und Witz verpöncn zu wollen. Wo fängt nun aber das Gemeine,
das Wachtstubcnmäßige an? Habe oft darüber nachgedacht, es ist schwer zu
finden. Höchsten ethischen Zwecken, Gefühlen gegenüber füllt auf das Sexuelle
das Schlaglicht des Tierischen, ja Mechanischen. Man hat über diesen Kon¬
trast gelacht, so lange die Welt steht, auch das reinste Weib. Gut, dann
lacht! Sucht es aber nicht, macht nicht Jagd nach solchen Beziehungen, meint
nicht, es sei schon witzig, anzudeuten, daß euch der Geschlechtsprozeß und seine
Lust bekannt sei; das ist ja Kot! Das heißt ja, sich freuen, Tier zu sein!"
Die Regel fürs Verhalten, die Bischer aufstellt, ist richtig; aber die in der
letzten Zeile gegebne Begründung führt zum Manichüismus und Pessimismus.
Darin besteht ja eben der Kontrast, daß im Menschen der Geist und das Tier
mit einander verbunden sind, und wenn ich über diesen Kontrast nicht lachen
darf, dann darf ich überhaupt nicht lachen, weder über das Erotische, noch
über einen, der zur Unzeit niest, sondern ich muß mit den Asketen darüber
weinen, daß mein erhabner Geist an ein Tier gefesselt ist. Und wenn ich mich
der Lust nicht freuen darf, die aus der tierischen, d. h. aus der leiblichen Natur
entspringt, dann darf ich mich auch der Nachtruhe nicht freuen, sondern muß
auf einem Brette schlafen und mir womöglich spitze Steine und Glasscherben
unterlegen; dann darf ich mich auch einer guten Mahlzeit und des Rebensaftes
nicht erfreuen, fondern muß mich wie Alfons von Liguori mit verschimmelten
Brote und verfaultem Fleische nähren und den Zustand der Ekstatischen er¬
streben, die nichts mehr genießen als in der täglichen Kommunion die Hostie.
In der That ärgert sich A. E. auch über die Table d'hüte, wo die Leute
zwei Stunden lang nichts thun als „fressen"; eine Kuh — meint er — fresse
anständiger als dieses Volk. Alles, was er über die Heiligkeit der Ehe und
die Erhabenheit des Zeugungsaktes sagt, kann an der Thatsache nichts ändern,
daß er nur durch Inkonsequenz der Verurteilung alles Natürlichen, auch des
Zcugungsaktes, zu entgehen vermag. Demgemäß sind ihm auch Shakespeares


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/514>, abgerufen am 27.11.2024.