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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Alusslmbewegmig und Nationalitätenpolitik in (Österreich

deutend und in geistvollen Anregungen mit dem Gegenstande. Kurz vor ihm
hat aber Dr. Michael Hainisch in einer gründlichen statistisch-politischen Arbeit
den Gegenstand in seinem ganzen Umfange zu erfassen gesucht. So pessimistisch
Dumreicher über die Zukunft denkt, so ist es doch ein freundliches Anzeichen
der geistigen Gesundheit der Deutschen Österreichs, daß innerhalb eines Jahres
zwei Bücher so ernsten Inhalts und von so tüchtigem nationalem Sinne er¬
schienen sind. Auch auf diesem Gebiete, bei der Untersuchung über die Rück¬
wirkungen der sozialen Neubildungen auf den politischen Körper Österreichs,
sind es deutsche Schriftsteller, die in der Forschung vorangehen. Dumreicher
und Hämisch sehen einen politischen Zustand vor sich, in dem infolge einer
fehlerhaften Politik von Selbsttiiuschuugen und kraft des durch Krone, Adel
und Kirche gegen die Deutschen geübten Einflusses die Sache der Staatssprache
verzweifelt genug steht. Sie fragten sich nun, wie denn die Demokratisierung
des öffentlichen Lebens, wie die aufsteigende Klassenbewegung die Lage der
Deutschen beeinflusse. Beide, insbesondere Hainisch, werfen die Frage auf,
ob deun nicht auf demselben Wege ein Rückschlag zu hoffen sei. Sie stellen
fest, daß das österreichische Deutschtum bisher am treuesten von dem bürger¬
lichen Mittelstande behütet worden ist. Von unten steigen neue Gewalten empor:
da ist nun die Frage, ob sie dem bedrängten Deutschtum Rettung bringen
werden, oder ob ihm damit diene Gefahren drohen.

Mit dem Glänze der Darstellung Dnmreichers kaun sich das Buch von
Hämisch nicht messen. Es stellt sich die Aufgabe, durch nüchterne, streng
statistische Untersuchungen zu einer österreichischen Nationalitätenpolitik die that¬
sächlichen Grundlagen zu schaffen. Hainisch arbeitet mit dem gelehrten Apparate
der Wissenschaft als ihr durchgebildeter Kenner. Er sondert geschickt die Ele¬
mente, um die Natur der Volkskräfte zu erforschen, die in Osterreich seit
vierzig Jahren thätig sind. Er geht dabei gründlich, fast zu gründlich vor, da
manche Erörterung die Untersuchung eher etwas erschwert, statt sie zu ver¬
einfachen. Doch das wird begreiflich, wenn man bedenkt, daß er der erste ist,
der das dornige Thema behandelt hat. Er legt, da die Volkszählung von
1890 noch nicht wissenschaftlich verarbeitet vorliegt, die Daten der Zählung von
1880 zu Grunde, die erste, die die Nationalität (Umgangssprache) in den Kreis
ihrer Aufnahmen zog. Man hat oft Vergleiche angestellt zwischen dem frühern
und dein jetzigen nationalen Besitzstande der Deutschem Österreichs; aber sie
müssen unzuverlässig sein, da es für die frühere Zeit keine amtlichen Daten
giebt. Hainisch führt nun streng einen Vergleich durch zwischen den Bevölternngs-
dnten der Deutschen und ihrer anderssprachigem Nachbarn. Selbstverständlich
schaltet er Galizien und Dalmatien in seiner Untersuchung vollständig ans,
weil die Verhältnisse dieser Länder auf den Volks- und Machtzuwnchs der
Deutschen keinen Einfluß haben. Dann teilt er die Bevölkerung der ehemaligen
deutschen Bundesländer in sieben Gruppen ein. Er faßt die rein deutschen


Alusslmbewegmig und Nationalitätenpolitik in (Österreich

deutend und in geistvollen Anregungen mit dem Gegenstande. Kurz vor ihm
hat aber Dr. Michael Hainisch in einer gründlichen statistisch-politischen Arbeit
den Gegenstand in seinem ganzen Umfange zu erfassen gesucht. So pessimistisch
Dumreicher über die Zukunft denkt, so ist es doch ein freundliches Anzeichen
der geistigen Gesundheit der Deutschen Österreichs, daß innerhalb eines Jahres
zwei Bücher so ernsten Inhalts und von so tüchtigem nationalem Sinne er¬
schienen sind. Auch auf diesem Gebiete, bei der Untersuchung über die Rück¬
wirkungen der sozialen Neubildungen auf den politischen Körper Österreichs,
sind es deutsche Schriftsteller, die in der Forschung vorangehen. Dumreicher
und Hämisch sehen einen politischen Zustand vor sich, in dem infolge einer
fehlerhaften Politik von Selbsttiiuschuugen und kraft des durch Krone, Adel
und Kirche gegen die Deutschen geübten Einflusses die Sache der Staatssprache
verzweifelt genug steht. Sie fragten sich nun, wie denn die Demokratisierung
des öffentlichen Lebens, wie die aufsteigende Klassenbewegung die Lage der
Deutschen beeinflusse. Beide, insbesondere Hainisch, werfen die Frage auf,
ob deun nicht auf demselben Wege ein Rückschlag zu hoffen sei. Sie stellen
fest, daß das österreichische Deutschtum bisher am treuesten von dem bürger¬
lichen Mittelstande behütet worden ist. Von unten steigen neue Gewalten empor:
da ist nun die Frage, ob sie dem bedrängten Deutschtum Rettung bringen
werden, oder ob ihm damit diene Gefahren drohen.

Mit dem Glänze der Darstellung Dnmreichers kaun sich das Buch von
Hämisch nicht messen. Es stellt sich die Aufgabe, durch nüchterne, streng
statistische Untersuchungen zu einer österreichischen Nationalitätenpolitik die that¬
sächlichen Grundlagen zu schaffen. Hainisch arbeitet mit dem gelehrten Apparate
der Wissenschaft als ihr durchgebildeter Kenner. Er sondert geschickt die Ele¬
mente, um die Natur der Volkskräfte zu erforschen, die in Osterreich seit
vierzig Jahren thätig sind. Er geht dabei gründlich, fast zu gründlich vor, da
manche Erörterung die Untersuchung eher etwas erschwert, statt sie zu ver¬
einfachen. Doch das wird begreiflich, wenn man bedenkt, daß er der erste ist,
der das dornige Thema behandelt hat. Er legt, da die Volkszählung von
1890 noch nicht wissenschaftlich verarbeitet vorliegt, die Daten der Zählung von
1880 zu Grunde, die erste, die die Nationalität (Umgangssprache) in den Kreis
ihrer Aufnahmen zog. Man hat oft Vergleiche angestellt zwischen dem frühern
und dein jetzigen nationalen Besitzstande der Deutschem Österreichs; aber sie
müssen unzuverlässig sein, da es für die frühere Zeit keine amtlichen Daten
giebt. Hainisch führt nun streng einen Vergleich durch zwischen den Bevölternngs-
dnten der Deutschen und ihrer anderssprachigem Nachbarn. Selbstverständlich
schaltet er Galizien und Dalmatien in seiner Untersuchung vollständig ans,
weil die Verhältnisse dieser Länder auf den Volks- und Machtzuwnchs der
Deutschen keinen Einfluß haben. Dann teilt er die Bevölkerung der ehemaligen
deutschen Bundesländer in sieben Gruppen ein. Er faßt die rein deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/501>, abgerufen am 27.07.2024.